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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Verantwortliche verschließen die Augen Das Ende des Wintersports naht
Der Wintersport verändert sich und damit auch die Bedingungen für Spitzensportler. Es gibt zwar Lösungsansätze. Doch dafür muss umgedacht werden.
Es war ein ungewohntes Bild, das sich Skisprung-Fans beim Weltcup in Wisla Ende vergangenen Jahres bot: Nach ihrem Absprung vom Schanzentisch landeten die Skispringer nicht auf Schnee, sondern wie sonst für den Sommer-Grand-Prix üblich auf grünem Kunststoff.
Ein historisches Ereignis und zugleich ein Blick in die Zukunft. Denn durch den Klimawandel verändert sich der Wintersport.
Das haben Bilder wie die aus Wisla ebenso gezeigt wie die von der Vierschanzentournee. Hier sprangen die DSV-Adler und ihre Konkurrenten in Garmisch-Partenkirchen zwar von der präparierten Kunstschnee-Schanze, doch drumherum war alles grün. Ähnliche Szenarien gab es auch beim Ski Alpin: Der Slalom der Herren in Garmisch-Partenkirchen musste witterungsbedingt abgesagt werden. Er wurde nach Schladming verlegt.
Inzwischen dämmert immer mehr Menschen, dass der Wintersport sich radikal ändern muss, wenn er weiterexistieren soll. Ideen gibt es. Experten fordern jedoch: Das Umdenken und Planen muss jetzt beginnen.
"Wird künftig seltener einen 'durchschnittlichen' Winter geben"
Erschwert werde das allerdings dadurch, dass das Wetter anders als das Klima kaum langfristig vorhersagbar sei, glaubt Professor Sven Schneider, Sportsoziologe der Universität Heidelberg: "Es wird künftig seltener einen 'durchschnittlichen' Winter geben und häufiger extrem warme und dann ab und an wieder schneereiche Winter." Das verleite dazu, so weiterzumachen wie bisher, und verhindere das nötige strukturelle Umdenken, so Schneider zu t-online. Dabei sei das nicht nur für den Sport zwingend notwendig, sondern auch für die Tourismusbranche in Skiregionen unter 1.500 Metern. Schneider ist sich sicher: "Deren teilweise touristische Monokultur wird einen Strukturwandel erleben."
Benötigt werde daher Mut, ungewöhnliche Wege zu beschreiten. Am einfachsten umzusetzen wäre so ein Umdenken wohl in der Skisprung-Disziplin.
Denn für die DSV-Athleten ist das Mattenspringen bereits Alltag: Sie trainieren auf Matten und springen den Sommer-Grand-Prix darauf. Der erste Weltcup der Saison in Wisla hat gezeigt, dass auch der internationale Skiverband FIS solche Optionen ernst nimmt.
Mattenschanzen? "Ich glaube, das ist handhabbar"
Tatsächlich wird auf Nachwuchsschanzen bis K60 bereits jetzt schon zu 80 Prozent des gesamten Jahres für die Landung auf Matten trainiert. Der Vorteil ist dabei, dass auch die Anfahrt und der Absprung auf Alternativen zum Eis stattfinden können, nämlich auf Keramik. "Wir sind schon bisher im Winter auf Eis angefahren und im Sommer auf Keramik. Das werden wir auch in Zukunft tun können", erklärt DSV-Sportdirektor Horst Hüttel.
Der Vorteil von Mattenschanzen liegt auf der Hand: Der Skisprung würde komplett unabhängig von Schnee und könnte im Grunde überall stattfinden. Bislang gibt es einen rund zehnwöchigen Sommer-Grand-Prix, der ohnehin schon auf Matten stattfindet, und einen viermonatigen Winter-Weltcup. Doch der wurde bisher im Winter nur auf Schnee gesprungen – mit Ausnahme von Wisla.
Die Stationen der Vierschanzentournee sind schon jetzt allesamt mit Matten ausgerüstet. Aber bei anderen Stationen ist das noch nicht der Fall. Grundsätzlich ist es möglich, Matten auf Schanzen zu installieren, auf denen im Moment noch keine sind. Eine Anlage so zu präparieren, ist zwar teuer, könnte sich aber lohnen, zeigt sich Hüttel überzeugt: "Ich glaube, das ist handhabbar."
"Entweder springen die Athleten auf Matte oder auf Schnee"
Allerdings müssten sich die Veranstalter hinsichtlich des Aufsprunghanges laut Hüttel dann für eine Art entscheiden: "Entweder springen die Athleten auf Matte oder auf Schnee." Fällt auf einer Mattenschanze über Nacht Schnee, muss dieser wieder entfernt oder mithilfe von Planen verhindert werden, dass die Schanze überhaupt mit Schnee in Berührung kommt. So könnte dann auch in schneereichen Wintern gesprungen werden, sagt Hüttel. Er ergänzt: "Generell glaube ich, wäre es falsch zu sagen 'Entweder-oder'. Es wäre wie im Tennis, dort wird mal auf Sand-, Rasen- und Hartplatz gespielt. Im Skispringen würde man mal auf Matte und mal auf Schnee springen."
Sind die Schanzen erst unabhängig vom Wetter, bräuchte es keine Unterscheidung mehr zwischen Sommer-Grand-Prix und Winter-Weltcup. Das böte auch neue Möglichkeiten für die Vermarktung.
Warum sollte man die Sommertourismusorte nicht nutzen?
Horst Hüttel hat bereits eine Idee, wie so ein besser genutzter Sommer aussehen könnte: Mit Vertretern der Vierschanzentournee-Orte hat er über eine Vierschanzentournee-Green-Edition im Sommer gesprochen, die sich mit einem Konzert verbinden ließe. Das mache es für die Gemeinde und den Gemeinderat attraktiver, Unterhaltskosten und Betriebskosten zu stemmen. "Die Orte, in denen wir springen, sind auch Sommertourismusorte: Garmisch-Partenkirchen, Oberstdorf, Innsbruck. Warum sollte man das nicht nutzen?"
Hüttel ergänzt: "Skisprung ist ein Stück weit Entertainment und Show, ohne dass der Spitzensport vernachlässigt wird. Die Schanzen sind bereits für Millionen von Euro für den Sommer gebaut worden. Es gibt von der FIS ja auch schon den Sommer-Grand-Prix, den kann man aber in vielerlei Hinsicht deutlich verbessern."
Doch um so ein Vorhaben umzusetzen, braucht es den Internationalen Skiverband FIS. "Die einzige Frage ist die der Refinanzierbarkeit. Diese wäre deutlich höher, wenn die FIS sich dazu entschließen könnte, das Ganze Weltcup zu nennen. Das wäre ein wichtiger Punkt in der Außendarstellung" so Hüttel. "Ob wir dann einen separaten Sommer- und einen separaten Winter-Weltcup haben, muss besprochen werden, doch man sollte sich in diese Richtung Gedanken machen", fordert der DSV-Sportdirektor.
Das sieht auch der norwegische Skisprung-Trainer Alexander Stöckl so. Allerdings brauche es dafür Überzeugungsarbeit gegenüber den Verantwortlichen in der FIS, von denen einige recht konservativ seien: "Nicht alle sind der Meinung, dass wir den Sommer in gleichem Maße nutzen sollten wie den Winter. Ansonsten hätten wir ja das Weltcup-Springen im Sommer und nicht einen Sommer-Grand-Prix."
FIS will erst einmal abwarten
Mit dieser Einschätzung könnte er recht haben, wie eine Antwort von Sandro Pertile, Renndirektor des FIS, für das Skispringen, auf Anfrage von t-online zeigt: "Wenn sich der Klimawandel langsam vollzieht, können wir immer noch auf die traditionelle Weise denken, mit einem Sommer-Grand-Prix und einem Weltcup in vier Monaten. Wenn sich der Klimawandel schneller vollzieht, könnten wir uns eine längere Weltcup-Saison mit mehr Hybrid-Wettbewerben vorstellen. Wir werden dem Trend folgen." Die FIS setzt also darauf, erst einmal abzuwarten und nichts zu verändern.
Mit dem Begriff "Sommer-Weltcup" tut sich Pertile aber aus anderen Gründen schwer: "Wir haben Hybridlösungen, mit denen wir unseren Sport an Orte ausweiten können, an denen wir derzeit nicht präsent sind (Asien, Südamerika, arabische Länder), und wir könnten eine globale Sportart werden. Natürlich nicht in der nächsten Saison, aber langfristig gesehen."
Tatsächlich könnten Matten-Schanzen in Zukunft auch dort stehen, wo es bisher noch keine gibt: In Australien oder Afrika, in New York oder Berlin. "Alpine Sportarten würden 'schneefrei' ganz neue Zielgruppen an Athleten und Zuschauern erreichen", sagt auch der Sportsoziologe Schneider.
"Ähnlich wie in der Leichtathletik"
Eine logische Folge wäre dann allerdings, dass man nicht mehr von "Wintersport" spricht, sagt Stöckl: "Solange wir von Wintersport sprechen, ist die Schwelle für solche Länder zu hoch." Stöckl plädiert dafür, Wintersport in "Extremsport" umzubenennen.
Schneider fände "Ski- und Eissport" besser. Seine Begründung: "Skispringen kann auf Mattenschanzen, Biathlon auf Rollskiern durchgeführt werden. Damit wäre der klassische Winter-Leistungssport auf einmal weltweit ausrollbar."
Allerdings ist die Umstellung für andere Ski-Disziplinen weitaus schwieriger. Der Skilanglauf als Teil der Nordischen Kombination könnte auf Rollskier umsteigen und dann in Stadien stattfinden. "So ist ein sportlicher Wettkampf auf höchstem Niveau absolut organisierbar. Ähnlich wie in der Leichtathletik: Dort findet ein 10.000-Meter-Lauf auch auf einer 400-Meter-Bahn statt", sagt Hüttel. Das große freizügige Langlaufen in die Wälder hinein und wieder aus ihnen heraus könnte jedoch verschwinden.
Athleten fordern FIS zum Handeln auf
Besonders schwierig wird es für den Ski Alpin. Experten sind sich einig, dass er in niedrigeren Lagen auf Dauer nicht mehr möglich sein wird. Denn Pisten aus Plastik sind für diese Art von professionellem Sport kaum umsetzbar. Stattdessen müsse es in höhere Lagen gehen, sagt etwa Ski-Alpin-Ass Alexander Aamodt Kilde: "Wir müssen an jene Orte auf der Welt, an denen wir das ordentlich machen können."
Fest steht: Der Wintersport steht vor einem radikalen Wandel. Das haben auch die Athleten längst erkannt: In einem offenen Brief an die FIS, den inzwischen mehr als 300 internationale Wintersportlerinnen und -sportler unterschrieben haben, fordern sie, nicht länger abzuwarten, sondern jetzt umzudenken und zu handeln.
- Eigene Anfrage beim norwegischen Skisprung-Trainer Alexander Stöckl
- Eigenes Gespräch mit DSV-Sportdirektor Horst Hüttel
- Eigenes Gespräch mit Prof. Dr. Sven Schneider von der Universität Heidelberg
- Eigene Anfrage bei der FIS
- sportschau.de: "Zukunft des Skispringens – Matten statt Schnee"
- faz.net: ""Sicherheit der Fahrer gefährdet""
- zeit.de: ""Am Ende auch mit Pfeil und Bogen!""
- sportschau.de: "Immer mehr Athleten unterschreiben offenen Brief"