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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Nach Dopingvorwürfen und Olympia-Aus Biathlon-Legende Groß dachte als Russland-Trainer an Rücktritt
Als Trainer des russischen Teams hatte Ricco Groß den wohl schwierigsten Job im Weltbiathlon. Bei t-online.de erklärt er, was das mit ihm gemacht hat und warum er nun einen Schlussstrich gezogen hat.
Als Ricco Groß die Lobby des Parkhotels in Bad Griesbach betritt, ist ihm die turbulente letzte Saison nicht mehr anzusehen. Er ist tiefenentspannt. Braun gebrannt in Polo-Hemd und Shorts wirkt er auf den ersten Blick nicht wie ein Biathlon-Trainer.
Dies ändert sich schnell, sobald der erfolgreichste deutsche Winter-Olympionike anfängt, über seinen Sport zu sprechen. Und er hat einiges zu berichten. Zum Beispiel über seinen nur vier Monate zurückliegenden Wechsel zum österreichischen Herren-Team. Oder die drei Jahre zuvor als russischer Nationaltrainer, als der 48-Jährige immer wieder mit Dopingvorwürfen gegen seine Athleten zu kämpfen hatte und bei den Olympischen Spielen in Pyeongchang nach einem Report über Staatsdoping in Russland nur mit einem Rumpfteam an den Start gehen durfte.
t-online.de: Herr Groß, kommt es eigentlich vor, dass Sie sich länger einmal nicht an Schießständen und Loipen aufhalten?
Ricco Groß: Das ist relativ selten der Fall. (lacht) Mit dem österreichischen Team trainieren wir beispielsweise eine Woche am Stützpunkt in Hochfilzen, dann stehen ein paar Tage in meiner Heimat Ruhpolding an, dann kommt eine Lehrgangswoche in Obertilliach, danach eine Woche mit individuellem Training und dann geht das Ganze wieder von vorne los.
Das hört sich sehr stressig an. Auf wie viele Arbeitsstunden kommen Sie in der Woche?
Puh, das ist schwer zu sagen. (überlegt) Bestimmt 65 bis 70 Stunden.
Ricco Groß holte als aktiver Biathlet vier Olympische Goldmedaillen. Nach seinem Karriereende 2007 arbeitete er u. a. als TV-Experte. Von 2015 bis 2018 war Groß Cheftrainer der russischen Biathlon-Herren. Seit Mai arbeitet er in gleicher Position beim österreichischen Team.
Vom zeitlichen Umfang durchaus. Wenn man eine Top-Mannschaft trainiert, kann man sich in dem Bereich sicherlich auch als eine Art Top-Manager sehen. (lacht)
Es heißt oft: Gute Wintersportler werden im Sommer gemacht…
Stimmt, das wird oft gesagt, ist aber genau genommen nicht ganz richtig. Denn eigentlich fängt das Training schon im Frühjahr an. Nach dem letzten Weltcuprennen Ende März wird die Pause relativ kurz gehalten. Wir haben Anfang Mai wieder mit kontrolliertem Training angefangen. Wenn man bedenkt, dass im April beispielsweise noch Militärweltmeisterschaften waren, bleibt eigentlich nicht viel Zeit zum Erholen. Allerdings beginnen wir mit relativ lockeren Trainingseinheiten, in denen sich die Sportler ein wenig erholen und vor allem psychisch etwas runterkommen können.
Konnte auch Sie selbst nach einer turbulenten Saison etwas runterkommen?
Das ist mir in diesem Jahr – ganz ehrlich – sehr schwer gefallen. Der Abschluss von drei Jahren in Russland, die mir sehr viel gegeben haben und in denen ich ein komplett anderes Sportsystem kennengelernt habe, und jetzt der Wechsel zum österreichischen Team – das war eine besondere Situation für mich.
Warum haben Sie sich für den Wechsel nach Österreich entschieden?
Der österreichische Verband war einfach sehr, sehr hartnäckig und hat oft das Gespräch mit mir gesucht. Letztendlich habe ich gemerkt, dass die Österreicher mich unbedingt haben wollten. Außerdem war wichtig für mich, gewisse Arbeitsbedingungen zu haben, die mir als Trainer die Möglichkeit geben, mich noch besser zu entfalten. Da ist beispielsweise die Wahl der Trainingsorte und Lehrgangsmaßnahmen. Das ist in Österreich viel einfacher und auch näher beieinander als in Russland, wo sechs Sportler an verschiedenen, teilweise sehr weit voneinander entfernten Orten trainieren.
Mit Julian Eberhard, Simon Eder und Dominik Landertinger haben Sie einige starke Athleten im Kader. Zuletzt hat das Team allerdings etwas geschwächelt. Wie sähe für Sie eine erfolgreiche Saison aus?
Zuerst einmal müssen wir den sechsten Weltcup-Startplatz zurückholen (den nur die besten fünf Teams im Nationencup erhalten, Anm. d. Red.). Das ist unser primäres Ziel. Außerdem müssten für Eberhard, Eder und Landertinger schon die Top-15, Top-20 im Gesamtweltcup drin sein. In dem Zusammenhang wollen wir besonders an der Nervenstärke arbeiten – vor allem auch beim Schießen.
In der letzten Saison stand am Ende ein Weltcupsieg zu Buche. Wie viele müssen es in dieser Saison werden?
Ich wäre schon zufrieden, wenn wir erst einmal fünf Podiumsplatzierungen erreichen. Wenn dann ein Sieg dabei ist, wäre das natürlich besonders schön.
Und was rechnen Sie sich bei der WM im März in Östersund aus?
Wenn alle gesund bleiben, haben wir da vor allem in der Staffel gute Außenseiterchancen. Und das ist auch das Ziel. Da schielen wir natürlich schon Richtung Podium und wollen die vermeintlich großen Nationen ärgern.
Bei der WM 2017 holten Sie mit der russischen Staffel den Titel. Heute sagen Sie über Ihre drei Jahre dort: "Die Zeit war nicht unerfolgreich und doch mit dem Schlusspunkt Olympische Spiele und deren unschönen Begleiterscheinungen unbefriedigend." Waren Sie die immer wiederkehrenden Dopingfragen irgendwann leid?
Natürlich ist es nervig, wenn man immer wieder die gleichen Fragen gestellt bekommt. Aber leider hat außer mir niemand auf diese Fragen reagiert. Da habe ich es schon als meine Pflicht angesehen, mich vor allem gegenüber den mitteleuropäischen Medien dazu zu äußern.
In der vergangenen Woche sind neue Dopingverdachtsfälle russischer Biathleten publik geworden. Dabei geht es auch um den zweifachen Olympiasieger Jewgeni Ustjugow, der seine Karriere bereits vor ihrem Engagement in Russland beendet hat. Im November haben Sie im Interview mit t-online.de gesagt, dass man als Trainer "für keinen Athleten der Welt die Hand ins Feuer legen kann." Haben Sie jemals Zweifel daran gehabt, dass einer Ihrer Schützlinge während der Zeit als russischer Trainer sauber war?
Nein, niemals. Gerade weil wir in Mitteleuropa trainiert haben und für die Doping-Kontrolleure entsprechend einfach erreichbar waren. Das haben diese übrigens auch fleißig genutzt. Und es ist für mich auch sehr schwer vorstellbar, dass irgendetwas anderes manipuliert worden sein soll. Letztendlich ist ein Athlet auch immer selbst dafür verantwortlich, was in seinem Körper ist.
Also hatten Sie diesbezüglich auch keine Verdachtsmomente?
Nein.
Gab es dennoch einen Zeitpunkt, an dem Sie Rücktrittsgedanken hatten und dachten: "Ich schmeiße jetzt wirklich hin"?
Ja, als das Internationale Olympische Komitee (IOC) Ende Januar erklärte, dass unser Team nur sehr dezimiert bei den Olympischen Spielen antreten wird, war das schon richtig deprimierend. Natürlich fällt man in so einer Situation in ein Loch. Und es war schon extrem schwierig, die Motivation hochzuhalten. Vor allem, weil man den Athleten ja auch Vorbild sein muss.
Damals haben Sie die IOC-Entscheidung im Interview mit t-online.de als "unverständlich" bezeichnet. Sehen Sie das heute anders?
Nein, absolut nicht. Obwohl meine Athleten im Weltcup ganz normal startberechtigt waren und nicht positiv auf Doping getestet wurden, wurde der Großteil zu den Olympischen Spielen in Pyeongchang nicht eingeladen. Warum das so war, wurde mir bis heute nicht zufriedenstellend beantwortet. Und ein Verdachtsmoment ist mir in einem solchen Fall etwas wenig. Da hätte das IOC eine stringente Linie haben müssen – also z. B., dass alle jemals positiv auf Doping getesteten Sportler bei Olympia gar nichts mehr verloren haben. Ganz einfach! Das hätte ich sofort befürwortet. Doch letztendlich gab es eine Art Slalomkurs.
Allerdings gab es den McLaren-Report über institutionalisiertes Doping im russischen Sport, auch wenn es um eine Zeit geht, als Sie noch nicht Trainer der russischen Biathleten waren…
Wenn das gemacht worden ist, brauchen wir nicht darüber zu diskutieren, dass eine ganze Nation bestraft gehört. Aber da hätte es einer wirklich klaren Linie bedurft. Also: Entweder alle Athleten bestrafen oder keinen.
Kommen wir zur neuen Saison – auch wenn es bis zum Weltcup-Start noch knapp drei Monate dauert. Martin Fourcade hat bei den Herren in den letzten Jahren komplett dominiert. Wird diese Saison etwas spannender?
Na das hoffe ich doch. (lacht). Aber es wird schwierig für die Anderen, denn Fourcarde ist einfach ein Ausnahmeathlet. Sein ärgster Konkurrent ist sicherlich Johannes Thingnes Bö, der hat schon nachhaltig bewiesen, dass er Fourcarde schlagen kann.
Was trauen Sie den Deutschen um Erik Lesser, Arnd Peiffer, Benedikt Doll und Simon Schempp zu?
Eine ganze Menge. Das ist durch die Bank ein Spitzenteam. Die sind einzeln alle in der Lage, Rennen zu gewinnen – und natürlich auch in der Staffel stark.
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Und bei den Damen? Schnappt sich Laura Dahlmeier in diesem Jahr wieder den Gesamtweltcup, nachdem sie im letzten Jahr nur Vierter wurde?
Laura Dahlmeier ist in jedem Fall eine ganz heiße Anwärterin darauf. Aber viel hängt davon ab, ob sie die Saison über gesund bleibt. Sollte das der Fall sein, ist sie eigentlich die Topfavoritin.