Vor der Tour de France John Degenkolb: "Die Erfolge sind eine Bürde"
John Degenkolb
t-online.de: Herr Degenkolb, mit den Siegen bei Paris-Roubaix und Mailand-San Remo ist Ihnen Historisches gelungen. Wie blicken Sie mit etwas Abstand darauf zurück?
John Degenkolb: Ich bin in erster Linie wahnsinnig stolz. Das gibt auf der einen Seite Selbstvertrauen und Sicherheit und Motivation, für das was kommt. Auf der anderen Seite ist das eine große Bürde, die man zu tragen hat. Das bedeutet, dass man einen großen Schritt gemacht hat und in der Wahrnehmung der Medien und der Gegner jetzt zu einem zählt, der auch bei den ganz großen Rennen dabei sein kann. Aber die positiven Aspekte überwiegen.
Sie sind sehr abergläubisch. Was hat Ihr Sohn Leo, der vor einem halben Jahr auf die Welt kam, mit Ihren Siegen zu tun?
Die Geburt meines Sohnes war natürlich ein sehr bewegender Moment. Leuten, die noch keine Kinder haben, kann man das schwer mit Worten begreiflich machen. Das sind Gefühle und Emotionen, die einen für das Leben prägen und verändern. Das hat sicherlich auch dazu geführt, dass ich mich noch ein wenig mehr auf das Wesentliche konzentriert habe und lockerer geworden bin. Das hat mir in den großen Rennen geholfen, cool zu bleiben und im richtigen Moment die richtigen Entscheidungen zu treffen. Der Fußabdruck meines Sohnes war auf dem Oberrohr des Rahmens immer mit dabei. Das war ein tolles Gefühl, den Abdruck kurz vor dem Rennen noch einmal zu sehen.
Was muss noch passieren, damit das Ihre bisher beste Saison wird?
Das ist sie jetzt schon. Da muss nichts mehr passieren. Das ist Fakt. Ich habe einen wahnsinnigen Sprung gemacht. Ich habe immer davon geträumt, einmal bei einem der Rennen - Flandern, Roubaix oder San Remo - vorne dabei zu sein.
Am 4. Juli beginnt die Tour de France: Wie laufen die Vorbereitungen?
Im Moment läuft alles nach Plan. Wir sind gerade dabei, uns wirklich explizit auf die Tour vorzubereiten und sind im Kraftausdauer und im Grundlagenbereich unterwegs. Wir fahren aber auch viele Sprints, die dann natürlich auch während der Tour wichtig sein werden. Das macht auch den Unterschied, dass man sprintstark und spritzig ist. Im Moment kann ich mich nicht beklagen und habe einen guten Rhythmus gefunden.
Was sind Ihre Hoffnungen und Ziele im Hinblick auf die Tour?
Im Grunde genommen ganz einfach: Ich möchte eine Etappe gewinnen. Das ist das ganz klar erklärte Ziel, da werde ich alles dran setzen und das Team auch. Ich habe jetzt zwei Jahre vergeblich versucht eine Etappe zu gewinnen, war mehrfach Zweiter. Ich hoffe, dass aller guten Dinge drei sind.
Haben Sie sich Streckenabschnitte angeschaut und sich eine bestimmte Etappe für „Ihren Sieg“ ausgeguckt?
Im Grunde genommen ist es mir vollkommen egal, welche Etappe es ist. Es wäre toll, wenn es klappt. Wir haben uns schon zwei Etappen vor Ort genau angeschaut. Die Zweite, da wird es so sein, dass es wahnsinnig hektisch sein wird, mit Verkehrsinseln und Kreisverkehren. Da wollten wir uns einen Eindruck verschaffen. Bei Wind ist da die Gefahr groß, dass sich das Feld teilt. Und die Etappe über das Kopfsteinpflaster war auch im Fokus. Aber je näher wir zur Tour kommen, desto mehr Informationen bekommen wir. Dann bereiten wir uns auch expliziter vor.
Aber mit Kopfsteinplaster kennen Sie sich ja aus...
Das Rennen hat da einen ganz anderen Charakter. Bei der Tour sind auch viele Bergfahrer dabei. Das kann man nicht mit Paris-Roubaix vergleichen.
Wo liegen für Sie als sprintstarkem Fahrer die Unterschiede zu anderen Rundfahrten wie der Vuelta oder dem Giro?
Der Unterschied ist, dass bei der Tour jeder Rennfahrer, der am Start ist ab dem ersten Tag 100 Prozent motiviert ist. Der Stellenwert ist bei den Teams so enorm hoch und alle sind top vorbereitet. Bei der Vuelta gibt es viele, die die Rundfahrt als Vorbereitung für die WM nutzen. Da ist das Niveau manchmal einen Tick niedriger, was nicht schlecht ist. Es gibt neuen, jungen Fahrern die Chance, Etappen zu gewinnen. Die Tour ist die Tour, da sind alle top vorbereitet und motiviert. Dementsprechend hoch ist auch das Niveau.
Wie gehen Sie mit dem gestiegenen Druck um?
Ich denke, man muss dem Thema cool gegenüber stehen. Ich bin froh, dass ich ein ganz normales Umfeld um mich habe, das mir jeden Tag die Augen neu öffnet. Es hat sich nichts verändert, außer dass ich zwei große Rennen gewonnen habe. Das ist bei vielen anderen Rennfahrern das Problem, dass das Wasser nicht mehr von oben nach unten fließt, sondern andersrum. Aber ich mache weiter, wie ich es vorher auch gemacht habe und versuche das Äußere auszublenden.
Ende Juni stehen noch die Deutschen Meisterschaften in Bensheim an. Sie gelten als einer der Favoriten. Wie wichtig ist Ihnen das Rennen?
Zum einen ist das nochmal ein kurzer Vorab-Check vor der Tour, wie man so eine kurze Spitzenbelastung verträgt. Aber zum anderen ist das für mich ein Ziel, das ich in meiner Karriere erreichen will. Es ist eine große Ehre, nach einem Sieg als Deutscher Meister an den Start zu gehen.
Wie sehen sie die aktuelle Entwicklung des Radsports in Deutschland?
Ich sehe das sehr positiv. Es hat sich in den letzten paar Jahren viel verändert. Wir haben viel dazu beigetragen, was mich auch enorm stolz macht. Auch einer derjenigen zu sein, die die Hand gehoben haben und gesagt haben‚ wir wollen da etwas ändern und anders auftreten als es die Leute vor uns gemacht haben. Der Wiedereinstieg der ARD ist sehr wichtig. Auch der Einstieg von Alpecin in unser Team, es gibt wieder die Liveübertragung der Tour. Außerdem war die Berichterstattung der Klassiker sehr positiv, auch für meine Person. Ich denke, dass wir noch lange nicht da sind, wo wir landen möchten, aber wir dürfen auch nicht zu viel zu schnell erwarten.
Sie haben zum Thema Doping eine klare Meinung und kämpfen auch für einen 'sauberen Sport'...
Marcel Kittel, Tony Martin und ich haben da einen Pakt geschlossen und unser Gesicht dafür hergegeben. Wir haben eine Nulltoleranz-Politik, die wir vertreten. Und wir zeigen, dass man auch ohne Doping erfolgreich sein kann. Wer uns nicht glaubt, kann jederzeit gerne zu uns zum Training kommen und sich davon überzeugen, dass wir es ehrlich meinen.
Kann oder muss man im Radsport noch etwas für ein positiveres Image tun?
Unsere Gedanken zum sauberen Radsport sollten auch international zum Nachdenken anregen. Ich will keinen Verurteilen oder mit dem Finger auf jemanden zeigen, aber ich denke, dass es noch mehr Potenzial gibt, den Sport sauberer zu machen. Das ist auch eine Aufgabe des Weltverbandes. Da hat sich bereits viel getan, aber es müssen meiner Meinung nach Entscheidungen zügiger gefällt werden. Im Hinblick auf das Team Astana zum Beispiel hat sich das viel zu lange hingezogen. Da wäre es wichtig, noch schneller Nägel mit Köpfen zu machen. Auf der anderen Seite darf man nicht erwarten, dass der Radsport jemals ganz ohne Betrüger sein wird. Die gibt es auch in allen anderen Sportarten. 100% dopingfreier Sport ist eine Illusion. Je effektiver und besser die Kontrollen werden, desto mehr Chancen räumt man auch den Sportlern ein, die sauber sind. Gerade meine zwei Siege zeigen aber, dass wir auf einem sehr guten Weg sind.
Sie engagieren sich auch für Belange der Hobby-Radfahrer, wie die Eröffnung eines Zeitmesssystems am Feldberg. Bewahrt man dadurch auch ein wenig die Bodenhaftung?
Ich habe in Frankfurt Leuten aus der Jedermann-Szene kennengelernt, die viel für den Radsport tun. Warum dann nicht auch bei so einem Projekt mithelfen und die Werbetrommel rühren? Ich fand die Idee von Anfang an gut und bin froh, dass es geklappt hat. Die Volksnähe ist wichtig, auch den Kontakt zu den Fans zu bewahren und sich auch mal zu zeigen. Im Moment ist es leider so, dass wir nicht mehr so viele deutsche Rennen haben – was sich in der Zukunft hoffentlich wieder ändert. Da sind solche Veranstaltungen toll, um auch mal Autogramme zu schreiben und Selfies mit den Fans zu machen. Das ist einfach schön und tut mir nicht weh.
Das Interview führte Ann-Kathrin Ernst