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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Olympia-Talk bei "Lanz" Gold-Rodlerin Geisenberger: "Nie wieder nach China"
Die Olympischen Winterspiele gehen in die Zielgeraden. Bei "Markus Lanz" diskutierten die Gäste aber nicht die sportlichen Ereignisse. Sie übten harsche Kritik am IOC und den chinesischen Ausrichtern.
Die Olympischen Winterspiele 2022 in Peking waren, so das Fazit der Talkrunde bei "Markus Lanz" am Mittwochabend, ein umstrittenes Spektakel zwischen sportlichen Höchstleistungen, Propagandaschau des chinesischen Regimes und einer Totalüberwachung. Darüber diskutierten eine mehrfache Olympiasiegerin und zwei Journalisten. Mit Fundamentalkritik am Internationalen Olympischen Komitee wurde in der Sendung nicht gespart.
Die Gäste:
- Natalie Geisenberger, Rennrodlerin und sechsfache Olympiasiegerin
- Thomas Kistner, Sportjournalist
- Ulf Röller, Journalist
Nur um Sport ging es bei den Olympischen Winterspielen 2022 in der chinesischen Hauptstadt mitnichten — dieser Konsens prägte die Diskussion bei "Markus Lanz". Für China, so die einhellige Meinung, seien die Spiele in erster Linie eine perfekte Bühne zur Inszenierung gewesen. Dies habe sich schon allein dadurch gezeigt, dass eine uigurische Langläuferin medienwirksam das olympische Feuer entfachte. Geht es nach dem Sportjournalisten Ulf Röller, sandte Chinas Staatschef Xi Jinping damit zwei klare Botschaften aus.
Röller: "Solche Bilder sind einstudiert"
"Die Botschaft von Xi Jinping an sein Volk ist, dass es kein Problem gibt. Dass alle in dem Staat glücklich sind", so Röller. Den Westen hingegen wolle man mit dieser Inszenierung diskreditieren: "Guckt mal, das ist die böse westliche Presse, das ist die Arroganz der westlichen Demokratien, die uns das mit den Uiguren unterstellen", so die Intention laut Röller. Dies entspreche aber keinesfalls der Realität: "Solche Bilder sind einstudiert". Thomas Kistner sah das ähnlich: "Es lässt sich mit dem Narrativ eine politische Lüge zusammenspinnen. Solange die Quoten stimmen, geht das Geschäft auf".
Ebenfalls eine kritikwürdige Inszenierung sei der Umgang mit der chinesischen Tennisspielerin Peng Shuai gewesen. Peng hatte im November 2021 öffentlich behauptet, vom ehemaligen chinesischen Funktionär Zhang Gaoli sexuell missbraucht worden zu sein. Eine Zeit lang war sie daraufhin von der Bildfläche verschwunden. Als der Druck auf China – und damit auch auf das IOC und den Präsidenten Thomas Bach – zu groß geworden sei, habe sich dieser medienwirksam mit ihr getroffen.
"Er hat die Erzählung der Chinesen, dass es ihr gut gehe, mit einem Fotobeweis unterstützt", so Röller, der dem IOC-Chef Mittäterschaft vorwirft. Dass die Sportlerin später in einem Interview gänzlich zurückruderte, sei logisch: "Die chinesische Regierung kann die Meinung im eigenen Land kontrollieren", so der Journalist. "Wenn man weiß, wie der chinesische Sicherheitsapparat funktioniert, dann hat sie massive Probleme, wenn sie nicht sagt, was der Präsident von ihr will".
Olympiasiegerin Geisenberger: "Habe berufliche Ziele vor moralische Bedenken gestellt"
So erfolgreich die Olympischen Winterspiele für die deutsche Rennrodlerin Natalie Geisenberger auch waren, so wenig konnte sie die Spiele an sich genießen. "Ich habe nach den Erfahrungen, die ich beim Weltcup dort gemacht habe, lange überlegt, ob ich da wirklich hin muss", erklärte die Spitzensportlerin. Letztlich habe sie aber ihre beruflichen Ziele über moralische Bedenken gestellt – da eine Nichtteilnahme ihrerseits nichts an den politischen Umständen geändert hätte. "Es würde einfach nur ein anderer Name auf der Bestenliste stehen", argumentierte sie.
Also habe sie beschlossen: "Okay, ich mache es, ich fahr zwei Wochen hin, mache meinen Job – dann fahre ich heim und nie wieder nach China." Sie habe das als ihren Job gesehen, auch wenn sie sich natürlich über die Goldmedaillen freue. Sie habe keine anderen Chinesen als die Helfer der Spiele getroffen.
Kistner: Unpolitische Spiele "blühender Unfug"
Im letzten Teil der Sendung stand die Fundamentalkritik am IOC auf dem Programm. Bachs Argumentation, dass die Olympischen Spiele unpolitisch seien, widersprach Kistner vehement: "Das ist blühender Unfug. Es gibt kaum etwas Politischeres in unserer Zeit als den Sport, besonders die Olympischen Spiele." Kistner war es auch, der die ausufernden Kriminalakten und Hintergründe diverser (ehemaliger) IOC-Funktionäre erklärte – darunter jene von Carlos Nuzman, der zu 30 Jahren Haft verurteilt wurde, "weil er die Rio-Spiele gekauft hat. Das hat das Gericht in Rio De Janeiro selbst festgestellt". Die Reihe an Tatbeständen der Korruption innerhalb des IOC ließe sich fortsetzen.
Bach selbst bezeichnete er sogar als "Mitarbeiter von Xi Jinping". Wie eng der Bund zwischen dem IOC-Chef und dem chinesischen Staatsoberhaupt ist, zeigt eine eigene Bach-Statue, die in einem Park in Peking zu finden ist. Damit wird er als "Freund Chinas" gewürdigt. Bach, so der Journalist, habe die hässliche Seite der Spiele jedoch bewusst verschwiegen. "Er benutzt einen Begriff, der sehr, sehr gefährlich ist: Neutralität". Das IOC aber sei nicht neutral, sondern schaue gezielt weg. "Und davon leben Diktaturen: dass man wegschaut".
Nach Röller haben sich die Olympischen Spiele für Xi Jinping gelohnt. Dieser habe zeigen können, dass China "sehr wettbewerbsfähig" sei. Unruhen habe es keine gegeben — weder seitens der Uiguren noch der Hongkonger Protestbewegung: "Er konnte ein Land von einer schaurigen Stabilität präsentieren".
- "Markus Lanz" vom 16. Februar 2022