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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Unnötige Tabuisierung Das große Versäumnis des deutschen Leistungssports
Schmerzen beim Wettkampf? Für Topsportlerinnen ist das Realität. Obwohl die Periode zum weiblichen Körper gehört, wird sie oft verschwiegen. Dabei sollte sie Teil des Trainings sein – doch dafür muss sich einiges ändern.
Sich vor Schmerzen und Krämpfen krümmen und dennoch arbeiten? Für viele Frauen während der Periode undenkbar. Darum gehen sie zum Arzt, holen sich ein Attest und schonen sich den Tag im Bett. Nicht so bei Top-Athletinnen. Sie absolvieren Training und Wettkampf, können sich teils nicht bewegen und dennoch wird von ihnen Spitzenleistung gefordert.
Das Problem: Über Menstruation wird im Leistungssport noch immer zu wenig gesprochen. Das Training wird zu selten darauf abgestimmt. Die Leistungen von Athletinnen nach einem Wettkampf kritisiert, ohne zu wissen, ob sie vielleicht Schmerzen hatten, weil sich gerade an diesem Tag der weibliche Zyklus gemeldet hat. Was für Frauen und somit auch Sportlerinnen Alltag ist, wird von Trainern, Verbänden und Funktionären nicht so behandelt.
Während die Industrie mit Menstruationstassen, Menstruationsunterwäsche und Menstruationsapps voranschreitet, hinkt der deutsche Leistungssport hinterher. t-online hat einen Facharzt, sowie aktuelle Spitzensportlerinnen des Landes gesprochen, um sich ein Bild zu machen. Wie groß ist der Rückstand des deutschen Leistungssports wirklich?
"Habe nicht das Gefühl, dass offen darüber gesprochen wird"
"Tatsächlich habe ich nicht das Gefühl, dass im Bahnradsport offen darüber gesprochen wird", sagt Emma Hinze zu t-online. Die 23-Jährige ist Bahnradsportlerin und hat bei den Weltmeisterschaften 2020 im Sprint, Teamsprint und Keirin gewonnen. "Ich finde, es ist kein Tabuthema, weil es nun mal Frauen im Leistungssport gibt. Es gehört dazu und jede Frau hat einmal im Monat ihre Tage. Es können damit Probleme wie Unterleibsschmerzen auftauchen und man sollte offen darüber sprechen können und sollen", sagt sie bestimmt und sicher im Gespräch.
Hinze hat das Glück, sich mit ihrem aktuellen Trainer über ihren Menstruationszyklus austauschen zu können, doch sie kennt es auch anders: "Manche Trainer tun so, als wäre das ein Thema, worüber man nicht offen reden kann. Wenn man das Gefühl bekommt, ist das schade. Es hängt so viel vom Körper ab."
"Viele Trainer haben nicht so viel Erfahrung mit Frauen"
Das bestätigt auch der Sportmediziner Prof. Dr. Dr. Patrick Diel von der Deutschen Sporthochschule Köln im Gespräch mit t-online. Er forscht bereits seit 20 Jahren zu diesem Thema. "In der Lutealphase des Menstruationszyklus, also nach dem Eisprung, ist die Verletzungsanfälligkeit bei Frauen höher als außerhalb dieser Zyklusphase. Das hat einen Einfluss auf die Trainingsempfehlung", sagt er. Doch viele Trainer wissen gar nicht, dass sich ihre Sportlerinnen in manchen Wochen des Monats schneller verletzen können, als in anderen.
"Viele Trainer im Sport haben nicht so viel Erfahrung mit Frauen", erzählt Wolfsburgs Torhüterin und Olympiasiegerin Almuth Schult im Interview mit t-online. Sie ergänzt: "Der Frauenleistungssport war Mitte des 20. Jahrhunderts sehr verpönt, egal in welcher Sportart und deswegen sind viele Trainer aus dem Männerbereich. Sie trainieren so, wie sie das gelernt haben. Ein weiblicher Hormonzyklus hat damit noch nicht viel zu tun gehabt."
"Es war früher einfach so, dass man vieles nicht ausgesprochen, sondern ausgesessen hat. Wenn ein Trainer einem das Gefühl gibt, dass man darüber sprechen kann, ohne, dass es unangenehm ist, dann macht man das auch eher, als wenn man sich komisch dabei fühlt", meint auch Hinze.
Periode kann Leistung beeinflussen
Ein wichtiger Punkt ist hierbei auch die Erforschung des Themengebietes. "Bis jetzt ist es ganz oft so, dass sportwissenschaftliche Studien darauf ausgelegt sind, männliche Probanden zu haben. Einfach weil es schwer ist vergleichbare Probandinnen zu finden und das auch noch auf einem Leistungssportniveau", sagt Schult. Das bestätigt auch Prof. Diel. "Frauenspezifische Aspekte sind meistens unter den Tisch gefallen. Wenn wir Studien mit Frauen durchführen, dann achten wir darauf, wie wir diesen 'Störfaktor' Menstruationszyklus in den Studien berücksichtigen. Das macht es sehr schwer, weil wir bei den weiblichen Probandinnen eine zyklusabhängige Studie durchführen müssen. Es muss erst geschaut werden, welche Frau sich in welcher Zyklusphase befindet."
Und dennoch sind diese Studien wichtig. Laut einer Umfrage der BBC mit 537 Athletinnen, gaben 60 Prozent davon an, dass ihre Periode einen Einfluss auf ihre sportliche Leistung hat. "Die Psychologie kann einen massiven Einfluss nehmen", sagt Professor Diel von der DSHS Köln. "Einmal kann dies durch das Prämenstruelle Syndrom (PMS) und die damit verbundenen Hormonschwankungen ausgelöst werden. Zum anderen kann die Frau sich durch die Menstruation nicht wohlfühlen. Und das kann wiederum die Leistung beeinflussen." Daher plädiert Almuth Schult für noch mehr Forschungen auf diesem Gebiet. "Der Ansatzpunkt muss sein, dass man gewillt ist, etwas darüber rauszufinden und in den Sport einzubinden."
Gerade auch, weil in der genannten Umfrage 40 Prozent angaben, dass sie es als unangenehm empfinden, mit ihrem Trainer darüber zu reden. Vorbild hierfür kann das Modell des FC Chelsea sein. Fußballtrainerin Emma Hayes schneidet ihr Training, seit Februar 2020, auf den Zyklus ihrer Spielerinnen zu. Und ist damit erfolgreich. Alleine in der nun beendeten Saison gewann ihr Team die FA Women's Super League, den FA Women's League Cup und wurde Zweiter in der Champions League der Frauen.
Um auch in Deutschland ein Umdenken zu schaffen, müsste mehr für das Thema sensibilisiert werden. "Wenn man darüber genug Erkenntnisse hat, dann müsste man den weiblichen Hormonzyklus mit in Trainerschulungen aufnehmen. Zumindest mal das Thema ansprechen. Vielleicht gibt es ja auch Trainer, die in Mannschaften arbeiten, die es interessant finden und mit ihrer Mannschaft helfen wollen, Erkenntnisse darüber zu bekommen. Nur wenn man auf Sachen aufmerksam macht, dann kann man auch Leute dafür gewinnen", meint Schult.
Weiblichen Zyklus in die Trainerausbildung aufnehmen
Das unterstützt auch Bahnradsportlerin Hinze. "Ich fände es eine gute Idee, den weiblichen Menstruationszyklus mit in die Trainerausbildung zu nehmen, da es hauptsächlich Trainer und nicht Trainerinnen gibt. Wenn man dazu keinen Bezug hat, ist es gut, wenn die Trainer einen Bezug dazu bekommen und den Sportlerinnen das Gefühl geben, dass sie sich dazu äußern können. Es ist nichts Verbotenes." Auch Professor Diel gibt einen Anstoß für Verbände und Trainer, darüber nachzudenken. "Wenn ich Trainer wäre und eine Person betreuen würde, die von der Trainingsleistung her enttäuscht, würde ich überlegen, ob es nicht sinnvoll wäre das Training auf den Menstruationszyklus umzustellen", sagt der Wissenschaftler.
"Die Teams, Vereine und Verbände, die das umsetzen, haben sich bewusster gemacht, mit wem sie zusammenarbeiten", sagt Schult. Doch ist das in Deutschland überhaupt Thema?
Auf t-online-Anfrage bei der DFB-Akademie, die Fußballtrainerinnen und Fußballtrainer ausbildet, antwortete Pressesprecher Peter Scheffler: "Im Rahmen der Neustrukturierung der Trainerausbildung ist das Thema bereits fest in den neuen Ausbildungsinhalten eingeplant und wird zukünftig in allen relevanten Ausbildungsmaßnahmen berücksichtigt."
Übergeordnete Frauenärztin in den einzelnen Sportarten?
Wann es soweit sein wird, ist jedoch nicht klar. Neben der Aufnahme in die Trainerausbildung schlägt Emma Hinze zudem eine übergeordnete Anlaufstelle vor. "Ich fände es gut, wenn es eine Sport-Frauenärztin geben würde, die sich auf die Auswirkungen im Sport spezialisiert hat und Informationen geben könnte. Dann kann man sich mit Ärztinnen austauschen, gezielt auch über meine Sportart", sagt die Sprint-Weltmeisterin.
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Eine Idee, die beim Bund Deutscher Radfahrer bisher nicht auf großen Anklang stößt. Auf Anfrage von t-online heißt es lediglich, dass dies ein interessantes Thema sei, das man mit den Teamärzten besprechen werde.
"Allerdings sind bei uns notwendigerweise Orthopäden und Sportmediziner im Einsatz, denn bei Wettkämpfen muss schnelle fachliche Hilfe geleistet werden, die in der Regel nach Stürzen benötigt wird. Da hilft ein Gynäkologe wenig. Unsere weiblichen Kaderathleten beraten sich da mit ihrem Arzt am Heimatort."
Tampon? "Man fragt ja auch nicht nach einem Taschentuch vor vorgehaltener Hand"
Doch genau hier bräuchte es laut Hinze mehr Informationen für die bestimmten Sportarten: "Ich gehe zwar zur Frauenärztin, aber sie kennt sich nicht mit meiner Sportart aus, das hat sie mir offen gesagt. Ich bekomme dann die Infos, die jede Frau bekommt. Aber für mich ist der Körper anders wichtig als bei anderen Frauen in anderen Jobs. Ich würde mir präzisere Details wünschen." Genau hier könnte eine übergeordnete Frauenärztin in den Verbänden helfen. Oder auch Trainer, die besser geschult werden. "Das wird noch kommen und dann bin ich gespannt, was man noch für Höchstleistungen rauskitzeln kann", sagt Schult.
Mehr Information bedeutet für Sportlerinnen mehr Wissen. Dadurch könnten bessere Leistungen entstehen und ein offeneres Miteinander. "Ich wünsche mir, dass man offen und ehrlich über die Periode reden kann, wenn man sie hat. Auch, dass man nicht vor vorgehaltener Hand flüstern muss, wenn man ein Tampon braucht. Sondern, dass man es einfach sagen kann. Man fragt ja auch nicht jemanden nach einem Taschentuch vor vorgehaltener Hand."
Bekommt der deutsche Leistungssport das in den Griff, gelingt es womöglich auch den Rückstand auf diesem Gebiet aufzuholen. Denn feststeht: Trainingspläne können angepasst werden. Leistungen können gesteigert werden. Aber der weibliche Zyklus bleibt, wie er ist.
- Eigenes Interview mit Emma Hinze
- Eigenes Interview mit Almuth Schult
- Eigenes Interview mit Prof. Dr. Dr. Patrick Diel, DHDS Köln
- Eigener Kontakt zur DFB-Akademie
- Eigener Kontakt zum Bund Deutscher Radfahrer e.V.
- FC Chelsea: Emma Hayes passt das Training auf den Menstruationszyklus an (Englisch)
- BBC: Ergebnisse der Umfrage unter britischen Spitzensportlerinnen (Englisch)