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Europameisterin Lea Schreiner über Doping, Heidi Klum und Essstörungen


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Kraftdreikämpferin über Dopingvorwürfe
"Sie brechen mir das Herz"


Aktualisiert am 30.07.2024Lesedauer: 5 Min.
Lea Schreiner: Mit 230 kg beim Kreuzheben holte sie den EM-Titel.Vergrößern des Bildes
Lea Schreiner: Mit 230 kg beim Kreuzheben holte sie den EM-Titel. (Quelle: privat Lea Schreiner)
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Lea Schreiner ist amtierende Europameisterin und achtfache Deutsche Meisterin im Kraftdreikampf. Trotzdem kennt auch die stärkste Frau Europas das Gefühl von Angst.

Es herrscht Krieg in der Ukraine und im Nahen Osten, der Klimawandel sitzt uns im Nacken und im Internet lesen wir Nachrichten voller Hass, Häme und Diskriminierung. Das alles schürt Angst. Prominente Persönlichkeiten beantworten in der Serie "Wovor haben Sie Angst, …?" die Frage nach dem furchtbarsten aller Gefühle, suchen Ursachen und Wege, mit ihm umzugehen.

Lea Schreiner, Europameisterin im Kraftdreikampf

"Nach dem Abitur packte ich meine Sachen, um als Au-pair nach Amerika zu fliegen. So sehr ich mich auch auf diese Zeit freute, ich hatte Angst, dass es mir ähnlich gehen würde wie meinen Freundinnen aus der Schule: Sie kamen alle mit extra Gepäck zurück – mit Übergewicht. Eine von ihnen hatte 30 Kilo zugenommen. Das sollte mir nicht passieren. Ich nahm mir vor, kein Fast Food zu essen und viel Sport zu machen.

Zur Person

Lea Schreiner, geboren 1995 in Köln, ist Europameisterin und achtfache Deutsche Meisterin im Kraftdreikampf, auch genannt Powerlifting. Kraftdreikampf setzt sich aus den Disziplinen Kniebeugen, Bankdrücken und Kreuzheben zusammen. Schreiner alias "Der Kran" holte als Teil des Nationalteams 2017 das erste Mal Gold bei der "Landesmeisterschaft NRW Junioren Kraftdreikampf" in der Gewichtsklasse bis 84 kg. Bei der Europameisterschaft 2024 holte sie in der Gewichtsklasse bis 76 kg den Titel.

Ich war zuerst nur laufen und schwimmen, später ging ich in ein Fitnessstudio, das zu einem Tennisklub gehörte. Dort trainierten nur wenige und überwiegend ältere Menschen. In Deutschland hatte ich mich zuvor nie getraut, an den Geräten im Fitnessstudio zu trainieren. Ich hatte mich von den anderen im Studio beobachtet gefühlt und weil sofort ein Trainer kam, um mich zu korrigieren. Ich fühlte mich nicht wohl, deshalb mied ich es.

Das war in dem kleinen Studio in Amerika anders und ich probierte alle Geräte aus. Nach ein paar Monaten Krafttraining betrachtete ich meinen kleinen Bizeps, der mittlerweile gewachsen war, im Spiegel. Es fühlte sich gut an, zu sehen, wie mein Körper sich veränderte.

Heute will ich nicht mehr weniger sein, sondern mehr.

In meiner Jugend hatte ich oft Germany's Next Topmodel geschaut. Wenn Heidi Klum zu einer Kandidatin sagte: "Hast du wieder Pommes gegessen? Das sieht man", dann hieß das für mich, dass Mehr-Sein nichts Gutes sei, sondern ich als Frau dünn sein sollte. Ich sollte weniger sein, weniger geben, bis ich fast nicht mehr da wäre. Wie viele andere Mädchen und Frauen sah auch ich Kohlenhydrate und Fette als meine Feinde an. Ich hatte Angst, zu viel zu essen und rutschte in eine Essstörung. Der Kraftsport hat mir geholfen, wieder viel und mit gutem Gewissen essen zu können, weil ich dadurch stärker wurde.

Ich wünschte mir, ich hätte früher mit dem Kraftsport angefangen. In der Schule habe ich Erfahrungen mit Mobbing gemacht und es hätte mir wahrscheinlich geholfen, wäre ich damals schon die Muskulöseste gewesen. Ich habe heute mehr Selbstbewusstsein und eine andere Körperhaltung – eine, die mir Respekt verschafft. Schon öfter habe ich gehört, dass dies manche Männer einschüchtert. Aber daran erkennt man, ob Männer mit sich selbst im Reinen sind oder eben nicht.

Eine Körperhaltung, die Respekt verschafft

Mein Aussehen macht Eindruck. Trotzdem habe auch ich Angst vor unangenehmen Situationen und ungewollten Kontakten mit Menschen, wenn ich nachts allein unterwegs bin. Ich habe Kraft, aber ich könnte mir nicht vorstellen, jemanden zu verprügeln.

Im Sommer merke ich extrem, wie ich als Frau mit vielen Muskeln auf der Straße angestarrt werde. Wenn ich im Stress bin und eine Gruppe von Männern mir einen Spruch drückt – da kann ich so selbstbewusst sein, wie ich möchte –, dann ist das nervig. Wenn ich gut gelaunt bin, spanne ich auch mal den Bizeps an, wenn ich Einkaufstüten nach Hause trage. Dann lachen die Leute, die starren.

Muskeln sind nicht nur für Männer

Ich werde aber auch häufig damit konfrontiert, dass Muskeln etwas für Männer seien. Dabei tue ich das, was die meisten Frauen wollen, wenn sie in ein Fitnessstudio gehen – den eigenen Körper formen. Wir sollten als Frauen endlich mehr sein dürfen. Muskeln sind nicht nur für Männer. Es ist cool, wenn man als Frau stark ist. Ich will zeigen, dass Kraftsport allein nicht männlich macht. Anders ist es mit Doping. Das kann dazu führen, dass man seine Weiblichkeit verliert.

Immer wieder begegnen mir Hasskommentare und Vorwürfe, dass ich als Frau ohne Doping nicht so muskulös aussehen könne, wie ich heute aussehe. Es sind meistens Männer, die sich nicht vorstellen können, dass das, was ich leiste, ohne Doping möglich ist. Dopingvorwürfe, die von Frauen kommen, brechen mir das Herz, weil ich für Frauen einstehen möchte. Ich will zeigen, dass für uns viel mehr möglich ist, als man glaubt. Wir sollten uns nicht unterdrücken und von anderen sagen lassen, das geht nicht.

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Ich will zeigen, dass Kraftsport nicht männlich macht

Seit 2019 bin ich im Powerlifting-Nationalkader und kann jeden Tag zwischen 6 und 23 Uhr auf Doping getestet werden. Ich muss melden, wo ich mich aufhalte, und muss innerhalb einer Stunde an dem Ort sein können, den ich angegeben habe. Wenn ich das nicht schaffe, habe ich eine Kontrolle verpasst und bei drei verpassten Kontrollen werde ich für Wettkämpfe gesperrt. Es ist viel Druck, weil ich immer erreichbar sein muss. Jederzeit könnte ein Anruf kommen, dass ich getestet werde. Die Angst, dass ich eine Kontrolle verpasse, ist immer da.

So wird regelmäßig bestätigt, dass ich nicht dope. Bei den Kontrollen kann ich nicht schummeln, weil eine Frau mit mir ins Bad kommt und dabei zusieht, wie ich den Becher fülle. Häufig ist es das Erste, was ich an einem Tag mache: Ich sitze auf dem Klo, mit einer völlig fremden Person im Raum, die mich genauestens beobachtet. Das ist unangenehm.

Wenn mir jemand in den sozialen Netzwerken unterstellt, dass meine Statur ohne Doping gar nicht möglich sei, dann sehe ich das als Kompliment. Ich hätte vor zehn Jahren nicht gedacht, dass ich einmal 230 Kilo hebe und Europameisterin werde.

Mehr Erfolg, mehr Angst

Vor Wettkämpfen ist die Angst trotzdem immer da. Sie ist mit dem Erfolg sogar stärker geworden, weil ich jetzt mehr zu verlieren habe als damals, als ich noch neu im Leistungssport war. Vor jedem Wettkampf stelle ich mir vor, was alles schiefgehen kann, und denke weniger daran, dass alles gut gehen wird. Ich trage eine gewisse Versagensangst in mir – ich habe Angst vor Verletzungen und davor, nicht hart genug zu trainieren. Ich habe Angst, dass das, was ich mache, nicht gut genug ist. Diese Ängste kann mir niemand nehmen. Je besser ich auf einen Wettkampf vorbereitet bin, desto schlimmer wird diese Angst. Es fühlt sich an wie früher in der Schule: Da war der Druck größer, wenn ich besonders viel gelernt hatte, weil ich unbedingt eine gute Note schreiben wollte. Wenn ich dagegen nicht gelernt hatte, war die Angst, zu versagen, viel kleiner.

Kurz vor dem Versuch im Wettkampf bin ich sehr aufgeregt: Mein Herz schlägt schneller, ich bin ein wenig zittrig. Aber das ist gut so, weil die Nervosität und Anspannung mich stärker machen können. Aktuell fühlen sich 200 Kilo eher leicht an, bei 230 Kilo werden aber auch meine Knie weich. Hätte ich keine Angst und würde die Stange mit 250 Kilo beladen lassen und schauen, was passiert, das wäre eher nicht so gut. Die Angst hilft mir, meine eigene Stärke einzuschätzen. Wenn ich dann auf die Plattform trete und an der Stange bin, verfliegt auch die Angst.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
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