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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Tour de France Der Tod fährt mit
Der Tod des Schweizers Gino Mäder hat die Diskussion um Sicherheit im Radsport neu entfacht. Das trifft besonders die heute startende Tour de France.
Es war ein beklemmender Moment gleich zu Beginn. Bei der Teamvorstellung der 110. Tour de France wurde es auf dem Vorplatz des weltberühmten Guggenheim-Museums in Bilbao plötzlich ganz still. Bei der Vorstellung der Equipe Bahrain Victorious wurde mit einer Gedenkminute des vor etwa zwei Wochen verstorbenen Gino Mäder gedacht.
Der talentierte Schweizer Radprofi war bei der Tour des Suisse in einer Abfahrt von der Straße abgekommen, einen Abhang hinuntergestürzt und am nächsten Tag in Krankenhaus gestorben. "Im Kopf und im Herzen fährt er immer mit", sagte sein deutscher Mannschaftskollege Phil Bauhaus sichtlich emotional.
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Mäder, der ohne den Sturz an diesem strahlenden Sommertag wohl mit seinem Team durch die Zuschauermassen am architektonischen Highlight des Baskenlandes zum Vorstellungspodest gerollt wäre, ist in diesen Tagen das bestimmende Thema bei der Frankreichrundfahrt. Sein Tod hat die Sicherheitsdebatte im Radsport neu entfacht.
In diese schaltet sich zuvorderst der ehemalige Profi Tony Martin ein. "So, wie ich es sehe, ist relativ wenig passiert. Gefühlt fahren wir immer noch mit demselben Standard rum wie zum Start meiner Karriere", sagte der 38-Jährige, der nach 13 Tour-Teilnahmen in Folge nun im zweiten Jahr als Zuschauer dabei ist. "Ich habe versucht, viel herbeizuführen, da ist aber relativ wenig bis gar nichts passiert."
Denk: "Stürze werden wahrscheinlich nicht vermeidbar sein"
Das Risiko ist omnipräsent – besonders zu Beginn der am Samstag im Baskenland startenden Tour de France (hier im Liveticker von t-online). Beim größten und renommiertesten Radrennen ist besonders die erste Woche von einem regelrechten Hauen und Stechen um die Positionen im Peloton geprägt. Ein Etappensieg kann den Verlauf einer ganzen Karriere prägen. Daher sind die Fahrer noch etwas motivierter als sonst, wollen sich präsentieren – und die Sponsorenlogos auf den Teamtrikots möglichst lange einem Weltpublikum im TV präsentieren.
Bei den ersten Etappen kommt die besondere Streckencharakteristik mit vielen kleinen, engen Straßen und steilen, oft kurvenreichen Abfahrten dazu. "Es können nicht alle vorn fahren. Deswegen nimmt das Feld so eine Eigendynamik an. Stürze werden wahrscheinlich nicht vermeidbar sein", prognostizierte Ralph Denk, der Teamchef des einzigen deutschen Tour-Teams Bora-hansgrohe.
Bei ihm und auch seinen sowie anderen deutschen Fahrern ist Mäders Tod allgegenwärtig. "Es lässt einen nicht kalt, gerade wenn man bei der Tour de Suisse live dabei war. Es ist eine schwere Sache zu verdauen, wenn man mit jemandem einen Tag zuvor noch geredet hat", sagte beispielsweise Simon Geschke vom französischen Cofidis-Team.
Beim 37-jährigen Routinier fährt daher die Vorsicht bei den Abfahrten mit. "Ausblenden tut man es nicht. Man weiß, dass die Sturzgefahr immer besteht. Ich fahre schon immer vorsichtig und hoch konzentriert", so der gebürtige Berliner, der im Vorjahr mehrere Etappen das Trikot des besten Bergfahrers trug.
- Drama bei 100 km/h: So kam es zu Mäders tödlichem Unfall
Geschke weiß aber auch: "Radsport ist immer gefährlich. Es ist schnell, wir haben nicht viele Knautschzonen. In den Abfahrten wird super schnell gefahren, aber auch auf den Flachetappen. Bei der Streckenführung wurde schon viel gemacht, aber das Risiko wird immer bleiben. Man kann den Radsport nicht zu 100 Prozent sicher machen."
Solche und ähnliche Sätze hört man zu Beginn der Frankreichrundfahrt 2023 immer wieder. So auch von Ex-Profi Tony Martin ("Radsport ohne Stürze und schwere Verletzungen wird es nicht geben"), der allerdings anschließt, dass man "viele Gegenmaßnahmen" unternehmen könnte.
Eine solche soll "SafeR" sein. Hinter diesem kryptisch anmutenden Begriff verbringt sich eine neue Datenbank, die der Radsport-Weltverband UCI, die Tour-Organisation ASO sowie Teams und Fahrergewerkschaft in Bilbao vorstellten. In dieser werden bereits gefährliche Situationen in Rennen wie Stürze erfasst, um Fahrer für entsprechende Stellen zu sensibilisieren. Das Problem aus Sicht der aktuellen Tour-Teilnehmerschaft: Voll einsatzfähig soll "SafeR" erst 2025 sein.
Dennoch hält UCI-Präsident David Lappartient das Projekt für geradezu zwingend notwendig. "Unsere Mission ist es, die Straßen sicherer zu machen. Die Geschwindigkeit der Fahrer wird höher und höher, es wird deutlich gefährlicher", sagte der Franzose. Das bestätigten die bisherigen Erkenntnisse, die aus der Datenbank gewonnen wurden. Demnach läge man mit fast 200 Vorfällen bereits 24 Prozent über dem Niveau des Vorjahres.
Dreistellige Geschwindigkeiten in der Abfahrt
Ein Grund dafür ist, dass die Räder aufgrund technischer Entwicklungen immer schneller werden. Dreistellige Geschwindigkeiten sind in einer Abfahrt nichts Besonderes mehr. Auch Mäder soll bei seinem tragischen Unfall um die 100 km/h schnell gewesen sein.
"Wenn man mit diesem Tempo in eine Kurve fährt, ist so ein Rad nicht mehr stabil. Wenn man sich dann verschätzt oder versteuert, kann so etwas leider passieren. Es scheint ein Fahrfehler gewesen zu sein, zumal die Strecke trocken war", erklärte Fabian Wegmann bei t-online. Der 42-Jährige startete selbst siebenmal bei der Tour und plant heute als sportlicher Leiter die Strecke der Deutschland-Tour.
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Er gibt zu bedenken, dass man "eine hundert Kilometer lange Strecke leider nicht komplett absperren und an jeder Kurve Fangnetze aufbauen" könne, und beschreibt damit ein Grundproblem. Ähnlich sieht es Bora-hansgrohe-Teamchef Denk: "Das zu sichern auf einem Standard, wie es zum Beispiel im Skirennsport in Kitzbühel mit dreifachen Fangnetzen der Fall ist, ist nicht möglich."
Diskutiert wird darüber allerdings schon. So sollen in Abfahrten zumindest bestimmte, neuralgische Punkte durch entsprechende Netze gesichert werden. Letztendlich ist das allerdings – wie so oft – eine Frage des Geldes.
60 Prozent aller Stürze auf den letzten 40 Kilometern
Die Sicherheitsthematik betrifft jedoch nicht nur Abfahrten. Auch andere Streckenabschnitte wie Ortsdurchfahrten, Verkehrsinseln, Kreisverkehre und natürlich Sprintankünfte bergen Gefahren. Laut der Datenbank "SafeR" passieren zudem 60 Prozent aller Stürze auf den letzten 40 Kilometern eines Rennens.
Das sind nur einige Beispiele, an denen die Verantwortlichen ansetzen wollen. UCI-Präsident Lappartient kündigte in Bilbao in einer Mitteilung überdies "eine große Entwicklung in der Sicherheit im professionellen Radsport" an. Ob es diese wirklich geben wird, darf zumindest bezweifelt werden.
Veränderung in puncto Sicherheit gab es in den vergangenen Jahren indes schon. Seit dem lebensgefährlichen Sturz des Niederländers Fabio Jakobsen bei der Polen-Rundfahrt vor drei Jahren werden bei Sprintfinals beispielsweise spezielle Banden statt einfacher Absperrgitter aufgestellt.
Dennoch wird ein Grunddilemma des Radsports bleiben. "Das Risiko hat schon immer dazugehört, so tragisch es ist. Radsport ist ein gefährlicher Sport, der nun einmal auf der Straße stattfindet", fasst Ex-Profi Wegmann zusammen. Der aktuelle deutsche Meister Emanuel Buchmann unterstreicht dies: "Es ist schon immer präsent, dass etwas passieren kann. Ich denke, das muss man ein Stück weit ausblenden. Sonst kann man den Sport nicht auf Dauer machen."
- Gespräch mit Fabian Wegmann
- sport.de: Flirt mit dem Limit: Tour zwischen Sicherheit und Spektakel
- ardmediathek.de: Teamvorstellung der Tour de France in Bilbao
- sport1.de: "Paar Leuten gehört der Arsch versohlt"
- sportschau.de: Schmaler Grat zwischen Spektakel und Risiko
- kicker.de: Flirt mit dem Limit: Tour de France zwischen Sicherheit und Spektakel
- Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und SID