Versagen der Verbände und Organisationen Studie zeigt: Kindesmissbrauch im Sport unzureichend aufgeklärt
Gewalt und Missbrauch sind auch im Sport ein Problem. Eine neue Studie zeigt nun: Die Aufarbeitung der Ereignisse wird häufig erschwert.
Es sind erschütternde Erzählungen: junge Sportler, Kinder und Jugendliche, denen von ihren Trainern und Betreuern schwere Gewalt angetan wurde. Eine Studie der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindermissbrauchs hat sich nun mit 72 Berichten von Betroffenen sowie Zeugen auseinandergesetzt. In den meisten Berichten sei es dabei nach Angaben der Sportsoziologin Bettina Rulofs um schwere sexuelle Übergriffe und Vergewaltigungen gegangen.
"Vor dem Machtmissbrauch, der Gewalt liegt das Vertrauen", sagt Angela Marquardt, Mitglied des Betroffenenrats bei der Kommission. Gerade im Sport existiere viel Vertrauen, etwa aufseiten der Eltern, die ihre Kinder in einen Sportverein geben.
Männlich dominierte Hierarchien
Nur die wenigsten Fälle werden der Studie zufolge aufgedeckt und aufgearbeitet. Stattdessen erlebten Betroffene häufig, dass ihre Erfahrungen negiert, bagatellisiert und verschleiert würden. Dabei handele es sich nicht um Einzelfälle. Besonders im organisierten Sport trügen die Strukturen demnach dazu bei, dass Aufklärung und Aufarbeitung erschwert werde.
Dazu gehöre die Fixierung auf den sportlichen Erfolg, die Abhängigkeit von ehrenamtlichen Mitarbeitenden sowie das große Machtgefälle zwischen Sportlern und Trainern. Die Täter seien überwiegend männlich, aus dem direkten oder nahen Umfeld und stünden in machtvollen Positionen.
Schwere Folgen für Betroffene
Das in der Gesellschaft positive Image des Sports trage auch dazu bei, dass viele Betroffene kein Gehör fänden, weil sie diese positive Erzählung durchbrächen. "Verbände, Vereine und Verantwortungsträger im Sport entwickeln aus Perspektive der Betroffenen eine enorme Hartnäckigkeit und Unverfrorenheit, wenn es darum geht, sich vor die Täter zu stellen und die Erfahrungen von Betroffenen abzuwehren", sagt Sportpsychologin Rulofs.
Mit schweren Folgen für die Betroffenen: "Es ist immer da und geht nicht aus dem Kopf", wird eine der Betroffenen in der Studie zitiert. Rulofs sagt: "Sie leiden häufig unter gesundheitlichen Folgeschäden, unter posttraumatischen Belastungsstörungen, unter Depressionen und psychosomatischen Erkrankungen." Noch immer sei das Tabu groß, über diese Erfahrungen zu sprechen. Dementsprechend groß sei die Dankbarkeit gegenüber denjenigen, die es doch tun.
Versagen die Verbände?
Marquardt sieht ein Versagen der Organisationen und Institutionen. "Es sind immer wieder die Betroffenen, die diese Wege gehen müssen", sagt sie. Der beste Dank für sie wäre "eine konsequente und schonungslose Aufarbeitung im Sport, konsequentes Handeln und die Wahrheit über das, was auch im Sport passiert, zuzulassen." Dazu bräuchte es ein Recht auf Aufarbeitung und Handlungskonzepte, die solche Vorfälle verhindern helfen. "Der Sport hat sich diesem Thema zu stellen", fordert Marquardt.
Neben vielem anderen bräuchte es ihrer Meinung nach unabhängige Anlaufstellen für Betroffene. So wie es das von der Vereinigung Athleten Deutschland angeregte Zentrum für Safe Sport sein könnte. "Ihre Befunde erschüttern uns", hieß es in einer Mitteilung der Vereinigung zu der Studie. "Auch wir finden unsere anekdotischen Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit Betroffenen in der Studie wieder". Einmal mehr werde die Notwendigkeit einer unabhängigen Instanz sowie unabhängigen Anlauf-, Melde- und Untersuchungsmechanismen deutlich.
Dass die Finanzierung des Zentrums noch immer nicht gesichert sei, weil sich der organisierte Sport, unter anderem der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB), nicht beteiligen wolle, sorgte auf dem Podium in Berlin für Unverständnis. "Wir sind uns der Verantwortung bewusst", beteuerte der DOSB in einer ersten Reaktion auf die Studie. Der Dachverband unterstützt das Zentrum, spricht sich allerdings für eine vollumfängliche und langfristige Finanzierung durch den Bund aus. "Wasch meinen Pelz, aber mach' nicht nass. Da lassen wir den Sport mit Sicherheit nicht aus der Verantwortung", sagt Marquardt.
- Nachrichtenagentur dpa