Handballer greifen nach Gold Gislason, der Entwicklungshelfer
Dass Deutschlands Handballer bei Olympia um Gold spielen, liegt auch an Trainer Gislason. Der Isländer hat das junge Team quasi selbst erschaffen. Die Querelen aus dem Frühjahr sind vergessen.
Genugtuung verspürt Alfred Gislason nicht. Der Bundestrainer der deutschen Handballer empfindet vielmehr Stolz, wenn er sieht, wie sein eigenes Geschöpf gedeiht. "Es ist Wahnsinn, diese Entwicklung der Mannschaft zu beobachten. Dass wir so weit sind mit so einem jungen Team, das hätte doch niemand gedacht", befand der Isländer nach dem sensationellen Einzug ins Olympia-Finale.
Das Spiel um Gold ist schon jetzt der größte Erfolg des DHB-Teams seit Olympia-Silber 2004 in Athen, dem WM-Triumph 2007 im eigenen Land sowie dem EM-Coup 2016. Mit einem Sieg gegen Weltmeister Dänemark am Sonntag (13.30 Uhr/ZDF und Eurosport) kann die Mannschaft um Juri Knorr die deutschen Festspiele krönen. "Wir haben jetzt noch ein Spiel, um in die Geschichte eingehen zu können. Irgendwie sind wir noch nicht fertig. Jetzt wollen wir es auch zu Ende bringen", kündigte Rückraumspieler Julian Köster an.
Gislason "der Kopf des Ganzen"
Wer über den deutschen Siegeszug unter den fünf Ringen redet, der redet über die Glanzleistung von Renars Uscins im Viertelfinale gegen Frankreich. Oder über die Monster-Paraden von Andreas Wolff im Halbfinale gegen Spanien. Nur selten steht Gislason im Mittelpunkt. Was auch daran liegt, dass der 64-Jährige selbst lieber "den Jungs" den Vortritt lässt.
Wenn die Mannschaft auf dem Parkett feiert, sitzt der Mann von der brodelnden Vulkaninsel oft alleine an der Seitenlinie. Tief versunken in einem Stuhl und mit ausgebreiteten Armen beobachtet er aus sicherer Entfernung still und leise das bunte Treiben. Fast so, als würde er gar nicht dazugehören. Dabei sei er "der Kopf des Ganzen" und gebe die Richtung vor, beschrieb Spielmacher Knorr in einem ARD-Interview im Januar die wichtige Rolle des Handball-Lehrers.
Die Chemie zwischen Gislason und seinen Spielern stimmt. Sein trockener Humor sorgt auch abseits des Feldes für gute Stimmung. Überhaupt hat sich Gislason über die Jahre verändert. Er wirkt weicher, redet fast schon zärtlich mit seinen Schützlingen. Der strenge, von Ehrgeiz zerfressene Handballtrainer ist Vergangenheit. "Er ist, finde ich, lockerer geworden die letzten Jahre", bestätigte Ruhne Dahmke. Der Linksaußen muss es wissen, hat er doch beim THW Kiel viele Jahre lang unter Gislason gespielt.
Umbruchsmanager und Entwicklungshelfer
Seit Februar 2020 ist Gislason Nationalcoach der DHB-Männer. Die ersten Jahre als turbulent zu beschreiben, wäre wahrscheinlich noch untertrieben. Immer wieder war Gislason als Umbruchsmanager und Entwicklungstrainer gefordert, weil Routiniers verletzungsbedingt ausfielen oder aus familiären Gründen absagten. Gislason musste improvisieren, setzte vor allem auf junge Kräfte.
Die EM 2022 war das erste große Turnier von Rückraum-Ass Julian Köster. Die WM im vergangenen Jahr gilt als Geburtsstunde von Spielmacher Knorr. Bei Olympia trumpft U21-Weltmeister Uscins (22) groß auf. Für Marko Grgic (20) ist es das erste Großevent mit dem Nationalteam.
Nach und nach formte Gislason die Truppe, die bei den Spielen in Frankreich als jüngstes Team begeistert. "Ich bin ins Risiko gegangen", sagte Gislason über den großen Umbruch. Es sei nicht normal, dass Jungs des Jahrgangs 2002 oder 2003 und mit wenigen Länderspielen schon so weit seien. "Das spricht unglaublich für das Team und für den Charakter der Mannschaft", urteile Gislason. Vor allem spricht es aber für den 64-Jährigen.
Wirbel um Gislasons Vertragsverlängerung
Dessen Zukunft vor ein paar Monaten noch nicht einmal vollumfänglich geklärt. Zwar verlängerte der DHB im März den Vertrag des Isländers bis nach der Heim-WM 2027 - aber nur unter Vorbehalt. Hätte Gislason mit dem Team die Olympia-Qualifikation nicht geschafft, wäre das Arbeitspapier in diesem Jahr ausgelaufen. Dass der DHB seinen Bundestrainer damals mit dieser unnötig kommunizierten Vertragsklausel schwächte, nervte diesen.
Im Glücksrausch von Lille scheinen die Querelen aber vergessen. Gislason wird nicht müde zu betonen, wie viel Freude es ihm bereite, mit dieser talentierten Mannschaft zusammenzuarbeiten. Und genau dieser Spaß an der Arbeit verdrängte im März auch die lästigen Nebengeräusche. "Ich habe mich mit meiner Verlängerung für die Mannschaft entschieden. Ich wollte einfach mit dieser Mannschaft weiterarbeiten. Egal, was ist", sagte Gislason und ergänzte: "Ich wusste, dass es wird".
- Nachrichtenagentur dpa