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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Deutschlands Hoffnungsträger Er hat sich verändert
Deutschland ist bei der Handball-EM gut ins Turnier gestartet. Das lag auch an Juri Knorr. Der Spielmacher im deutschen Kader ist ein Schlüsselspieler im DHB-Team.
Ältere deutsche Handballfans erleben zurzeit ein kleines Déjà-vu. Denn wie schon in den 1990er-Jahren jubeln sie einem Knorr zu. Doch statt Thomas ist es nun dessen Sohn Juri, der das Trikot der Nationalmannschaft trägt. In Sachen Toren wandelt der Junior zweifellos auf den Spuren des Seniors. Denn nach zwei Spielen bei der diesjährigen Heim-EM hat Juri Knorr bereits 16 Treffer erzielt. Vater Thomas wurde 1996 mit 41 Treffern EM-Torschützenkönig – in nur 6 Spielen. Bis heute ist Knorr der einzige Deutsche, der am Ende einer Europameisterschaft die meisten Treffer erzielt hat.
Das Ziel, Torschützenkönig bei einer EM zu werden, hat Juri Knorr nicht öffentlich formuliert. Dagegen hätte er wohl nichts, im Vordergrund steht für den 23-Jährigen jedoch der Erfolg mit dem Team. "Natürlich wäre eine Medaille der Traum von jedem von uns. Bei so einem Heimturnier kann immer etwas Besonderes passieren, getragen von den Massen in den hoffentlich ausverkauften Hallen", sagte er im Dezember im Interview mit der "Süddeutschen Zeitung". "Aber in erster Linie sollte es darum gehen, eine Begeisterung zu wecken, auch bei denen, die vielleicht nicht so häufig Handball schauen."
Das ist der deutschen Handball-Nationalmannschaft bisher gelungen. Den EM-Auftakt in Düsseldorf am vergangenen Mittwoch sahen 7,6 Millionen Menschen. Das zweite Spiel am Sonntag trotz "Tatort"-Konkurrenz mehr als 7,3 Millionen. Die Euphorie vor dem Spitzenduell am Dienstag gegen Frankreich wächst, doch der kommende Gegner hat es in sich.
Der Topfavorit mit der "Wahnsinnsbank"
Nordmazedoniens Nationaltrainer Kiril Lazarov, der bereits gegen den Olympiasieger ranmusste, sagte am Sonntag auf t-online-Nachfrage: "Frankreich ist eins der besten Teams der Welt. Sie haben die vielleicht besten Spieler der Welt und spielen immer gleich, aber es ist trotzdem sehr schwer, gegen sie zu spielen."
Deutschlands Bundestrainer Alfred Gíslason pflichtete Lazarov bei: "Wir müssen eins unserer besten Spiele der letzten Jahre bringen, um die Franzosen zu schlagen. (...) Die sind neben Dänemark der Topfavorit auf den Titel. Sie sind extrem gut in jedem Bereich des Handballs und haben auch eine Wahnsinnsbank."
Für einen Sieg gegen Frankreich braucht Gíslason einen stark aufgelegten Juri Knorr. Der Profi von den Rhein-Neckar Löwen ist das Schaltzentrum der deutschen Offensive. Als Mann im zentralen Rückraum macht er die Ansagen, dirigiert nahezu jeden Angriff und übernimmt selbst gerne Verantwortung. Sein Talent ist kaum zu übersehen. Genau deshalb ist Bundestrainer Gíslason bei Knorr besonders kritisch. Er weiß, was in ihm steckt.
"Das hat er mir im persönlichen Gespräch genauso gesagt"
Nach einem Testspiel gegen Island vor der WM 2023 hatte der 64-Jährige im ZDF kritisiert: "Knorr macht ein sehr gutes Spiel – 40 Minuten lang. Aber er macht unglaublich teure Fehler im Angriff. Er macht sehr, sehr viele technische Fehler in der Schlussphase."
Gíslason will seinen Schützling kitzeln, ihn fördern und weiterentwickeln, damit er zu dem Topspieler wird, den er in ihm sieht. Bei Knorr kommt das gut an. "Alfred ist ein Bundestrainer, der in seiner Ansprache und in seinem Umgang sehr direkt ist. Das schätze ich, und es ist mir lieber, als würde das hinter meinem Rücken passieren. Was Alfred im Fernsehen gesagt hat, hat er mir genauso im persönlichen Gespräch gesagt. So war unser Austausch immer, und das bringt mich auch weiter", sagte der Rechtshänder der "Süddeutschen Zeitung".
Genau deshalb kann man sicher sein, dass Gíslason das Lob, das er nach dem Nordmazedonien-Spiel am Sonntagabend auf der Pressekonferenz an Knorr verteilte, ihm persönlich bereits gegeben hatte. "Juri hat in der Liga ein bisschen Kritik bekommen, dass er nicht ganz so gut ist wie im Vorjahr. Und ich habe versucht, es damit zu erklären, dass er einfach ein bisschen anders spielt. Er ist beweglicher, er spielt besser für die Rückraumspieler neben sich", so der Bundestrainer. "Er ist noch so jung, dass er sich von Jahr zu Jahr weiterentwickelt. (...) Er wird auch langsam besser in der Abwehr, was extrem wichtig ist, weil er den Ball super nach vorne treiben kann."
Gegen die Schweiz wurde Knorr noch häufiger rausrotiert, wenn die Defensive ranmusste. Gegen Nordmazedonien blieb er dann oft auf der Platte, wenn der Gegenüber den Ball hatte. Ein kleines Sinnbild für die Veränderung, die Knorr auch in der Nationalmannschaft durchgemacht hat.
Ein Spiel der Extreme
Knorr macht sich viele Gedanken darüber, was um seine Person passiert. Er ist schon seit vielen Jahren dem Druck der Öffentlichkeit ausgesetzt. Knorr spielte in der Jugend nicht nur Handball, sondern auch Fußball. Seine Teams: der VfB Lübeck und der Hamburger SV. Doch er entschied sich für den Handball, weil er ihm mehr Spaß machte und der Druck ein wenig geringer war.
Am vergangenen Mittwoch, als Deutschland gegen die Schweiz den EM-Auftakt feierte, spürte Knorr, wie es ist, Fußballspieler zu sein. Denn er lief mit der DHB-Auswahl in der Merkur Spiel-Arena in Düsseldorf auf, dem Fußballstadion des Zweitligisten Fortuna Düsseldorf. Mehr als 53.000 Menschen waren vor Ort.
Um auf solche Momente vorbereitet zu sein, greift Knorr auch auf Mentaltrainer zurück, die ihm helfen sollen, mit dem Druck und den Hoffnungen der medialen Öffentlichkeit und der deutschen Handballfans umzugehen. "Was von mir erwartet und was über mich geschrieben wird, das ist ein Spiel der Extreme, das geht rauf und runter", so Knorr.
Besonders extrem war für ihn die Zeit um die EM 2022. Denn die verpasste er, weil er ungeimpft war. Das Turnier in Ungarn und der Slowakei fand unter 2G+-Bedingungen statt. Knorr hatte sich im November 2020 mit dem Coronavirus infiziert, seinen Status als "genesen" verlor er jedoch nach sechs Monaten. Der Profi aber ließ regelmäßig seine Antikörper und Covid-19-spezifischen T-Zellen, welche virusbefallene Zellen zerstören, regelmäßig testen. Knorr setzte auf diese Form der Immunität. Wenn diese weg sei, werde er sich mit einer Impfung auseinandersetzen. "Es ist nicht so, wie es aussieht. Ich bin kein Corona-Leugner", sagte er dem "Mannheimer Morgen": "Mich hat es selbst schwerer erwischt als andere in meinem Alter. Deswegen nehme ich diese Krankheit ernst."
An der EM konnte er daher nicht teilnehmen. Die damit verbundene Diskussion um seine Person machte ihm zu schaffen. "Das war schon heftig", sagte er später. Bei der Weltmeisterschaft ein Jahr später war er wieder dabei, weil er dann entweder geimpft oder genesen war.
An der Beliebtheit als Nationalspieler hat das Thema Impfung wenig verändert, Knorrs Name wird von den Fans bei der Kader-Bekanntgabe vor den Spielen laut gerufen. So auch am Dienstag, wenn es gegen Frankreich rangeht. Dort wird der 23-Jährige auf sein Mentaltraining und seine neu dazugewonnen Erfahrungen zurückgreifen. Denn gegen den Titelfavoriten werde es genau darauf ankommen, betonte Knorr nach dem Spiel gegen Nordmazedonien in der Mixed Zone: "Das Taktische wird wichtig sein, aber das Mentale wird es entscheiden. Wie bereit wir sind, wie emotional wir dagegen stehen können."
Es wird eine Partie, die den Deutschen alles abverlangen wird. Aber es ist auch die Partie, die die Deutschen so beflügeln kann, wie keine andere. Das wird Juri Knorr spüren, wenn er ab 20:30 Uhr auf der Platte in Berlin steht.
- Eigene Teilnahme an Pressekonferenz mit Alfred Gíslason
- Mixed Zone mit Juri Knorr
- dhb.de: "DER APFEL FÄLLT NICHT WEIT VOM HANDBALL-STAMM"
- sueddeutsche.de: "'Es ist ein Spiel der Extreme'"
- handball-world.com: "Gislason kritisiert Knorr: 'Er macht unglaublich teure Fehler'"
- mannheimer-morgen.de: "Rhein-Neckar Löwe Juri Knorr erklärt, warum er nicht geimpft ist"