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Regina Halmich erinnert sich an Raab-Kampf: Das brachte er der Boxerin


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Boxgröße Regina Halmich
"Henry Maske sagte: Es tut mir leid"


Aktualisiert am 01.04.2024Lesedauer: 9 Min.
Gelungener Karriereabschluss: Regina Halmich (r.) im Boxkampf gegen Hagar Shmoulefeld Finer (Israel) im November 2007.Vergrößern des Bildes
Gelungener Karriereabschluss: Regina Halmich (r.) im Boxkampf gegen Hagar Shmoulefeld Finer (Israel) im November 2007. (Quelle: imago-images-bilder)
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Die langjährige Weltmeisterin spricht über Karrierehürden, über eine Entschuldigung von Henry Maske – und über Wege aus der deutschen Boxkrise.

56 Kämpfe, 54 Siege, zwölf Jahre lang ungeschlagene Weltmeisterin: Regina Halmich gehört zu den Größten des deutschen Boxsports. Die heute 47-Jährige war eine der führenden Figuren des Boxbooms um die Jahrtausendwende, als Übertragungen bei den Öffentlich-Rechtlichen und bei RTL Einschaltquoten in Millionenhöhe erreichten und Halmich, Henry Maske oder Wladimir und Vitali Klitschko zu internationalen Stars des Sports wurden. Und: Halmich erlangte Berühmtheit und sportlichen Erfolg in einer Zeit, zu der der Begriff "Gleichstellung der Geschlechter" im Sport – zumal im Boxen – noch ein Fremdwort war.

Das ist lange her. Das deutsche Boxen darbt sowohl bei den Frauen als auch bei den Männern, große Kämpfe, dazu noch im Free-TV, fehlen seit Jahren. International allerdings ist besonders das Frauen-Boxen stetig populärer geworden, und bei den Männern wartet mit dem anstehenden Schwergewichtsduell von Tyson Fury und Alexander Usyk der nächste Mega-Fight.

Halmich ist auch heute noch aufmerksame Beobachterin des Sports – und sieht die Entwicklungen kritisch. Zum Interview in der t-online-Redaktion erscheint die gebürtige Karlsruherin bestens gelaunt. Ein Gespräch über harte Kämpfe hinter den Kulissen, über eine Entschuldigung von Henry Maske – und über Wege aus der deutschen Boxkrise.

t-online: Regina Halmich, in den USA oder Großbritannien sind heute Frauenkämpfe oft die Attraktion von Box-Events – die US-Amerikanerin Claressa Shields oder die Irin Katie Taylor kassieren Millionenbörsen. Sehen Sie sich als Wegbereiterin?

Regina Halmich: Na ja, ich bin ganz ehrlich: Wenn ich in meinen letzten Kämpfen nicht mehr das gute Geld verdient hätte, würde ich heute wahrscheinlich sagen: Ich habe die Vorarbeit geleistet, und die sahnen jetzt ab (lacht). Aber da ich mir auch ein finanzielles Polster geschaffen habe und es mir gut geht, lebt es sich natürlich besser. Ich muss außerdem sagen: Die Frauen haben es heute immer noch schwer, und ich gönne es wirklich jeder, die Millionen verdient, jeden Cent. Neid war für mich nie eine Option.

2007 haben Sie Ihre große Karriere beendet. Wie hat sich das Frauen-Boxen seitdem entwickelt?

Die Mädels machen eine Riesenshow und vermarkten sich, entweder sind sie supersexy – oder sie pöbeln herum wie Shields und sorgen damit für Aufmerksamkeit. Sportlich ist es noch athletischer geworden, technisch anspruchsvoller. Und es ist vor allem in der Breite gewachsen. Bei mir wurde die Konkurrenz kurz vor meinem Karriereende auch schon größer. Aber jetzt – das ist richtig geiles Boxen.

Die Frage stellt sich: Wäre es für Sie heute schwieriger als damals?

Das sind theoretische Fragen. Nuancen können entscheiden. Mit dem Universum-Boxstall waren wir damals ja schon in Europa die Nummer eins. Ich hätte auch andere Sparringspartnerinnen. Zu meiner aktiven Zeit wurden die von überallher eingeflogen, wenn ich gesagt habe: Da habe ich eine gesehen, mit der will ich trainieren. Die haben gutes Geld dabei verdient. Mit den richtigen finanziellen Mitteln kann man viel machen. Ich würde mich heute auch weiterentwickeln.

Zurzeit wird über ein Comeback vom mittlerweile 57-jährigen Mike Tyson spekuliert, auch andere Größen sind immer wieder mal zurückgekommen. Hat Sie eine Rückkehr nie gereizt?

Nein, ich habe alle Rechnungen beglichen. Die Boxerin, die mir meine einzige Niederlage zugefügt hat (die US-Amerikanerin Yvonne Trevino, Anm. d. Red.), hat mehrere Angebote bekommen und alle abgelehnt. Das ist dann eben so.

Sie sind dem Boxen aber trotzdem verbunden geblieben.

Ich berate einige Boxerinnen und Boxer. Aber das mache ich privat, da gebe ich gerne Tipps, beispielsweise für Vertragsverhandlungen. Mit Nina Meinke (Berliner Boxerin im Federgewicht, Anm. d. Red.), die in der Nacht zu Sonntag in Puerto Rico gegen Superstar Amanda Serrano antritt, bin ich in Kontakt. Aber um ehrlich zu sein: Ich möchte mein Geld in dieser Männerdomäne – und es ist noch immer eine Männerdomäne – nicht mehr verdienen. Natürlich wird meine Leidenschaft immer bleiben. Aber ich will mich damit nicht mehr herumschlagen.

Das klingt ernüchtert. Sie mussten zu Ihrer aktiven Zeit viel kämpfen – nicht nur im Ring …

Die Kämpfe hinter den Kulissen waren so hart wie die Kämpfe im Ring. Die ständigen Erklärungen, die ständigen Rechtfertigungen: Warum ich das denn mache, warum ich mich denn für diesen Beruf entschieden habe. Und nachdem die Leute das irgendwann verstanden hatten, ging es aber weiter.

Die Schwierigkeiten nahmen nicht ab?

Dann ging es darum, dass ich anständig bezahlt werde. Man hat mich lange kleingehalten. Auch das ZDF wollte meine Kämpfe zuerst nicht übertragen. Das war ein ganz langer Kampf für mich, den auch mein Promoter Klaus-Peter Kohl (Gründer und langjähriger Chef des Universum-Boxstalls, Anm. d. Red.) mitgekämpft hat. Er hat sich mit denen angelegt und gesagt: Ihr könnt ihre Kämpfe zeigen, lasst es uns versuchen, sie wird gut ankommen.

Wie war die Reaktion?

Das waren natürlich alles Männer in den Führungsetagen – und die konnten sich überhaupt nicht vorstellen, dass Frauen-Boxen ein Hauptprogramm sein kann.

Dann kamen Sie …

Ich war das Experiment. Man hat mich nach und nach ins Hauptprogramm gerückt. Und sofort bei meiner ersten Übertragung hatte ich fünf Millionen Zuschauer. Da verstummten die Kritiker langsam, und das Publikum wuchs immer weiter. Sechs Millionen, sechseinhalb, Richtung Abschied waren es dann sieben, acht Millionen – und bei meinem letzten Kampf dann sogar neun Millionen. Das war wirklich einmalig. Und wissen Sie was?

Ja?

Zum Schluss sagten die vom ZDF, sie hätten immer an mich geglaubt (lacht). Wer meinen Weg verfolgt hat, weiß also, wie hart es für mich war. Und auch oft für meine Familie. Die musste sich ebenfalls rechtfertigen.

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Rechtfertigen?

Da kamen Fragen wie: "Mensch, kann eure Tochter denn nichts anderes?" oder "Warum lasst ihr die denn boxen?" Das war nicht schön. Zumal es auch lange gedauert hat, dass ich davon leben konnte und auch die Sponsoren überzeugt waren.

Trotz Ihrer Erfolge?

Ein Beispiel: Mein Management hatte damals eine Anfrage gestellt an einen großen Sporthersteller. Die haben dann gesagt: "Frauen, die sich blutig schlagen? Das lehnen wir total ab." So war das damals.

Sie sprachen schon von der Männerdomäne in den Chefetagen. Wie traten Ihnen aber die männlichen Boxer entgegen?

Da haben sich einige immer wieder negativ geäußert. "Frauen sollen nicht boxen" und Ähnliches in der Richtung. Das kam teilweise auch von Weltmeistern. Die haben sich später aber bei mir entschuldigt.

Empfinden Sie dabei Genugtuung?

Ich bin dann auch versöhnlich. Henry Maske sagte mir mal nach meiner Karriere: "Du hattest es schon verdammt schwer, und wir haben es dir noch schwerer gemacht. Es tut mir leid." Axel Schulz würdigte mich 1995, als wir beide zeitgleich zu Kämpfen in Las Vegas waren, noch keines Blickes, für den war ich Luft. Heute sagt er selbst: Die Regina ist eigentlich meine beste Freundin von allen Boxern.

Sie sind nicht nachtragend?

Nein, ich verstehe das ja. Ich war 1993, 1994 meiner Zeit ja auch voraus. Damit haben sich viele schwergetan. Aber heute bin ich mit fast allen gut befreundet.

Wie schwer war es denn, bei all diesen Schwierigkeiten nicht den Antrieb zu verlieren?

Genau das war ja eben mein Antrieb: Unterschätzt zu werden, dieses "Das darfst du doch eigentlich nicht als Frau". Das hat mich immer motiviert zu zeigen: Ich darf und kann es doch, und ich muss und möchte mit meiner Leidenschaft Geld verdienen.

Zu welchem Zeitpunkt war Ihnen endgültig klar, dass das klappt?

Als Klaus-Peter Kohl mir dann sagte: "Du hast die Chance. Sie werden deinen Kampf im ZDF zeigen, zur besten Sendezeit. Mach was draus." Das war der Durchbruch. Ich wusste: Jetzt heißt es alles oder nichts. Und es hat funktioniert.

Sie haben auch früh erkannt, dass Sie für sich die Werbetrommel rühren müssen. Der Showkampf gegen Stefan Raab 2001 war ein TV-Ereignis.

Durch den Raab-Kampf bin ich auch einem Publikum bekannt geworden, das mit Boxen vorher nichts anfangen konnte. Das ging dann schon in den Unterhaltungsbereich, das war etwas ganz anderes – und auch wichtig. Aber ich sage auch ganz klar: Das war nur ein Teil des Erfolgs.

Wie meinen Sie das?

Ich habe es geschafft, die Leute nicht nur für einen Kampf mitzunehmen, sondern über Jahre. Man hat gemerkt: In meinen Kämpfen passiert etwas, ich boxe attraktiv, offensiv – und: Die Menschen konnten sich mit mir identifizieren.

Wie erklären Sie selbst ihre Beliebtheit?

Ich war und bin natürlich, ich verstelle mich nicht, hatte kein Medientraining. Ehrlich und offen – ich glaube, die Menschen mögen und schätzen das. Heute haben die Leute viel zu sehr Angst, etwas Falsches zu sagen, besonders in Zeiten von Social Media. Ja kein Shitstorm, ja nicht auffallen, bloß nichts riskieren. Man muss doch aber auch ein bisschen eine Type sein, auch Charakter haben und sich auch mal positionieren – auch politisch. Es war schön, dass den Menschen gefallen hat, wie ich bin. Auch das war meine Rettung.

Haben Sie sich auf den Raab-Kampf eigentlich anders vorbereitet als auf einen richtigen Fight?

Natürlich hat man da nicht die ganz große Ernsthaftigkeit wie bei einem echten Titelkampf. Ich habe auch auf mich vertraut und mir gesagt: Was soll schon passieren? Im schlimmsten Fall bewirft er mich mit einem Stück Kuchen (lacht). Und wenn er wirklich hart zuhaut, dann bin ich schneller. Wenn ich in einen echten Kampf reingehe, dann weiß ich: Ich kann verletzt werden oder sogar K. o. gehen. Dieses Gefühl hatte ich bei Raab nicht. Dabei hatte ich schon vorher eine Verletzung …

Was war passiert?

Ich war damals sowieso in der Vorbereitung auf einen Kampf – und hatte mir im Sparring ein leichtes blaues Auge zugezogen. Für den Raab-Kampf habe ich es dann überschminkt. Natürlich geht das Make-up aber im Laufe der Runden ab – und ich dachte nur: Hoffentlich denkt der jetzt nicht, dass das von ihm ist (lacht).

Nervt es Sie, auch heute noch auf den Raab-Kampf angesprochen zu werden?

Damit habe ich kein Problem. Es war ja eine lustige Sache, über die ich auch heute noch schmunzeln kann. Ich verstehe auch, dass die Leute das toll fanden. Stefan Raab hat gezeigt, wie man eine Show richtig inszeniert, auch deshalb wird 2024 noch darüber gesprochen. Aber ich habe auch so viel Selbstbewusstsein anzunehmen, dass man weiß: Bei mir war und ist mehr dahinter als nur die Raab-Nummer.

Statt solcher Showkämpfe steigen heute Influencer in den Ring …

Davon halte ich so gut wie gar nichts. Das eine ist Influencer-Boxen, das andere ist richtiges Boxen.

Schaden solche Shows dem Sport sogar?

Kurzfristig gibt es vielleicht Aufmerksamkeit, ein Influencer wie der US-Amerikaner Jake Paul mischt mit seiner großen Klappe die Boxwelt auf, obwohl er kein Profi ist. Aber ich bin trotzdem der Meinung: Bei einem Abend, der als Box-Veranstaltung verkauft wird, muss auch das Boxen im Vordergrund stehen.

An echten Box-Talenten mangelt es Deutschland indes nicht …

Richtig. Neben Nina Meinke bei den Frauen haben wir bei den Männern Agit Kabayel, der zuletzt in Saudi-Arabien gewonnen hat und in den internationalen Ranglisten hoch gerankt wird. Wir können wieder mit einem Schwergewichtler Titel holen, wenn wir genug in ihn investieren. Wie bei den Klitschkos.

Deren Popularität hat in Deutschland seitdem kein anderer Boxer mehr erreicht.

Bei Vitali und Wladimir war es auch eine grandiose Vermarktung, da hat unser Promoter Klaus-Peter Kohl damals den besten Job gemacht: Er hat die richtigen Gegner besorgt, er hat sie im Doppelpack bis an die Spitze gebracht. Die beiden sind gebildet, sympathisch, man hat Geschichten um sie gestrickt – das war einwandfrei.

Und das zur Hochzeit des Boxens in Deutschland …

Jedes Wochenende gab es Boxen im Fernsehen. Die große Rivalität zwischen Wilfried Sauerland und Kohl. Das eine war ARD, das andere ZDF, dann die Klitschkos mit ihrer Riesenshow bei RTL, dort hat man dann auch Prominente und Intellektuelle an den Ring gesetzt. Das hat die Leute gefesselt.

Heute ist Boxen im deutschen Fernsehen kaum noch präsent: Den Boxställen fehlt der Erfolg, der ihnen früher das Geld der TV-Sender garantierte. Diese wiederum investieren nicht mehr, weil eben der Erfolg ausbleibt.

Es ist ein Teufelskreis. Das Fernsehen möchte am liebsten fertige Champions, Weltmeisterinnen und Weltmeister. Die wachsen jedoch nicht auf Bäumen. Und wir können von den Boxerinnen und Boxern auch keine Weltklasse erwarten, wenn sie noch nebenher arbeiten müssen. Das geht nicht. Die finanziellen Mittel müssen also her.

Was tun?

Wir brauchen wieder Charaktere, die die Leute fesseln, die sie begeistern. Wir hatten damals bei Universum hervorragende Boxerinnen und Boxer – die aber einfach nicht beim Publikum ankamen. Du musst Emotionen beim Zuschauer auslösen. Die UFC hat es doch vorgemacht.

Die populäre MMA-Serie "Ultimate Fighting Championship", deren Veranstaltungen Millionen weltweit verfolgen.

Deren Chef Dana White lässt nur die Besten gegeneinander kämpfen – und am Ende werden beide als Helden präsentiert: der Gewinner und der Verlierer. Das ist im Boxen mittlerweile ganz anders: Keiner darf verlieren, deshalb kommen die großen Kämpfe kaum zustande, weil sie sich die Duelle nicht trauen.

Die UFC hat zahlreiche TV-Formate, die auch die persönlichen Seiten der Stars zeigen. Kann sich das deutsche Boxen da etwas abschauen?

Ich würde mir wünschen, dass man beispielsweise mal die Nachwuchsboxer auf dem Weg nach oben begleitet und finanziell unterstützt. Dann stimmt auch die Qualität. Aber wenn man noch nicht so bekannt ist, dann hat man eben noch nicht fünf, sechs, sieben, acht Millionen Zuschauer. Es braucht Geduld. Dazu kommt, dass sich durch die Streamingdienste auch einiges verändert hat. Aber die TV-Präsenz bleibt das Wichtigste, ganz klar. Eins sage ich: Boxen wird irgendwann wieder einen hohen Stellenwert in Deutschland bekommen, davon bin ich überzeugt.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Regina Halmich
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