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Gina Lückenkemper: "So ist Leichtathletik nicht zukunftsfähig"


Interview
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Sprint-Star Lückenkemper
"So ist unsere Sportart nicht zukunftsfähig"

InterviewVon Luis Reiß

Aktualisiert am 27.06.2019Lesedauer: 6 Min.
Gina Lückenkemper: Deutschlands beste Sprinterin gewann bei der EM in Berlin Silber und Bronze.Vergrößern des Bildes
Gina Lückenkemper: Deutschlands beste Sprinterin gewann bei der EM in Berlin Silber und Bronze. (Quelle: Bildbyran/imago-images-bilder)

Gina Lückenkemper ist die beste deutsche Sprinterin seit Jahrzehnten – und eine große Hoffnung der Leichtathletik in Deutschland. Für eine bessere Zukunft fordert sie grundlegende Veränderungen in ihrer Sportart.

Bei der EM im vergangenen Jahr in Berlin verzauberte Gina Lückenkemper die Zuschauer mit Silber über 100 Meter und Bronze mit der Staffel über 4 x 100 Meter. Sie ist die erste deutsche Sprinterin seit Katrin Krabbe 1991, die nun schon zweimal unter der magischen Grenze von elf Sekunden geblieben ist.

Doch Lückenkemper sorgt sich um ihren Sport, vom dem sie so sehr schwärmen kann. Im Interview spricht sie nötige Veränderungen an, gibt einen Einblick in ihre Vorbereitung auf die WM in Katar und spricht über ihre Rolle als Vorbild in den sozialen Netzwerken.

t-online.de: Frau Lückenkemper, wir haben Juni, drei Monate vor der WM. Wie gut sind Sie schon in Form?

Gina Lückenkemper (22): Mein erster Wettkampf bei der Diamond League in Rabat lief noch nicht so gut, aber dafür gab es Gründe. Es war so laut im Stadion, dass der Start neu angesetzt werden musste – und vom Startschuss habe ich am Ende trotzdem fast nichts gehört (lacht). Mir hat vielleicht etwas die Erfahrung für so eine besondere Situation gefehlt. Ich glaube aber, dass meine Zeiten schon bald schneller als die 11,36 Sekunden aus Rabat oder zuletzt die 11,34 Sekunden in Berlin werden. Die Vorbereitung lief bis auf eine kleine Erkältung gut.

Die WM findet in diesem Jahr besonders spät statt, vom 28. September bis zum 6. Oktober in Katar. Ein Problem?

Das ist sicher anspruchsvoll, vor allem mental. Es wird ja von uns erwartet, dass wir bei den großen Meetings jetzt schon performen – genauso wie bei den Deutschen Meisterschaften im August, und dann bis in den Oktober hinein. Man muss die Spannung extrem lange hoch halten. Zudem sind die Olympischen Spiele 2020 dann schon im Juli, also relativ früh. Aber: Es ist für alle Sportler gleich und kommt ja auch nicht überraschend.

Was ändert sich für Sie?

Ich bin zum ersten Mal erst im Juni in die Saison eingestiegen – und habe immer noch fast drei Monate Zeit, um mich für die WM zu qualifizieren. Dementsprechend ist auch mein Training ausgerichtet.

Die WM wird zum ersten Mal in Katar stattfinden, bei großer Hitze in einem Stadion mit Klimaanlage.

Die Klimaanlage muss allerdings bei unseren Wettkämpfen ausgeschaltet sein, um die Windverhältnisse nicht zu beeinflussen. Das ist mir auch ganz Recht, ab 25 Grad ist Sprinter-Wetter (lacht). Im Ernst: Ich bin gespannt, wie die Bedingungen für alle Athleten werden, die sich während ihrer Wettkämpfe länger im Innenraum aufhalten müssen. Dort gibt es häufig sehr wenig Schatten. Auch für die Langstreckenläufer ist das vermutlich nicht unproblematisch.

Was halten Sie vom Standort Katar, bislang nicht gerade ein Leichtathletik-Mekka? Es gibt zahlreiche Berichte über Korruption bei der WM-Vergabe.

Korruption ist aktuell leider nicht nur in der Leichtathletik, sondern in vielen Sport-Weltverbänden ein Problem, das bekämpft werden muss. Inwieweit das hier eine Rolle gespielt hat, kann ich nicht beurteilen. Grundsätzlich bin ich der Meinung, die Leichtathletik sollte neue Orte erschließen. In einzelnen Disziplinen hat Katar übrigens herausragende Sportler. Im Hochsprung stellen sie mit Mutaz Essa Barshim den aktuellen Weltmeister, mein Trainer Uli Kunst war dort jahrelang Sprint-Nationaltrainer. Sie haben vielleicht in der Breite noch nicht die großen Erfolge gefeiert, aber schon eine kleine Tradition.

Der deutsche Langstreckenläufer Richard Ringer sagte dem Deutschlandfunk kürzlich, er sei dem WM-Standort Katar gegenüber eher negativ eingestellt – und Verwies auf die Berichte über die katastrophalen Arbeitsbedingungen beim Umbau des WM-Stadions Khalifa International. Inwieweit beschäftigt Sie das?

Ich habe diese traurigen Berichte über die Arbeitsbedingungen beim Bau der Stadien mitbekommen. Was speziell das Leichtathletik-Stadion angeht, habe ich mich damit aber noch nicht beschäftigt.

Mit jetzt 22 Jahren haben Sie erreicht, was jahrelang für deutsche Sprinterinnen unmöglich galt – die Marke von elf Sekunden über 100 Meter geknackt und Einzelmedaillen gewonnen. Welche Ziele haben Sie noch?

Ich träume natürlich von einer olympischen Medaille. Ob mir das vergönnt sein wird? Das weiß ich nicht. Aber ich war mit Platz vier mit der Staffel schon einmal verdammt nah dran und will dafür kämpfen. Auch meine persönliche Bestzeit von 10,95 Sekunden war noch kein perfektes Rennen, das kann und will ich noch steigern. Grundsätzlich macht mir dieser Sport einfach unheimlich Spaß. Und daran ändert sich nichts, nur weil ich schon mal schnell gelaufen bin.

Apropos Olympia: Seit dieser Saison entscheidet die neu eingeführte Weltrangliste der Leichtathletik über die Qualifikation. Was hat sich für Sie geändert?

Für dieses System sind alle Wettkämpfe in bestimmte Punktekategorien eingeteilt worden. Das führt dazu, dass alle Athleten bei besonders hoch eingeschätzten Events wie zum Beispiel der Diamond League starten wollen. Weil es viele gute Sprinter gibt, ist das bei uns besonders kritisch. Als Vize-Europameisterin und mit Zeiten unter elf Sekunden hatte ich Probleme, bei Top-Wettkämpfen in Europa angenommen zu werden. Und das, obwohl mein letztes Jahr alles war – aber nicht schlecht. Wenn die internationalen Top-Athleten aber nur noch unter sich bleiben, wird es problematisch. Es gibt aber auch einen Vorteil.

Und der wäre?

Alle Athleten sind gezwungen, international zu laufen. Du kannst dich nicht verkriechen und von Milchkannen-Sportfest zu Milchkannen-Sportfest, sondern musst dich permanent mit Top-Konkurrenz messen.

Viele Sportarten haben in den vergangenen Jahren ihre relativ erfolgreiche Nische in der deutschen Öffentlichkeit gefunden, Darts zum Beispiel oder American Football. Warum gelingt das der Leichtathletik nicht?

Die Leichtathletik ist nicht innovativ genug und muss noch eine Menge lernen. So wie die meisten Wettkämpfe derzeit organisiert sind, ist unsere Sportart nicht zukunftsfähig. Was viele noch nicht verstanden haben, ist wie schnelllebig unsere Gesellschaft geworden ist. Tagesveranstaltungen ziehen – mit Ausnahmen der internationalen Meisterschaften – nicht mehr.

Das ISTAF in Berlin ist für mich da der positive Vorreiter wie ein straffes, aber trotzdem vielseitiges Meeting an einem Nachmittag organisiert werden kann. Grundsätzlich glaube ich, wir brauchen mehr kleinere Spezialisten-Wettkämpfe, um attraktiv zu bleiben.

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Bei Großveranstaltungen sind plötzlich alle Leichathletik-Fans, danach lässt das Interesse aber wieder schlagartig nach. Wie sehr nervt Sie dieser Jojo-Effekt?

Mich nervt es nicht, mich macht es traurig. Ich kann den Menschen aber auch keinen Vorwurf machen, in Deutschland ist es tatsächlich auch sehr schwierig geworden, Leichtathletik zu schauen. Selbst die Top-Wettkämpfe der Diamond League werden nur teilweise im Pay-TV übertragen. Um das zu ändern, müssen unsere Meetings wieder attraktiver werden – dann wird es auch wieder mehr TV-Interesse geben.

Sie sind derzeit das Aushängeschild der deutschen Leichtathletik. Wie gehen Sie damit um?

Wenn Menschen das so sehen, ist es natürlich schön. Aber ich bin der Meinung, dass eine so vielfältige Sportart wie die Leichtathletik niemals nur von einer Person repräsentiert werden kann. Das ist auch gar nicht nötig. Wir haben in Deutschland aktuell so viele tolle Sportler und Charaktere in der Leichtathletik – das müssen wir der breiten Öffentlichkeit bloß noch mehr zeigen.

Müssen sich die Athleten dafür selbst besser präsentieren – oder muss auch ein Umdenken bei Zuschauern und Medien stattfinden?

Das beruht auf Gegenseitigkeit. Die Sportler müssen mehr Medientermine wahrnehmen, dann sind sie automatisch präsenter – und können ihre tollen Geschichten erzählen. Allerdings muss es natürlich dafür auch überhaupt Anfragen der Medien beziehungsweise eine Grundinteresse des Publikums geben.

Sie persönlich nutzen die sozialen Medien sehr offensiv, um Einblicke in Ihr Sportlerleben zu geben. Wären Sie nicht auch online gerne mal privater unterwegs?

Wie soll mir etwas fehlen, was ich nie hatte? Meine Postings in den sozialen Netzwerken spiegeln mich und mein Leben wider, das gehört dazu. Ich werde übrigens auch oft gefragt, ob ich nicht das Gefühl habe, einen Teil meiner Jugend zu verpassen. Garantiert nicht. Ich habe Momente erlebt, davon können andere ihr Leben lang nur träumen – und dafür bin ich sehr dankbar.

Aktuell haben Sie mehr als 137.000 Follower bei Instagram und sind Vorbild für viele. Wie gehen Sie damit um?

Ich versuche mich an einige Grundsätze zu halten. Dazu gehört zum Beispiel, dass ich so ehrlich wie möglich sein will. Wenn etwas schief gelaufen ist, versuche ich das genauso zu teilen wie erfolgreiche Momente und nichts schönzureden. Und ich will mich offensiv gegen gewisse Entwicklungen in den sozialen Netzwerken wehren. Als mir letztes Jahr jemand schrieb, ich sei zu dick und solle abnehmen, habe ich das öffentlich gemacht. Genauso gehe ich mit Beleidigungen um.


Ich will darauf aufmerksam machen, dass solche Kommentare nicht in Ordnung sind. Mir ist klar, dass man nicht allen gefallen kann – und das strebe ich auch nicht an. Über konstruktive Kritik denke ich tatsächlich auch viel nach, manchmal ärgere ich mich, manchmal freue ich mich. Das ist alles in Ordnung. Aber Beleidigungen aus dem Schutz der Anonymität heraus möchte ich nicht einfach so hinnehmen.

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