Drama um Teamkollegin "Königin" Marit weint bittere Tränen
Stunden nach dem traurigsten Triumph ihrer Karriere wurde Marit Björgen erneut von ihren Gefühlen überwältigt. Ein norwegischer Journalist hatte der ersten Skilanglauf-Olympiasiegerin von Sotschi auf der Pressekonferenz gerade die via Twitter übermittelte Dankesbotschaft von Teamkollegin Astrid Jacobsen vorgelesen, die kurz zuvor ihren Bruder verloren hatte, da brach es aus Björgen heraus: "Es ist so...", konnte sie noch hervorbringen, der Rest ging in Tränen unter. Im Saal hätte man eine Stecknadel fallen hören können.
Es hätte ein denkwürdiger Langlauf-Tag werden sollen, Teil eins von sechs der olympischen Festspiele von "Königin Marit", die in Sotschi zur erfolgreichsten Wintersportlerin der Geschichte aufsteigen kann. Denkwürdig wurde dieser Tag in der strahlenden Sonne des Laura Ski Centers dann auch, wenngleich ganz anders als erwartet - denn statt der großen Björgen-Euphorie nach ihrem Sieg im Skiathlon herrschte angesichts des Todes des erst 25 Jahre alten Sten Anders Jacobsen tiefe Bestürzung im Team Norge.
"Wir haben heute versucht, das auszublenden und uns auf das Rennen zu konzentrieren", sagte Björgen: "Astrid und ihre Familie wollten, dass wir für ihren Bruder laufen, dies hat es uns etwas einfacher gemacht." Heidi Weng, die hinter der nun viermaligen Olympiasiegerin Björgen und der Schwedin Charlotte Kalla Bronze geholt hatte, erklärte: "Ich habe Astrid versprochen, heute besonders schnell zu sein. Das hat mir Kraft gegeben."
"Meine wunderbaren Mädchen"
Im Ziel lagen sich Björgen, Weng, die viertplatzierte Therese Johaug und Kristin Stoermer Steira (23.) schluchzend in den Armen. Das Quartett hatte wie der Rest der Mannschaft ihrer nicht für den Skiathlon vorgesehenen Teamkollegin in deren Kummer beigestanden, nachdem sie von der Mannschaftsleitung informiert worden waren. "Meine wunderbaren Mädchen", lautete die an Björgen und Co. gerichtete Twitter-Botschaft Jacobsens: "Sie sind meine Stärke, durch dick und dünn. Vielen Dank für euren Rückhalt, ich bin ewig dankbar!"
Als sich Björgen auf der emotionalsten Pressekonferenz ihres Lebens wieder gefasst hatte, sagte sie: "Ich möchte Astrid für diese Worte nur danken. Es ist so ein starkes Zeichen von ihr." Die 27 Jahre alte Jacobsen, die in Sotschi von den Team-Psychologen betreut wird, stand ihrem Bruder sehr nahe, er war ihr Trainingspartner, sie nannte ihn "meinen besten Freund". Über die Todesumstände wurde zunächst nichts bekannt, selbst der sonst gnadenlose norwegische Boulevard hüllte sich in Schweigen.
The Games must go on
Die aktuelle Gesamtweltcup-Zweite Jacobsen war nicht für den olympischen Auftakt nominiert worden, die Entscheidung hatte man ihr ausgerechnet an ihrem Geburtstag am 22. Januar mitgeteilt. Geweint habe sie und gesagt: "Das ist ja ein schönes Geschenk." Zwei Wochen später erscheint dies wie eine Lappalie. "In diesen Situationen merkt man, dass ein Paar Ski nicht das Wichtigste im Leben ist", erklärte Johaug.
Dennoch: The Games must go on. Der Satz des damaligen IOC-Präsidenten Avery Brundage nach den Attentaten von 1972 in München gilt auch für die Norwegerinnen. Dienstag steht der Sprint an, Donnerstag die zehn Kilometer. Ob Jacobsen, eigentlich in beiden Wettbewerben eine Medaillenkandidatin, die mentale Giganten-Leistung wagt, anzutreten, wird sich kurzfristig entscheiden.
Björgen wird auf jeden Fall um bis zu fünf weitere Goldmedaillen kämpfen und hat nun eine weitere Motivation, in Sotschi Sportgeschichte zu schreiben. Dann dürften wieder Tränen der Freude fließen - auch wenn die Trauer im Team Norge anhält.