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Zum journalistischen Leitbild von t-online.DHB-Torhüter Andreas Wolff EM in drei Ländern? "Mich stören die unnötigen Reisestrapazen"
Im Interview mit t-online.de spricht Handball-Nationaltorhüter Andreas Wolff über sein Leben in Polen, die Belastung des Profi-Alltags – und kritisiert die EM-Ausrichtung 2020.
Andreas Wolff hat in den vergangenen vier Jahren eine bemerkenswerte Karriere hingelegt: Gleich bei seiner ersten EM-Teilnahme 2016 wurde der Torhüter mit dem DHB-Team sensationell Europameister. Seine Paraden steuerten nicht nur einen gewichtigen Beitrag zum zweiten deutschen EM-Titel bei, sondern katapultierten den damals 24-Jährigen auch in das All-Star-Team des Turniers.
Kurz darauf wechselte Wolff von der HSG Wetzlar zum Bundesliga-Primus THW Kiel. Nach drei durchwachsenen Jahren, geprägt vom Konkurrenzkampf gegen den dänischen Nationaltorhüter Niklas Landin um den Platz zwischen Pfosten, entschied sich die deutsche Nummer Eins im vergangenen Sommer für den Wechsel zum polnischen Spitzenverein KS Vive Kielce, mit dem der heute 28-Jährige ein großes Ziel verfolgt: den Champions-League-Titel zum zweiten Mal nach 2016 in die Stadt im Südosten Polens holen.
Im Interview mit t-online.de spricht Wolff über sein Leben in Polen, warum die Stärke der deutschen Bundesliga auch ihre größte Schwäche ist und kritisiert die EM-Ausrichtung 2020 in Österreich, Schweden und Norwegen.
t-online.de: Andreas Wolff, Sie sind nach der Rückkehr Uwe Gensheimers zu den Rhein-Neckar Löwen der einzige Legionär im DHB-Kader. Inwiefern verändert das Ihr Standing in der Mannschaft?
Andreas Wolff: Das verändert mein Standing in der Mannschaft nicht groß. Was sich geändert hat, ist, dass man sich untereinander mehr zu erzählen hat, weil man sich nicht mehr täglich im Training sieht und sich wöchentlich in der Bundesliga duelliert. Durch diesen Abstand freut man sich wieder mehr, zusammen in der Nationalmannschaft zu spielen.
Im Sommer schlossen Sie sich nach drei Jahren bei THW Kiel dem polnischen Spitzenklub KS Kielce an. Der Klub zählt seit Jahren zur europäischen Handball-Spitze. Mussten Sie sich dennoch erst einmal über Verein und Stadt informieren, als das Angebot kam?
Die Verantwortlichen von Kielce haben mich sehr schnell davon überzeugt, dass der Verein eine Top-Adresse im europäischen Handball und die richtige Station für mich ist. Da musste ich mich nicht über die Stadt informieren.
"Ein solcher Wechsel sollte keine Probleme mehr darstellen"
Wie wichtig ist Ihnen als Spitzensportler die Lebensqualität? Und wie schätzen Sie sie in Kielce für sich ein?
Es gefällt mir bisher sehr gut in Kielce. Gerade im Zuge der Globalisierung sollte ein solcher Wechsel auch keine Probleme mehr darstellen: Polen ist EU-Mitglied, ein Nachbarland Deutschlands, da ist es doch klar, dass sie ähnliche, wenn nicht sogar gleiche Standards haben und einhalten. Aber natürlich fallen einem hier und da Unterschiede auf, etwa im Straßenbau. Da ist der Unterschied zu Deutschland teils gravierend. Ein weiteres Beispiel ist das Tempolimit in Polen (140 km/h auf Autobahnen, 90 km/h außerhalb geschlossener Ortschaften, Anm. d. Red.)… (schmunzelt).
Wie steht es um Ihr Polnisch? Haben Sie Sprachunterricht?
Mein Polnisch ist ausbaufähig, aber es ist auch eine Sprache, die alles andere als einfach zu erlernen ist. Meinen Mitspielern aus dem slawischen Sprachraum fällt der Spracherwerb wesentlich leichter, weil sie sich 60% der Vokabeln von ihrer Muttersprache erschließen können. Das ist als Deutscher nicht möglich.
Wie läuft die alltägliche Kommunikation, etwa im Supermarkt oder beim Friseur?
Die Kommunikation funktioniert sehr gut. Ich verstehe in der Kabine eigentlich alles und kann mich auf Polnisch ausdrücken. Was noch fehlt ist, dass ich ein fließendes Gespräch über ein Handball-fernes Thema führen kann. Ich kann jedoch in ein Restaurant gehen und meine Bestellung selbst aufgeben und meine Gesprächspartner nach ihren Befindlichkeiten fragen. Von daher ist mein Polnisch für den Alltag bereits vollkommen ausreichend.
In der Kabine von Kielce treffen Charaktere aus verschiedenen Ecken Europas aufeinander. Wird da auch über die politische Situation in Polen und den jeweiligen Heimatländern diskutiert?
Mein spanischer Mannschaftskollege Julen Aguinagalde hat uns grob umrissen, worum es im Katalonien-Konflikt geht. Da ist man natürlich interessiert, weil einem diese Einblicke als Auswärtiger fehlen. Aber wir wissen alle, dass wir uns zuvorderst auf den Sport konzentrieren müssen. Da sprechen wir eher darüber, wie es sein wird, bei der EM im Januar gegeneinander anzutreten. Und, seien wir ehrlich: Wir sind alle junge Männer. Da gibt es interessantere Kabinen-Themen als Politik (schmunzelt).
Das größte Problem der Bundesliga? "Ihre Belastung"
Die Bundesliga galt lange als beste Handball-Liga der Welt. Ihr Wechsel nach Polen zeigt, dass dieser Status wankt. Die französische Liga hat stark aufgerüstet, hinzu kommen südosteuropäische Spitzenteams wie Veszprem und Vardar Skopje. Muss sich Deutschland Sorgen machen, dass in Zukunft vermehrt Nationalspieler der Bundesliga den Rücken zukehren werden?
Jein. Die großen Favoriten auf den Champions-League-Titel sind zwar im Ausland zu finden, aber nichtsdestotrotz sind deutsche Teams international konkurrenzfähig, Kiel führt nicht ohne Grund aktuell seine Champions-League-Gruppe an. Die deutsche Bundesliga ist weiterhin die attraktivste Liga der Welt, weshalb etwa Sander Sagosen zur kommenden Saison aus Paris nach Kiel wechselt.
Ihr großes Problem ist die Belastung. Die deutschen Top-Klubs leiden mit fortlaufender Dauer der Saison immer mehr unter der Stärke der eigenen Liga. Das erkennt man vor allem an ihren internationalen Ergebnissen. Dass man in jedem Bundesliga-Spiel Vollgas geben muss, macht dir als Sportler zwar Spaß, laugt dich aber auch aus. Die Menschen, die das nicht glauben, lade ich gerne ein, eine Woche unser Pensum aus Training und Wettkampf mitzumachen.
Sie sprechen von handgemachten Problemen durch das hohe Niveau der Bundesliga – inwiefern würden weniger internationale Partien die Belastung senken?
Der EHF Cup hat für Top-Klubs, wie Kiel, Flensburg und die Rhein-Neckar Löwen, keinen hohen Stellenwert und bedeutet auch keine gravierend erhöhte Belastung. Die Fülle an Spielen erhalten wir erst durch die Champions League. Die ist zwar sportlich extrem interessant, bedeutet aber auch zwanzig Spiele auf allerhöchstem Niveau. Rechnet man das mit den 34 schwierigen Partien in der Bundesliga und den Pokalspielen zusammen, ergibt sich ein kräftezehrendes Programm – und da haben wir noch gar nicht die Länderspiele berücksichtigt. 2020 haben wir zudem ein Olympiajahr, was noch mehr Spiele bedeutet.
Leider ist keine Lösung für dieses Problem in Sicht und so ist es einem jeden selbst überlassen, ob und wie lange er seinem Körper diese Strapazen zumuten kann und möchte.
In der polnischen Liga gibt es diesen engen Konkurrenzkampf nicht. Wie beeinflusst Kielces Situation als haushoher Titelfavorit das tägliche Training? Wie sorgt Ihr Trainer Talant Dujshebaev dafür, dass Sie jederzeit auf psychischer und physischer Wettbewerbshöhe sind?
Entscheidet man sich für einen Wechsel nach Kielce, ist man sich darüber bewusst, dass man nicht wöchentlich auf höchstem Niveau gefordert sein wird und dennoch die Champions League gewinnen kann. Kielce hat in der polnischen Liga drei gute Gegner, aber auch gegen die treten wir mit dem Wissen an, dass sie sich nicht auf unserem Niveau bewegen.
Talant Dujshebaev ist ein bemerkenswerter Trainer, als dass er konsequent auf Rotation setzt. Ich habe schon einige Liga-Partien in dieser Saison ausgesetzt, weil er nicht wollte, dass ich sechs Stunden mit dem Bus zu einem Auswärtsspiel unterwegs bin, dass wir ohnehin mit 20 Toren Unterschied gewinnen, und mich dann dort eventuell verletze. Dann bleibst du eben zuhause und regenerierst dich, weil die Champions League oberste Priorität hat.
"Die Leute wissen: 'Kielce wird gegen uns gewinnen.'"
Die Kieler Arena fasst mehr als doppelt so viele Zuschauer wie die Halle in Kielce. Vermisst man da als Spieler ab und zu die Kulisse, die man aus Deutschland von den Rängen gewohnt ist?
Die Atmosphäre bei Champions-League-Begegnungen in Kielce ist sagenhaft; was die Fans an Spieltagen leisten, ist enorm. In mittelgroßen Hallen, wie der in Kielce, kommt auch viel schneller das auf, was ich "Höllen-Feeling" nenne. Diese Nähe heizt das Geschehen noch mehr auf und davon können wir als Heimmannschaft nur profitieren. Aber natürlich ist es ein Unterschied, ob du auswärts in Göppingen, Wetzlar oder gegen die Rhein-Neckar Löwen in tollen, ausverkauften Arenen spielst, oder in Hallen, in die sich nur 500 Zuschauer verlieren.
Löst der Besuch Kielces in kleineren polnischen Städten nicht Volksfest-Charakter aus? Da müssten sich die Hallen doch von alleine füllen, wenn man die Gelegenheit hat, ein solches Top-Team zu sehen.
Überhaupt nicht. Im Fußball gibt es dieses Phänomen eher als im Handball. Da freuen sich alle, wenn der FC Bayern München mit seinen Stars in der Stadt ist. Denn jeder Fan des sportlich unterlegenen Teams geht mit dem Wissen ins Stadion, dass eine Sensation theoretisch möglich ist. Das ist in der polnischen Handball-Liga nicht gegeben. Die Leute wissen, „"Kielce wird gegen uns gewinnen."
Es ist verblüffend, was für eine tolle Stimmung bei einem Aufeinandertreffen zweier durchschnittlicher polnischer Handball-Klubs in der Halle herrschen kann. Treten wir jedoch gegen eines dieser Teams an, sucht man diese Atmosphäre vergebens, weil die Niederlage für die Gastgeber nur eine Frage der Höhe ist.
Kommen wir zu einem anderen Thema: Was halten Sie von der EM in drei Ländern? Die Aufteilung zwischen Österreich und den beiden skandinavischen Ländern Schweden und Norwegen ist recht reiseintensiv.
Ich stehe dem Konstrukt skeptisch gegenüber. Ich finde die Idee eines Drei-Länder-Turniers eigentlich ganz charmant, aber sie macht mehr Sinn in einem Drei-Länder-Eck. Sprechen wir ganz explizit das Beispiel Deutschland an: Ein Turnier in Polen, Tschechien, Deutschland wäre eine tolle Sache. Legt man die Austragungsorte dann noch in Städte in Grenznähe, verringert man nicht nur den logistischen Aufwand, sondern mindert auch die Belastung für die Spieler immens.
Bedenken Sie einmal, was diese EM für unsere Bundesliga-Spieler bedeutet, die durch Champions-League-Partien ohnehin ständig auf Reisen sind: Sie spielen die Vorrunde in Trondheim, um dann in der Hauptrunde in Wien aufzulaufen. Puh, das finde ich schon echt, sagen wir, schwierig.
Wolff über die EM: Mich stören die unnötigen Reisestrapazen
Hat der europäische Handball-Verband EHF mit der anstehenden Drei-Länder-EM eine Entscheidung auf dem Rücken der Sportler, aber auch der Fans, die nun quer durch Europa reisen müssen, getroffen?
Ich möchte da jetzt kein Fass aufmachen, schließlich profitieren auch wir Sportler durch die gestiegene Aufmerksamkeit eines solchen Turniers. Nichtsdestotrotz stören mich die unnötigen Reisestrapazen für Spieler und Fans. Zumindest haben wir das Glück, das Wien als Austragungsort über einen hervorragend angebundenen Flughafen verfügt.
Vier Jahre nach dem sensationellen Titel und zwei nach dem enttäuschenden neunten Platz – wo steht das DHB-Team vor der EM 2020?
Wir haben die Chance, das Halbfinale der EM zu erreichen. Das haben wir für uns als klares Ziel ausgegeben – und wenn ich mir unser Team anschaue, bin ich sicher, dass wir dieses Ziel erreichen werden, solange wir zusammen unsere Stärken ausspielen.
Wo sehen Sie die Stärken des DHB-Teams?
Definitiv im Abwehrverbund. Das ist unsere traditionelle Stärke, dank der wir bei den vergangenen Turnieren starke Leistungen zeigen konnten. Das Zusammenspiel aus Abwehr und Torhütern wird auch bei dieser EM eine große Rolle spielen.
Die Abwehr ist also das Fundament, um mit Tempogegenstößen wichtige Nadelstiche zu setzen?
Absolut. Wir wollen die Gegner verunsichern und frustrieren, indem wir sie lange ohne eigenen Torerfolg spielen und dann im Gegenzug den Ball aus ihrem Tornetz holen lassen.