Urs Siegenthaler Er ist der Souffleur des Bundestrainers
Der Mann ist selten zu sehen, und was er macht, darüber redet er noch seltener. Aber dieses unglaubliche 7:1 (5:0) der deutschen Nationalmannschaft gegen Brasilien darf ein bisschen auch Urs Siegenthaler zugerechnet werden. Miroslav Klose hat das nach dem denkwürdigen Halbfinale nicht getan, der Adressat seiner ziemlich lapidaren Bemerkung aber dürfte auch der 65 Jahre alte Schweizer sein, der beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) als "Chefscout" geführt wird.
"Wir analysieren die Gegner gut. Es ist wichtig, dass unsere Standards fruchten. Das hat man heute beim 1:0 wieder gesehen", sagte Klose. Diese Analyse ist die Aufgabe, in der Siegenthaler geradezu aufgeht - und daheim in der Schweiz sind sie deshalb auch ziemlich stolz auf ihren Urs: "7:1 - ein Schweizer hats erfunden", titelte das Boulevardblatt "Blick" und betonte: "Ein Schweizer liefert den Deutschen die Selecao ans Messer."
Siegenthaler liebt es unaufgeregt
Ein solches Gehabe ist Siegenthaler eher fremd, er hat es lieber unaufgeregt. "Meine Aufgabe ist es, den Bundestrainer über die Entwicklungen im Fußball und im Sport generell auf dem Laufenden zu halten. Wohin führt der Weg? Was kommt auf uns zu? Ziel ist es, nicht überrascht zu werden", erklärte er kurz vor der WM der "Neuen Zürcher Zeitung".
Löw musste zu seinem Glück gezwungen werden
Im vergangenen Jahr war Siegenthaler beim Confed Cup - und er hat festgestellt: Standardsituationen führten zum Erfolg der am Ende siegreichen Brasilianer. Bundestrainer Joachim Löw musste aber erst von seinem Assistenten Hansi Flick zu seinem Glück gezwungen werden. "Das ist ein wichtiges Thema. Standards haben ein Gewicht", sagte Löw plötzlich.
Und siehe da: Das 1:0 gegen Frankreich - der Siegtreffer durch Mats Hummels entsprang einem Freistoß, Toni Kroos hatte ihn getreten. Das 1:0 gegen Brasilien, so eine Art Eisbrecher in diesem Spiel, erzielte Thomas Müller nach einer Ecke von Kroos. Es war bereits der sechste Turniertreffer, der durch oder nach einem "ruhenden Ball" entstand. "Das ist eine große Stärke. Da müssen wir weiter dran arbeiten", sagt Klose.
"Zufall spielt in meiner Arbeit keine Rolle"
Unabhängig davon: Die deutsche Mannschaft wusste, wie sie die Brasilianer packen kann - sie musste es nur noch umsetzen. Die Selecao, erklärte Thomas Müller, habe "ganz anders agiert" als etwa die Algerier, gegen die sich Deutschland so schwer getan hatte im Achtelfinale. Gegen die Brasilianer seien "die Räume größer gewesen als gegen defensiv ausgerichtete Mannschaften. Das haben wir bis Mitte der ersten Halbzeit ausgenutzt." Und wie!
Zufall ist das nicht. "Zufall", sagt Siegenthaler, "spielt in meiner Arbeit keine Rolle." Er geht so weit, dass er sogar die Länder der potenziellen Gegner besucht. Vor der WM 2006 war er in Argentinien, und der erste Gang führte ihn wohl auch dort ins Nationalmuseum. Das gebe ihm einen ersten Eindruck, sagt er. "Ich will so viel wie möglich wissen über das Land, bis dahin, warum es Korruption gibt. Das sind Fragen, die sich auf Fußballspiele übertragen lassen", erklärte er einmal der "FAZ".
Infos kommen per App zu den Spielern
Torsten Frings hat einmal im Scherz, aber auch voller Respekt festgestellt, dass ihm Siegenthaler sogar sagen könne, was sein Gegner zum Frühstück isst. Mittlerweile bekommen die Spieler der deutschen Nationalmannschaft alle relevanten Informationen auf Tools und Apps. Die Datenflut, die Siegenthaler und ein etwa 40 Mann starkes Team der Deutschen Sporthochschule in Köln da im Auftrag des Schweizers generiert, wird mit Hilfe von SAP zu handfesten Informationen verarbeitet.
Letzte Entscheidung trifft der Bundestrainer
"Wir liefern dem Trainerstab alle relevanten Informationen und machen ganz klare Vorschläge. Die letzte Entscheidung trifft aber der Bundestrainer. Wir geben aber Anregungen", berichtet der zuständige Chefanalyst Christopher Clemens. Siegenthaler betont allerdings, er wolle gar nicht wissen, wie die deutsche Mannschaft gewinnen könne, er wolle einfach nur wissen, wie sie am besten "ins letzte Drittel komme". Gegen Brasilien sah das zwischenzeitlich nach einem Spaziergang aus.