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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Eine Woche nach DFB-Aus Die Mauern des DFB-Hotels
Urlaubs-Feeling im DFB-Team? Was ist dran an den Gerüchten rund ums deutsche Aus? Auf der Suche nach dem, was richtig und wichtig ist – und was nicht.
Leicht bewölkt ist es an diesem Morgen in Doha, der Wind peitscht gegen die Fassaden der Hochbauten des Bezirks West Bay. Angenehme 26 Grad warm. Es ist der Tag der ersten Viertelfinalspiele. Kroatien gegen Brasilien sowie Niederlande gegen Argentinien. Die Sieger dieser Duelle treffen im Halbfinale aufeinander. Kroatien gegen Argentinien heißt das erste Halbfinale. Noch existiert die Chance, dass die so umstrittene WM 2022 ein interkontinentales Finale zu bieten hat. Wenigstens etwas.
Von solcherlei Träumen ist die deutsche Nationalmannschaft meilenweit entfernt. Genauer gesagt: 4.575 Kilometer. Das ist die Luftlinienentfernung zwischen Frankfurt und Doha. Dem Ort, wo am 18. Dezember das WM-Finale ausgetragen wird.
Woran hat es gelegen?
Acht Tage ist es nun her, dass die deutsche Delegation um Präsident Bernd Neuendorf (noch im Amt), Manager Oliver Bierhoff (nicht mehr im Amt) und Trainer Hansi Flick (noch im Amt) die Heimreise nach Deutschland antreten musste. Trotz eines 4:2-Sieges gegen Costa Rica. Trotz einer herausragenden Leistung im zweiten Gruppenspiel gegen Spanien. Die vier Punkte, sie waren am Ende nicht genug, um die Spanier (ebenfalls vier Punkte) und Japaner (sechs Punkte) hinter sich zu lassen. Die sind mittlerweile zwar auch raus, aber das nur am Rande.
Die Gründe sind, wie so oft, vielfältig. Eine kurze Vorbereitung hier, eine uneingespielte Abwehr da, eine schlechte Chancenverwertung dort. Und auch Missstimmungen im Team angesichts der Diskussion um die "One Love"-Binde sollen zu Gruppenbildungen geführt und für Auseinandersetzungen gesorgt haben.
Doch noch ein weiterer, ungeheurer Verdacht machte sich jüngst breit. Mitarbeiter des deutschen Teams sollen der "Bild"-Zeitung Interna preisgegeben haben. Über die Atmosphäre im DFB-Quartier, dem Zulal Wellness Ressort in al-Ruwais, 100 Kilometer von Doha entfernt. Freundinnen und Frauen, die mit ihren Kindern am Pool spielen? Lockeres Zusammensitzen im Außenbereich in den Abendstunden? Und das alles auf der Jagd nach dem fünften Stern?
"Urlaubs-Feeling" soll geherrscht haben, so zitiert das Boulevardblatt die Mitarbeiter. Und ja, Urlaubs-Feeling kann hier schnell entstehen im Luxushotel am Nordzipfel der arabischen Halbinsel. 280.000 Quadratmeter groß ist die Anlage, ein Resort, wie gemacht für eine berauschende Abifahrt mit dem Abschlussjahrgang – vorausgesetzt, man bringt das notwendige Kleingeld mit. Um die 1.100 Dollar soll die günstigste Nacht für Privatpersonen hier kosten.
Auf der Suche nach dem Urlaubs-Feeling
Die Fahrt nach al-Shamal
Doch was hat es nun mit diesem Resort auf sich, in dem, während die deutsche Mannschaft dort hauste, Medienvertreter unerwünscht waren? Ich versuche mir endlich selbst ein Bild zu machen. Vielleicht liegt er ja noch irgendwo verborgen, der Geist von al-Ruwais, dieser entfernte Cousin des Campo Bahia?
Gut 60 Minuten dauert die Fahrt in den hohen Norden. Mein Fahrer, Shoub aus Pakistan, ist in Plauderlaune, erzählt kurz von seinen Kunden und dass sie aus aller Welt kommen. Dann schweigt er die restliche Fahrt, die linke Hand oben am Lenkrad, die rechte sacht auf dem Oberschenkel seines weißen Gewands platziert. "Little Trees – Black Ice" steht auf dem schwarzen Duftbaum seines Kia Cerato, der mich an den Ort bringen soll, an den das deutsche Team wohl nie wieder zurückkehren wird.
Vereinzelt säumen grüne Sträucher und Bäume den staubig-sandigen Weg. Gut 60 Minuten geht es nur geradeaus auf der al-Shamal Road Richtung Norden, bis Shoub an einem Kreisverkehr die erste Ausfahrt nimmt und mich vor die Tore des Resorts fährt.
Die Fifa-Fahnen, sie sind noch da und leiten uns den Weg. Einsam und verlassen fristet dieses Hotel sein Dasein, fern von jeder Realität der Menschen, die es sich niemals werden leisten können, auch nur einen Fuß in diese Luxuswelt zu setzen. Und auch ich scheitere.
Vor den geschützten Mauern samt gitterversperrtem Einfahrtstor kommt ein Sicherheitsmann auf mich zu. Ich erkläre ihm mein Anliegen, doch er bleibt skeptisch. Yasser, so sein Name, berät sich mit seiner Kollegin in gelber Warnweste. Ich soll warten, sagt er. Also warte ich. Fünf Minuten, zehn Minuten. Er habe versucht, den Supervisor zu erreichen. Jackson, so dessen Name, sei aber nicht zu erreichen. Also warte ich weiter, doch es passiert nichts. Ich zeige auf meine Fifa-Akkreditierung und versuche zu vermitteln, dass es mir wichtig ist. Die Antworten auf den Misserfolg des schwarzen Adlers, sie könnten hinter diesen Mauern verborgen liegen. Doch alle Diskussionen bringen nichts, ich scheitere. Presse ist hier auch eine Woche nach dem deutschen Debakel nicht erwünscht. Ich knicke also ein und verlasse diesen verlassenen Ort.
Vom Urlaubs-Feeling träumen
Shoub, der dankenswerterweise auf mich gewartet hatte, bringt mich die 100 Kilometer zurück in die Stadt. Auf dem Rückweg kommen wir ins Gespräch. Er erzählt mir von seiner Familie in Pakistan, seinen beiden kleinen Kindern, die er maximal einmal pro Jahr sieht. Wenn es gut läuft, macht er 300 bis 400 Riyal am Tag, erzählt er. Zu Corona-Zeiten war es ein Drittel davon. 25 Prozent muss er abtreten, den Rest darf er behalten.
Shoub wohnt in einer Fünfer-WG mit vier weiteren Pakistanern. Vom deutschen Aus hat er nichts mitbekommen, Fußball interessiert ihn nicht. Wie seine Mitbewohner ist er großer Cricket-Fan. Er verfolgt alle Spiele Pakistans – zumindest, wenn er nicht gerade arbeiten muss. Elf bis zwölf Stunden am Tag ist er unterwegs. Einen freien Tag hat er nicht. Er braucht das Geld für sich und seine Familie.
Zurück in Doha lässt er mich am Fifa-Medienzentrum raus. Das Trinkgeld von umgerechnet etwa 12 Euro will er zunächst nicht annehmen. Er bedankt sich beschämt. Wir verabschieden uns. Shoub wartet auf den nächsten Kunden, während ich mich auf den Weg zum nächsten WM-Spiel mache. Oder wie Shoub es nennen würde: Zum Urlaubs-Feeling.
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- Eigene Beobachtungen