Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Absurde Schlussminuten in Doha Polen schrammt am Losentscheid vorbei
Die Polen spielen gegen Argentinien destruktiven Antifußball – und können am Ende trotzdem jubeln. Das Protokoll.
Als Enzo Fernandez in der 67. Minute das 2:0 für Argentinien gegen Polen erzielte, jubelte die Mehrzahl der Zuschauer im 974 Stadion von Doha. Der zweite Treffer der "Gauchos" war gleichbedeutend mit einer sicheren Führung gegen einen an diesem Abend harmlosen Gegner. Da im Parallelspiel Mexiko mit 2:0 gegen Saudi-Arabien führte, musste das Team um seinen Superstar Lionel Messi nicht mehr um Platz eins in Gruppe C bangen.
Völlig anders stellte sich die Situation dagegen für die Polen dar. Die Elf von Trainer Ceslaw Michniewicz befand sich in einer kritischen Lage, denn zu diesem Zeitpunkt stellte sich die Gruppenkonstellation wie folgt dar:
Sowohl Polen als auch Mexiko standen in der Tabelle mit vier Punkten, zwei eigenen Toren sowie zwei Gegentoren da. Da auch der direkte Vergleich beider Teams keinen Sieger hervorbrachte (die Partie endete 0:0), würde in diesem Fall nun die Fairplay-Wertung greifen.
Losentscheid war greifbar
Die Polen hatten bis dahin im Turnierverlauf lediglich vier Gelbe Karten kassiert, Mexiko dagegen sieben. Beim Stand von 0:2 war Polen also noch als Gruppenzweiter für das Achtelfinale qualifiziert. Schon ein Treffer für Argentinien oder ein 3:0 für Mexiko hätte aber das Aus für die Osteuropäer bedeutet.
Natürlich hätten die Polen auch selbst versuchen können, den Anschlusstreffer zu erzielen. Aber sie machten: nichts. Sie blieben ihrem defensiven Antifußball treu und vertrauten einzig darauf, dass ihre Defensive halten, Mexiko keinen Treffer mehr erzielen würde und sie selbst sich in den verbleibenden Spielminuten nicht noch drei Gelbe Karten einfangen würden. Dann nämlich wäre es zu einem Kuriosum gekommen: einem Losentscheid um den Einzug ins Achtelfinale.
Mittelfeldspieler Grzegorz Krychowiak sah sogar noch eine Gelbe Karte, nach der dieser sicherheitshalber ausgewechselt wurde. Die Partie glich nun einem Trainingsspiel: Argentinien musste nicht mehr, Polen wollte nicht mehr. Bange Minuten brachen an. Denn auch in der sechsminütigen Nachspielzeit machte die Elf um den blassen Robert Lewandowski keinerlei Anstalten, selbst noch zu einem Treffer zu kommen. Es blieb das Prinzip Hoffnung. Hoffnung, dass im Parallelspiel schon alles zu ihren Gunsten laufen würde.
Wenige Minuten nach Abpfiff richteten sich die Blicke also ins entfernte Lusail-Stadion, in dem die Mexikaner verzweifelt um das erlösende 3:0 kämpften. Doch es kam alles anders: Die Mittelamerikaner kassierten stattdessen durch Saudi-Arabiens Salem Al-Dawsari sogar noch den 1:2-Anschlusstreffer. Den späten Nackenschlag (90.+5), der den Polen die Gewissheit des Weiterkommens brachte.
Die wohl absurdesten Schlussminuten der bisherigen Weltmeisterschaft fanden mit der polnischen Mannschaft den wohl glücklichsten Verlierer der bisherigen WM. Nun geht es im Achtelfinale gegen den Weltmeister aus Frankreich. Dann müssen die Polen sich wieder auf sich selbst verlassen können.
- Eigene Beobachtungen im Stadion