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Kommentator Béla Réthy kritisiert WM 2022: "Alles wird ad absurdum geführt"


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Béla Réthy zieht Bilanz
"Alles wird ad absurdum geführt"

  • Noah Platschko
InterviewVon Noah Platschko

Aktualisiert am 16.11.2022Lesedauer: 7 Min.
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Quelle: Torsten Silz/ZDF

Das war's: Nach der WM endet die Kommentatoren-Karriere von Béla Réthy im ZDF. Zuvor zieht er Bilanz – und verrät, was ihn an der WM stört.

Wenn am 20.11. die umstrittene Weltmeisterschaft in Katar beginnt, wird Béla Réthy am Mikrofon sitzen. Der 65-Jährige kommentiert das Eröffnungsspiel zwischen Katar und Ecuador – und wird das ZDF-Publikum gewohnt durch das Turnier begleiten.

Weil die ARD das Finale überträgt, wird eines der beiden WM-Halbfinals dann das letzte Live-Spiel sein, das der in Wien geborene Réthy kommentiert.

Vor seinem letzten großen Turnier hat t-online mit der Kommentatoren-Legende gesprochen und festgestellt: Er ist noch lange nicht am Ende.

t-online: Herr Réthy, mit welchen Gefühlen gehen Sie in die WM?

Béla Réthy: Als Typ, der das Glas immer halb voll sieht, habe ich mir dieses Turnier in den vergangenen Wochen ein wenig schöngedacht. Man will zwar offen in diese WM gehen, aber für mich ist es kein Vergleich zu den anderen acht Weltmeisterschaften, die ich begleiten durfte. Diese WM dürfte nicht in Katar stattfinden. Die schlechteste Bewerbung, die schlechtesten Voraussetzungen, den europäischen Kalender auf den Kopf gestellt. Dazu kaum Unterkünfte für die Fans. Alle Kriterien, die für die Fifa hätten gelten sollen, wurden ad absurdum geführt.

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Wann reifte bei Ihnen persönlich der Entschluss, dass Katar Ihr letztes Turnier sein würde?

Das war gar nicht mein freiwilliger Entschluss. Der Öffentlich-rechtliche Rundfunk hat eine Altersgrenze und ich bin ab 1. November offiziell Rentner, werde aber aufgrund des besonderen Austragungszeitpunktes noch die WM kommentieren.

Also sind Sie quasi der Manuel Gräfe (ehemaliger DFB-Schiedsrichter, Anm. d. Red.) der Kommentatoren?

Das kann man so sagen, ja. Nur dass bei den Schiedsrichtern die Grenze willkürlich gezogen wurde, bei mir ist es das Gesetz.

Trotzdem könnten Sie doch weiter kommentieren. Bei einem privaten Sender beispielsweise. MagentaTV zeigt 2024 neben der ARD und dem ZDF die Heim-EM in Deutschland.

Das wäre möglich. Und fast zwei Jahre in die Zukunft zu schauen, ist vielleicht ein wenig gewagt. Aber ich fühle mich nicht zu alt zum Arbeiten und kann mir gut vorstellen, dass mir schnell langweilig wird. Ich schließe nichts aus. Wenn ich noch Bock habe und mich jemand haben möchte, warum nicht?

Hinter Ihnen liegen mehr als 30 Jahre als Live-Fußballkommentator. Hatten Sie zu Beginn Ihrer Karriere konkrete Vorbilder?

Ich fand Eberhard Figgemeier, Eberhard Stanjek oder auch Rolf Kramer hervorragend und habe ihnen gerne zugehört. Aber du musst beim Kommentieren deine eigene Persönlichkeit mit einbringen, die kann man nicht kopieren – und sollte man auch nicht. Deshalb hatte ich eigentlich keine Vorbilder. Ich habe meinen eigenen Stil gefunden.

Mit welchem Ziel gingen und gehen Sie als Kommentator immer in ein Spiel?

Vermutlich hat man heutzutage schon viel erreicht, wenn das Spiel vorbei ist und man niemanden genervt hat. Wie ein Schiedsrichter, der nicht besonders auffiel. Ich hatte immer das Credo, dass wir als Kommentatoren nicht das Ereignis sein sollen. Der Salat liegt da und der braucht ein wenig Salz und Pfeffer und Senf. Begleiten, aber sich nicht zu wichtig nehmen oder das Ereignis überlagern. Ich wollte immer ein Partner der Zuschauer sein und unterhalten, habe mir aber nie Gags oder Pointen aufgeschrieben – sowas kam spontan situativ.

Wie oft werden Sie anhand Ihrer Stimme erkannt?

Mittlerweile kennen die Leute auch mein Gesicht, aber natürlich ist es meistens so, dass die Leute mich sehen und wenn sie dann meine Stimme hören, den Namen zuordnen können. Diese Popularität kam schleichend. Mein erstes großes Finale war die EM 1996. Da kannte mich kein Schwein. Ein Knackpunkt war die WM 2006 in Deutschland, bei dem ich viele der deutschen Spiele kommentierte. Und dann dieses Halbfinale bei der EM 2008 in Basel …

Aufgrund von gewitterbedingten Stromschwankungen und einer fehlerhaften Notstromversorgung im Fernsehzentrum der Uefa in Wien kam es bei der Partie zwischen Deutschland und der Türkei zu einer minutenlangen Bildstörung.

Die Zuschauer hatten keine Bilder, ich musste zum Radio-Kommentator werden. Mein Foto war da 16 Minuten lang im TV eingeblendet – nicht zur Freude aller. Nach der Partie bin ich dann in mein Hotelzimmer nach Freiburg gefahren, weil es in Basel keine freien Hotels mehr gab.

Und dann?

Nachts kam ich im Hotel an und habe mir nichts weiter gedacht. Ich habe noch ein frisches Weißbier im Garten getrunken und bin dann schlafen gegangen. Am nächsten Morgen wollte ich eigentlich nur nach Hause, aber vor dem Hotel war der Teufel los. RTL aktuell war da, "Spiegel Online" hat angerufen – ich wurde regelrecht belagert. Titelseite "Bild"-Zeitung, all das Zeug. Da war mir dann klar, dass eine breite Öffentlichkeit nun weiß, wer ich bin.

Sie hatten das Privileg, beim ÖRR zu arbeiten, und mussten nie quatschige Werbung verkaufen. Hätten sie nicht mal Lust gehabt, bei den Privaten einzusteigen?

Es gab einige Angebote, zu privaten Sendern zu wechseln. Darüber nachgedacht habe ich auch. Aber am Ende hat die Vielfalt gesiegt. Ich war bei unzähligen Olympischen Spielen, war Programmchef der Tour de France und der Vierschanzentournee, dazu der Fußball. Das ZDF hatte immer viel im Programm. Hätte ich den Sender verlassen, ich hätte immer mit den Rechtezyklen mitwandern müssen. Kollege Jörg Dahlmann wurde bei Sky mehr oder weniger auf die Straße gesetzt. Ich war schon hin- und hergerissen, aber mein Bauchgefühl hat mir dann immer gesagt, dass ich beim ZDF ganz gut aufgehoben bin.

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Wann gab es diese Angebote und von wem?

Das war insbesondere nach der Heim-WM in Deutschland und es waren drei verschiedene Sender. Aber da möchte ich nicht ins Detail gehen.

Sie haben seit 1996 jedes große WM- oder EM-Finale im ZDF kommentiert – bis auf das 2021. Wie kam es dazu?

Mein Kollege Oliver Schmidt hatte so ein Finale noch nie kommentiert und er hat es sich mehr als verdient. Und außerdem musste ich wegen der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele relativ zeitnah nach dem EM-Endspiel nach Tokio reisen. Das hat sich dann einfach so ergeben.

Gab es in Ihrer Karriere ein wichtiges Spiel, das Sie hätten kommentieren sollen, es aber aus bestimmten Gründen nicht ging?

Nein. Von sieben Champions-League-Partien, die im ZDF liefen, habe ich sechs kommentieren dürfen. Also da bin ich immer gut bedient worden. Beim Fußball habe ich alles gemacht, außer die Copa Libertadores, aber die hatten wir eben nie im Portfolio. Wenn es eine Sache gibt, zu der es nie kam, dann vielleicht Wimbledon. Das hätte ich gerne mal mitgenommen.

Früher kommentierten Sie fast immer alleine, mittlerweile ist der Co-Kommentator fast schon Usus. Eine positive Entwicklung?

Ich finde das super. Dadurch wird das Kommentieren kommunikativer. Man ist etwas entspannter, hat weniger Redeanteil, guckt dem Kollegen ins Gesicht und unterhält sich mit dem. Das ist fast wie ein Zuschauer, den man direkt anspricht. Ob mit Per, Sandro oder Hanno, es hat mir immer große Freude bereitet. Früher hieß es immer, der Reporter sabbelt zu viel. Jetzt ist eben wichtig, dass nicht zwei zu viel sabbeln.

Wie hat sich im Lauf der Karriere Ihr Austausch mit den Protagonistinnen und Protagonisten des Sports verändert?

Es ist schon komplizierter geworden, weil eben so viel durch die Medienabteilung gefiltert wird. Als ich in den 80er-Jahren als Bundesliga-Reporter anfing, stand Jürgen Klinsmann im Innenraum und ich konnte ihn direkt ansprechen. Das geht heute nicht mehr. Fußball ist jetzt ein Hochglanzprodukt, bei dem jede Facette stimmen muss und alles reguliert wird. Früher haben wir uns mit Felix Magath oder Jupp Heynckes vor Spielen getroffen, in Ruhe einen Kaffee getrunken und uns ausgetauscht. Das wird immer schwieriger. Es wird, wenn überhaupt, ein paar Minuten telefoniert. Der Zugang ist nicht mehr so direkt.

Zu einer besonderen Begegnung kam es im November 2013 mit Dortmunds ehemaligem Trainer Jürgen Klopp. Auf eine Frage von Ihnen antwortete er mit "Béla, Béla, nicht so Zeugs fragen …"

Da ging es um einen Nachbericht, das war nicht live. Ich hätte mich also dazu entscheiden können, das nicht zu veröffentlichen, aber ich habe es natürlich veröffentlicht, weil solch eine emotionale Aussage viel besser ist als die immergleichen Floskeln, die manch andere Trainer sonst von sich geben. Kloppo war sehr gereizt. Was ich in dem Moment nicht wusste: Wenige Minuten zuvor hatte er die Information erhalten, dass sich Neven Subotic das Kreuzband gerissen hat. Entsprechend war seine Laune. Aber unterhaltsam war es.

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Gab es Trainer, mit denen sich im Laufe der Jahre eine Freundschaft entwickelt hat?

Nein. Das habe ich auch gezielt vermieden. Ich kann doch nicht mit jemandem befreundet sein, den ich möglicherweise beim nächsten Spiel wegen der falschen Taktik in die Tonne haue. Aber es gibt ein paar Weggefährten, das schon. Lothar Matthäus kenne ich gut, neulich habe ich mich in Freiburg eine Dreiviertelstunde mit Joachim Löw unterhalten. Das war schön.

Wissen Sie schon, was Sie am meisten vermissen werden?

Die großen Turniere. Auf die man hin fiebert, bei denen man durch ein Land reist. Auch Olympia. Das waren immer tolle Erlebnisse mit den Kollegen, ein bisschen wie auf Klassenfahrt. Kurz gesagt: Die Gemeinschaft werde ich vermissen.

Und worauf freuen Sie sich am meisten, wenn Sie das "Mikrofon an den Nagel hängen"?

Auf die freie Zeiteinteilung. Dass ich mir sagen kann: Wir haben eine komische Zeit in Deutschland, es ist kalt, das Wetter ist auch mies, weißt du was? Ich setze mich in das Flugzeug und fliege in den Süden und komme zurück, sobald ich Lust habe. Die Spontanität und Terminlosigkeit werden schön. Und ich habe ein Enkelkind. Der Kleine ist 14 Monate alt. Ihn aufwachsen zu sehen, auf dieses Geschenk freue ich mich.

Verwendete Quellen
  • Telefoninterview mit Béla Réthy
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