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WM-Aus 2022 | Stefan Effenberg: "Sind keine Turniermannschaft mehr"


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Nach WM-Vorrunden-Aus
Flick muss auch über Neuer nachdenken

MeinungEine Kolumne von Stefan Effenberg

Aktualisiert am 03.12.2022Lesedauer: 5 Min.
Manuel Neuer: Der deutsche Nationalkeeper patzte gegen Costa Rica.Vergrößern des Bildes
Manuel Neuer: Der deutsche Nationalkeeper patzte gegen Costa Rica. (Quelle: IMAGO/Laci Perenyi)
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Deutschland ist bei der WM kläglich gescheitert. t-online-Kolumnist Stefan Effenberg schreibt nun: Ein Weiter-so darf es nicht geben – sonst gibt es 2024 das nächste Desaster.

Wirklich gerechnet hat mit diesem Debakel der deutschen Nationalmannschaft keiner, aber die Probleme fingen ja nicht erst im ersten Spiel gegen Japan an. Die ziehen sich bereits durch die Vorbereitung und das gesamte WM-Jahr. Da hat man es in zwölf Spielen gerade zweimal geschafft, zu null zu spielen.

Daran sieht man das Dilemma. Und wir bekommen bei der WM dann jeweils zwei Gegentore gegen Japan und Costa Rica, eins gegen Spanien.

Die Japaner haben uns und auch Spanien geschlagen. Und dann haben sie es auch verdient, in die K.o.-Runde einzuziehen. Da kann man sich die Diskussionen, ob der Ball bei ihrem entscheidenden Tor nun im Aus war oder nicht, auch sparen. Sie haben gegen ein Topteam gewonnen und gegen eine Mannschaft, die glaubt, eins zu sein. Punkt.

Die große Baustelle ist offensichtlich

Bei der Nationalmannschaft gibt es nichts schönzureden. Wenn du in dreimal 90 Minuten jeweils 30, 40 davon nicht funktionierst, fährst du halt nach Hause – und zwar verdient.

Die große Baustelle ist ganz offensichtlich: das Spiel gegen den Ball. Wenn der Gegner schnell umschaltet und kontert, sind wir anfällig, das hat man in allen drei Spielen wieder gesehen.

Im Spiel mit dem Ball ist vordergründig erst mal alles ok. Da fehlt allerdings die Effizienz. Immerhin haben sie viele Torchancen kreiert. Bei diesen ganzen Möglichkeiten hätte aber deutlich mehr dabei rauskommen müssen als gerade mal sechs Tore. Ein bisschen sinnbildlich steht dafür auch Jamal Musiala, der zwölfmal aufs Tor geschossen, aber keinen Treffer gemacht hat.

Unterm Strich gehört die deutsche Mannschaft dann einfach nicht in die absolute Weltspitze.

Die Nationalelf hat es bei der EM 2016 gegen die Slowakei zum bislang letzten Mal bei einem Turnier geschafft, zu null zu spielen. Das spricht Bände und zeigt ganz klar, wo das Problem liegt. Da kann man alle Turniere danach durchgehen.

Nur Rüdiger sticht heraus

Die Defensive war auch jetzt nicht WM-tauglich. Das will ich aber nicht nur an der Abwehrkette festmachen. Nein, das fängt ganz vorne bei Ballverlust an. Wenn du da vier, fünf offensiv ausgerichtete Spieler auf dem Platz hast, dann ist es extrem schwer, wieder hinter den Ball zu kommen. Wenn du da dann den Ball verlierst, hast du ein Problem.

Wenn man auf die Abwehrreihe blickt, agiert einzig Antonio Rüdiger auf höchstem Niveau. Er spielt bei Real Madrid, hat die Champions League gewonnen und wurde von Hansi Flick zum Abwehrchef ernannt. Alle anderen Verteidiger haben höchstens internationale Klasse. Einige glauben vielleicht, dass sie Weltspitze sind. Aber nein, das sind sie nicht.

Das vielleicht entscheidende Gegentor des Turniers war das zum 1:2 gegen Japan. Da haben viele auf Nico Schlotterbeck draufgehauen. Dabei war das gar nicht sein Fehler. Da macht Süle ein Nickerchen, verpasst es, herauszurücken und die Linie zu halten – und hebt das Abseits auf.

Die Balance hat einfach nicht gestimmt. Aber die Spieler in Deutschland geben dann auch nicht so viel mehr her. Manchmal braucht man vielleicht genau so ein Turnier und solche Ergebnisse, um zu sagen: Jetzt müssen wir uns für die Zukunft anders aufstellen, vielleicht taktisch ebenfalls ein bisschen umstellen. Da haben wir leider auch nicht aus den Fehlern von der WM 2018 und der EM 2021 gelernt. In der Offensive haben wir extrem hohe Qualität, aber im Endeffekt musst du das Tor sauber halten. Und so auch grundsätzlich aufs Feld gehen.

Wille wird Qualität schlagen

Den Nimbus als Turniermannschaft hat die deutsche Mannschaft verloren. Das ist Fakt, wenn man sich die letzten Turniere anschaut. Viele kleine Mannschaften sind an die Weltspitze herangerückt.

Japan, Australien, Marokko, die USA machen uns vor, wie es geht. In der Entwicklung und Ausbildung wird da vieles richtig gemacht und vor allem: Die wollen es unbedingt. Talent ist das eine, aber alles dafür zu tun und den unbedingten Willen zu zeigen, das habe ich bei der deutschen Mannschaft nicht gesehen.

Aber der Wille wird Qualität auf Strecke dann doch schlagen.

Die Deutschen wollten zwar grundsätzlich schon. Gegen Japan konnten sie aber nicht mehr antworten und waren geschockt. Es dann nicht mehr in der eigenen Hand zu haben, ist das Schlimmste, was es gibt. Dann fängt es auch an, im Kopf zu arbeiten.

Für individuelle Fehler kann ein Trainer nichts. Vielleicht hätte Flick schon gegen Spanien noch mehr ins Risiko gehen können.

Er hat sich für gewisse Dinge entschieden, Süle immer aufgestellt, Rüdiger zum Abwehrchef ernannt. Das Problem im Mittelfeld hat er aber nicht gut gelöst. Im ersten Spiel nimmt er Ilkay Gündogan raus. Gegen Costa Rica bringt er Joshua Kimmich dann doch auf rechts.

Flick muss Bundestrainer bleiben

Leon Goretzka saß zunächst auf der Bank, obwohl er beim FC Bayern in einem Lauf war. Niclas Füllkrug ist auch ein Thema, über das man reden kann. Vielleicht hätte er ihn auch von Anfang an bringen können. Flick muss jetzt die richtigen Lehren ziehen.

Ich bin klar der Meinung, dass er Bundestrainer bleiben muss. Vielleicht wäre es gut, in seinem engsten Kreis im Trainerstab ein paar Veränderungen vorzunehmen, damit eine neue Dynamik und vielleicht eine andere Sichtweise da reinkommen.

Es ist wichtig und entscheidend, wie sie das jetzt aufarbeiten. Da müssen sich die Verantwortlichen zeitnah noch mal stellen und können jetzt nicht erst mal Weihnachten und Silvester feiern.

Sie müssen jetzt die Schlüsse ziehen und nicht denken: Jetzt kommt dann die Heim-EM und es wird schon alles. Nein, der DFB muss aufpassen, die Fans nicht komplett zu verlieren. Ich warne davor, das nicht zu unterschätzen – auch wenn wir in eineinhalb Jahren die EM in unserem Land haben. Dass wieder Euphorie entfacht wird, ist nicht selbstverständlich. Das liegt daran, wie sich die Nationalmannschaft verkauft. Und aktuell verkauft sie sich nicht gut.

Auch bei der "One Love"-Debatte nicht. Sie wollten ein Zeichen setzen und haben gesagt: Wir machen das mit aller Konsequenz, auch wenn es eine Strafe gibt von der Fifa. Dann sind sie doch umgefallen. Da sage ich lieber gar nix. Da hat auch Bernd Neuendorf keine gute Figur abgegeben.

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Bei Oliver Bierhoff muss man mal schauen. Auch er muss sich kritische Fragen gefallen lassen, die mit Sicherheit kommen werden. Für Neuendorf gilt das ebenfalls. Es fängt an der Spitze an. Da gibt es genug aufzuarbeiten, um hoffentlich eine vernünftige EM zu spielen.

Wenn alles einfach so weiterläuft, kann ich mir nicht vorstellen, dass man dafür Euphorie entfachen kann. Ein "Weiter-so" kann und darf es nicht geben.

Kimmich bekommt Applaus von mir

Joshua Kimmich hat nach dem WM-Aus vom schlimmsten Tag seiner Karriere gesprochen und gesagt, dass der Misserfolg auch mit seiner Person verbunden wird. So etwas habe ich von keinem anderen gehört. Das ist extrem selbstkritisch und dafür bekommt er großen Applaus von mir. Das nach dem Spiel so klar zu äußern, verdient allergrößten Respekt. Man merkt, welcher Druck auf ihm persönlich liegt, zu performen und erfolgreich zu sein.

Den Nationalspielern muss man jetzt erst mal die Zeit geben, um über das, was passiert ist, nachzudenken. Der ein oder andere wird von allein das Kapitel Nationalmannschaft für sich beenden. Aber Flick muss auch schauen, mit wem er jetzt überhaupt weitermachen will.

Thomas Müller hat seinen Rücktritt bereits angedeutet. Und man muss auch mal über die Zukunft Gündogans oder Manuel Neuers nachdenken.

Flick muss überlegen, ob eventuell auch eine Veränderung im Tor angebracht wäre. Bei dem ein oder anderen Gegentreffer sah Neuer nicht glücklich aus, das hat jeder gesehen. Er hat schon gesagt, dass er weitermachen würde und damit ein klares Zeichen gesetzt. Da bin ich jetzt – genau wie bei den vielen anderen offenen Fragen – auf die Antwort des Bundestrainers gespannt.

Transparenzhinweis
  • Stefan Effenberg ist Botschafter des FC Bayern München und sagt dazu: „Ich repräsentiere den FC Bayern, insbesondere im Ausland. Mein Engagement hat keinen Einfluss auf meine Kolumnen bei t-online. Hier setze ich mich weiterhin kritisch und unabhängig mit dem Fußball auseinander — auch und insbesondere mit dem FC Bayern.“
Verwendete Quellen
  • Eigene Beobachtungen
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