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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Ukraine-Krise und der Sport Das ist die bittere Realität
Die Lage in der Ostukraine ist dramatisch. Das Machtstreben Moskaus zieht weitreichende Folgen nach sich – die auch vor dem Sport in ganz Europa keinen Halt machen.
"Eines Tages kehren wir nach Hause zurück." Diesen Satz wiederholt Darjio Srna fast mantraartig in seinen Instagram-Posts. Der kroatische Sportdirektor des ukrainischen Fußballvereins Shakhtar Donezk hofft noch immer, dass er den Spielern und Fans des Traditionsklubs diesen Wunsch erfüllen kann. Doch das Ziel ist dieser Tage ferner denn je. Denn die Ukraine-Krise eskaliert.
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Am vergangenen Montag, den 21. Februar, erkannte Russlands Präsident Wladimir Putin die von den prorussischen Separatisten ausgerufenen "Volksrepubliken" Donezk und Luhansk als eigenständige Staaten an, verbunden mit der Ankündigung Streitkräfte für eine "Friedensmission", wie er es selbst nennt, in die Donbass-Region zu schicken. Seitdem mehren sich die Medienberichte, wonach Panzer und weiteres schweres Geschütz die völkerrechtlich anerkannte Grenze zwischen Russland und der Ukraine überquert haben soll.
Der Dammbruch in der Ostukraine hat natürlich zunächst einmal für die Bevölkerung der durch den Bergkohleabbau so stark geprägten Region Folgen. Die Sorge vor schweren militärischen Auseinandersetzungen und Leid sowie Hunger sorgen bereits für eine stetige Abwanderungswelle. Doch die Situation beeinflusst auch ganz Europa. Nicht nur die Wirtschaft, etwa indem die Ratifizierung der Gaspipeline Nord Stream 2 gestoppt wurde, sondern auch den Sport.
t-online beleuchtet mit vier Fragen, wie der Sport in Europa unter der Ukraine-Krise leidet.
Wie steht es um Shakhtar Donezk?
Bis zum nächsten "Heimspiel" fahren die Profis der "Hirnyky" (Deutsch: Minenarbeiter) gut fünf Autostunden, das Training unter der Woche findet 750 Kilometer von der Heimat entfernt statt. Das ist nicht erst seit der aktuellen Eskalation in der Ostukraine die bittere Realität von Shakhtar Donezk. Der Uefa-Pokalsieger von 2009 existiert bereits seit den ersten kämpferischen Zusammenstößen der prorussischen Separatisten und der ukrainischen Armee im Donezkbecken 2014 im Binnenexil, pendelt zwischen Kiew, wo sie im Sviatoshyn-Olympiakomplex ihr temporäres Trainingszentrum aufgeschlagen haben, und dem Metalist-Stadion in Kharkiv.
Eine Rückkehr in die imposante Donbass-Arena, der erst 2009 eröffneten 51.000 Zuschauer fassenden Heimstätte des Klubs, ist mit der Anerkennung der selbst ernannten "Volksrepublik" Donezk durch Russland in noch weitere Ferne gerückt. Dabei hatte sich Shakhtar im Laufe der vergangenen Jahre immer näher nach Hause gerobbt.
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Den Anspruch, ins Donezkbecken zurückzukehren, gibt Shakhtar nämlich nicht auf. Die Exil-Geschäftsstelle des Klubs liegt aktuell in Mariupol. Machen die von Russland unterstützten Separatisten Ernst und verleiben die komplette Oblast Donezk – in der Mariupol liegt – ihrer "Volksrepublik" ein, dürfte Shakhtar einmal mehr seine Pokale und Habseligkeiten einpacken und auf die Suche nach Sicherheit gehen. Düstere Aussichten – nicht nur für den ukrainischen Fußball.
Wie beeinflusst die Krise im Osten des Landes die um das WM-Ticket kämpfende Fußballnationalmannschaft?
Natürlich hat die Krise auch einen Einfluss auf die ukrainische Nationalmannschaft. Am 24. März haben die "Gelb-Blauen", wie das Team mit Bezug auf die Farben der Nationalflagge genannt wird, das vorerst wichtigste Spiel des Jahres gegen Schottland. In Glasgow kämpft die Ukraine im Playoff-Halbfinale um die Teilnahme an der Weltmeisterschaft 2022 in Katar. Das klassische Zusammenkommen des Teams im Heimatland samt anschließendem Flug zum Austragungsort des Auswärtsspiels könnte für die ukrainische Nationalmannschaft schwierig werden.
19 Spieler der Landesauswahl spielen in der heimischen Liga, viele von ihnen bei Shakhtar und Zorya. Allerdings verdienen auch einige Nationalspieler des EM-Viertelfinalisten von 2021 ihr Geld im Ausland. Die bekanntesten sind Oleksandr Zinchenko (Manchester City) und Ex-BVB-Profi Andriy Yarmolenko (West Ham United). Es erscheint fraglich, ob die Legionäre überhaupt ins Land hineinkommen, um sich dort auf das wichtige Spiel vorzubereiten. Einige Fluggesellschaften wie beispielsweise die Lufthansa fliegen Kiew aktuell gar nicht mehr an.
Was bedeutet die Lage für den Spielbetrieb in der Ukraine und Russland?
Ob – und wenn ja, inwiefern – die Zuspitzung des Konflikts weitere Auswirkungen auf den ukrainischen Fußball hat, ist noch unklar. Stand heute wird der kommende Spieltag der ersten ukrainischen Liga, der Premier Liga, dieses Wochenende wie geplant stattfinden. Spitzenreiter Shakhtar Donezk spielt bei Metalist Kharkiv. Die Stadt Kharkiv hat mit den Auseinandersetzungen aktuell nichts zu tun. Zorya Luhansk, der andere Verein, der schon längere Zeit nicht mehr im eigenen Stadion spielen kann, trifft auf den FK Mynaj. Auch hier ist mit keinen Einschränkungen zu rechnen, da Mynaj im Westen des Landes an der slowakischen Grenze liegt.
Interessant wird es zudem am Donnerstag in der Europa League. Dort tritt Zenit St. Petersburg beim spanischen Klub Betis Sevilla an. Besonders brisant wird dieses Duell durch die Tatsache, dass St. Petersburg Putins Heimatstadt sowie der umstrittene Uefa-Sponsor Gazprom dort ansässig ist. Es bleibt abzuwarten, ob der spanische Erstligist durch eine politische Aktion ein Zeichen setzt. Dass Sevilla zu dem Spiel überhaupt nicht antritt, erscheint derweil unrealistisch.
Die Ukraine ist jedoch nicht nur eine Fußballnation. Auch im Handball, Basketball und Volleyball sind ukrainische Mannschaften erfolgreich vertreten. Dies wirft die Frage auf, inwiefern die Partien in der aktuellen Situation vor Ort stattfinden können. Der Europäische Handballverband EHF hat sich dazu am Dienstag klar geäußert.
In einer Stellungnahme heißt es: "Die Europäische Handballföderation sieht derzeit keine Möglichkeit, Spiele in der Ukraine auszutragen." Dafür soll auf neutralem Boden gespielt werden.
Dies betrifft vor allem die Champions League der Männer. Hier wurden bisher 11 von 14 Runden der Gruppenphase gespielt. In der Gruppe B trifft der aus der ukrainischen Stadt Zaporizhzhia stammende HC Motor am 1. März auf Paris Saint-Germain, am 3. März auf Barça. Beide Partien sollen im slowakischen Prešov ausgetragen werden.
Zudem werden die kommenden Qualifikationsspiele zur EHF-Euro der Frauen zwischen der Tschechischen Republik und der Ukraine auf den 4. und 5. März verlegt. Beide Spiele sollen in der Tschechischen Republik stattfinden. "Die EHF beobachtet die Situation zwischen der Ukraine und Russland weiterhin aus europäischer Handballperspektive und wird bei Bedarf Updates zu den genannten Spielen sowie zu zukünftigen Spielen veröffentlichen", so der Europäische Handballverband weiter.
Der europäische Volleyball-Weltverband FIVB denkt aktuell nicht darüber nach, Russland die Männer-WM 2022 zu entziehen. "Der FIVB ist der Meinung, dass Sport immer von Politik getrennt bleiben sollte, aber wir beobachten die Situation genau, um die Sicherheit und das Wohlergehen aller Teilnehmer an unseren Veranstaltungen zu gewährleisten, was unsere oberste Priorität ist", teilte der FIVB am Dienstag auf dpa-Nachfrage mit. In den kommenden Viertelfinalspielen der Champions League der Herren ist jedoch keine ukrainische Mannschaft vertreten, dafür Zenit St. Petersburg. Bei den Frauen haben sich die russischen Klubs VK Dynamo Kasan, Dynamo Moskau und Lokomotiv Kaliningrad Region für das Viertelfinale qualifiziert. Hier sind jedoch keine Änderungen zu erwarten.
Der Weltbasketballverband FIBA gab am Montag bekannt, dass das für den 27. Februar geplante Qualifikationsspiel für die Basketball-WM 2023 zwischen der Ukraine und Spanien verlegt wird. Als möglichen Nachholzeitraum nannte der Verband Juni oder Juli. In einer Mitteilung heißt es: "Die Entscheidung und die damit verbundene Sicherheitsbewertung wirken sich nicht auf andere Spiele der Gruppe G, an der die Ukraine und Spanien teilnehmen, oder auf andere Gruppen der Qualifikationsspiele für die FIBA-Basketball-Weltmeisterschaft 2023 aus, die wie ursprünglich geplant bleiben."
Was sagt der Fußballexperte zur aktuellen Lage?
Der ukrainische Sportjournalist Arsenij Zakharov erklärt t-online: "Nach dem Beginn des Krieges in der Ostukraine 2014 hat die Attraktivität der ukrainischen Liga ziemlich abgenommen. Viele Klubs haben finanzielle Probleme bekommen. So wie der Klub Dnipro Dnipropetrovsk, der 2015 noch im Europa-League-Finale gegen Sevilla gespielt hat. Mittlerweile gibt es Dnipro gar nicht mehr, der Klub hat sich aufgelöst. Die beiden großen Vorzeigeklubs Kiew und Donezk haben sich allerdings gut gehalten. Shakhtar besiegte 2020 in der Champions League zweimal Real Madrid. Der Verein ist sehr gut aufgestellt. Auch Dynamo Kiew wird nicht untergehen. Ich bin mir sicher, dass beide Klubs die politische Krise überstehen werden."
- Eigene Recherche
- Gespräch mit Arsenij Zahkarov
- Homepage von Shakhtar Donezk
- Instagram-Feed @darijosrna