Barcelona-Coach im Portrait Das müssen Sie über Barças neuen Trainer wissen
Ernesto Valverde steht vor seiner größten Prüfung als Trainer: Der 53-Jährige hat im Sommer den FC Barcelona übernommen. Nicht nur wegen des Abgangs von Superstar Neymar könnte es eine schwierige Saison werden...
Auch die Generalprobe im spanischen Supercup – ausgerechnet gegen den Erzrivalen Real Madrid – ging gründlich daneben: 1:3 und 0:2 in Hin- und Rückspiel.
Vor dem Saisonstart heute gegen Betis Sevilla (ab 20:15 Uhr im Live-Ticker bei t-online.de) stellt t-online.de-Korrespondentin Valeria Meta den neuen Trainer vor: Von wem Valverde gelernt hat, wie er zu Barcelona kam - und warum seine heimliche Leidenschaft noch warten muss...
Johan Cruyff sagte einst: Das Wichtigste im Fußball sei nicht, zu laufen und zu laufen, sondern zu schauen.
Wohl keiner seiner Schüler hat diese Botschaft besser verinnerlicht als Ernesto Valverde: Dabei wollte sich der neue Trainer des FC Barcelona anfangs gar nicht auf die Trainerbank setzen. Stattdessen wollte er Fotograf werden. Und tatsächlich: Mit dem Titel "Medio tiempo" ("Halbzeit") erschien 2013 sein erstes Fotobuch, und er unterstützte auch die Eröffnung einer Fotografie-Schule in Bilbao, wo später dann auch seine Werke ausgestellt wurden. Die Leidenschaft für den Fotoapparat hat Valverde früher gepackt als die für den Fußball. Schon während seiner Profi-Karriere reiste er nie ohne seine Kamera. Sie wird ihn auch nach Barcelona begleitet haben.
Problem zu Karrierebeginn
In Katalonien erwartet Valverde eine anspruchsvolle Aufgabe: Als Nachfolger von Luis Enrique und Pep Guardiola tritt er ein großes Erbe an – nicht nur wegen der zahlreichen Titel, die Barca in der letzten Dekade gewann, sondern auch wegen seiner Spielphilosophie. Wobei sich Valverde schon lange in bester Barça-Tradition bewegt: Wie schon Frank Rijkaard und Guardiola hatte er als Spieler die Gelegenheit, die Arbeit von Johan Cruyff aus nächster Nähe mitzuerleben.
Genau diese Erfahrung – und der aufsehenerregende Bilbao-Spielstil – waren entscheidend bei der Wahl des Barça-Vorstands. Im Camp Nou zählt vor allem eines: Das Spiel soll ein Genuss sein, Langeweile ist schlimmer als eine Niederlage. Und genau dafür ist Valverde der richtige Mann: Er hat den Blick für die Schönheit, für das Attraktive, das Packende – auf und neben dem Feld.
Publikumsliebling bei Espanyol
Dabei wurde der "Blick" zu Beginn seiner Karriere zum Problem: Der stark kurzsichtige Valverde musste sogar im Spiel mit Brille auflaufen – was ihm den Spitznamen „Mortadelo“ einbrachte, nach der Hauptfigur eines spanischen Comicstrips. Seinen echten Kampfnamen bekam er aber erst 1987, als er von Bilbao zum Espanyol Barcelona wechselte: Trainer Javier Clemente taufte ihn schon nach seiner ersten Saison "Txingurri" (Baskisch für "Ameise"). Denn dank der erarbeiteten Tore der "Ameise" beendete Espanyol die Liga auf Platz drei und erreichte das Uefa-Cup-Finale gegen Bayer Leverkusen. Bei Espanyol wurde Valverde zum Publikumsliebling.
Seine starken Leistungen blieben auch auf der anderen Seite der Stadt nicht unbemerkt: Im Sommer 1988 stand Valverdes Name auf der Einkaufsliste von Johan Cruyff, der gerade als neuer Trainer von Barcelona verpflichtet worden war. Unter dem Holländer konnte er aber wegen vieler Verletzungen in zwei Jahren insgesamt nur 1271 Minuten spielen, wechselte im Sommer 1990 zurück nach Bilbao. "Er war ein untypischer Fußballer, mit einer besonderen Empfindsamkeit", erinnerte sich Valverdes früherer Barça-Teamkollege Luis Lopez Rekarte in "El Pais". Und: "Tatsächlich wollte er lieber Fotograf als Trainer werden. Er hatte immer den Fotoapparat mit."
Cruyff als Mentor
Dennoch reichten ihm 1271 Minuten aus, um die Cruyff-Philosophie komplett zu verinnerlichen. Am Ende seiner Profi-Karriere erhielt Valverde den Auftrag, Bilbaos A-Jugend zu trainieren. Er musste tatsächlich eine Weile überlegen: Eigentlich wollte er sich endlich seiner geliebten Fotografie widmen – und, viel schlimmer noch: Er zweifelte daran, das Zeug zum Trainer zu haben.
Valverde rief seinen Mentor Cruyff an und bat ihn um Rat. Der Kontakt zwischen den beiden war nach Valverdes Abschied aus Barcelona eingeschlafen, doch er war Cruyff in bester Erinnerung geblieben. Legenden zufolge ging das Telefonat bis tief in die Nacht. Das Ergebnis: Valverde nahm das Angebot an und begann bei der A-Jugend seine Karriere als Trainer – wie später auch Guardiola und Enrique in Barcelona. 2012 noch erklärte Cruyff Valverde: "Als Spieler war er extrem intelligent. Immer übermittelte er mir sein Interesse an Fußball und seine Lust aufs Lernen."
"Ich bin froh, dass es Trainer wie ihn gibt"
In Bilbao wurde Valverde 2003 sogar zum Nachfolger von Jupp Heynckes als Cheftrainer. Cruyff schwärmte damals: "Es bereitet mir Freude, seine Mannschaft spielen zu sehen. Ich bin froh, dass es Trainer wie Valverde gibt, die die Leute genießen lassen." Nach zwei Jahren legte Valverde eine Pause vom Fußball ein, ging 2006 dann zum FC Villarreal. 2008 kam der Wechsel nach Griechenland, wo er Olympiakos Piräus zum Meistertitel führte.
Nach weiteren Stationen beim FC Villarreal (09/10), wieder Olympiakos (2010-12) und beim FC Valencia (12/13) kehrte er 2013 nach Bilbao zurück. Die Aufgabe damals: Fast noch schwerer als heute beim FC Barcelona. Valverde musste Marcelo Bielsa ersetzen, der in den zwei vorherigen Spielzeiten durch die hervorragenden und emotionalen Leistungen der Mannschaft eine Art kollektive Hysterie in der Stadt entfesselt hatte – obwohl die Mannschaft titellos blieb.
"Cruyff-Note" als Rezept
Valverde ließ dann seine Mannschaft ebenso offensiv spielen wie Bielsa, verzichtete aber nicht auf seine "Cruyff-Note": Während seiner Amtszeit zeichnete sich Athletic besonders durch schnelle Ballzirkulation aus. Dank dieser Eigenschaft konnten die Basken sogar den Ballbesitz-Meistern aus Barcelona Schwierigkeiten bereiten. Den Glanzpunkt erreichten sie 2015 im Hinspiel des spanischen Supercups, als sie im Estadio San Mamés genau den amtierenden spanischen Meister und Champions-League-Sieger eine wahre Fußball-Lehrstunde erteilten. 4:0 lautete das Ergebnis, das nach 31 langen Jahren wieder einen Titel nach Bilbao brachte.
Eine Nacht, die man in Barcelona wohl nicht vergaß: Als Luis Enrique seinen Abschied von den Katalanen verkündete, war Valverdes Name auf Anhieb unter denen der möglichen Nachfolger. Im Sommer dann war die Verpflichtung perfekt.
Valverde muss sich damit abfinden: Die Karriere als Fotograf muss noch warten.