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Ralf Rangnick als Nationaltrainer Österreichs? "Wie für ihn gemacht"


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Rangnicks Österreich-Debüt
Wie für ihn gemacht


Aktualisiert am 03.06.2022Lesedauer: 4 Min.
Ralf Ragnick im Trainingsanzug von Österreich: Der 63-Jährige trainiert erstmals in seiner Karriere eine Nationalmannschaft.Vergrößern des Bildes
Ralf Ragnick im Trainingsanzug von Österreich: Der 63-Jährige trainiert erstmals in seiner Karriere eine Nationalmannschaft. (Quelle: Leonhard Foeger/reuters)

Ralf Rangnick steht vor seinem Debüt als österreichischer Nationaltrainer. Nach dem Aus bei Manchester United wirkt das wie ein Karriereknick. Doch für den Coach hat der Job einen besonderen Reiz.

"Knackig", "intensiv", "sehr anstrengend" sei das erste Training, jeder einzelne Spieler "absolut am Limit" gewesen, hieß es.

Nein, hier wird nicht unter Felix Magaths Amtsantritt bei Bundesliga-Krisenkind Hertha BSC geächzt. Hier äußern sich Sasa Kalajdzic und Christopher Baumgartner in einer Mischung aus Be- und Verwunderung über ihren neuen Cheftrainer in der österreichischen Nationalmannschaft: Ralf Rangnick.

Ausgerechnet der als "Professor" betitelte Viererkettenvordenker hat Österreichs "Goldene Generation" direkt beim gemeinsamen Kennenlernen an ihre konditionelle Belastungsgrenze gebracht. Schließlich steht bereits am heutigen Freitag das erste Pflichtspiel in der Nations League gegen Vizeweltmeister Kroatien (ab 20.45 Uhr im t-online-Liveticker) an.

Rangnick hat sich dabei keineswegs als Schleifer neu erfunden. Vielmehr haben die ÖFB-Fußballer erkannt, dass die Nationalmannschaft, wie sie sie in den vergangenen fünf Jahren kannten, nicht mehr existiert.

Rangnick steht für das Gegenteil seines Vorgängers

Rangnick ist mit 63 Jahren angetreten, um im deutschen Nachbarland die Aufgabe anzugehen, die ihn seit jeher am meisten definiert: Komfortzonen zu beseitigen.

Heimisch eingerichtet hatten sich die Spieler unter Rangnicks Vorgänger Franco Foda. Der frühere Lautern- und Leverkusen-Profi führte Österreich zur Europameisterschaft 2021, dort zum ersten Sieg in einer EM-Endrunde überhaupt und ins Achtelfinale gegen den späteren Turniersieger Italien. Seine Kritiker konnte er mit diesen Erfolgen jedoch nur temporär verstummen lassen.

Zu abwartend, zu vorsichtig sei sein Spielstil, hieß es immer wieder im Laufe seiner fünfjährigen Amtszeit, zu wenig werde aus dem hochveranlagten Spielermaterial der Alpenrepublik herausgekitzelt. Das krachende Aus in den Playoffs zur WM 2022 gegen Wales (1:2) sorgte für das für viele österreichische Experten und Journalisten längst überfällige Ende der Foda-Ära.

Ausgerechnet dieser "Trümmerhaufen" ist wie für Rangnick gemacht.

Schon rein fußballerisch steht Rangnick für nahezu das exakte Gegenteil Fodas. Der frühere Hoffenheim- und RB-Ziehvater will den Ball schnell und mit so wenig Ballkontakten wie möglich nach vorne tragen. Dabei ist Ballbesitz kein Fetisch, wie etwa im Falle Pep Guardiolas, sondern Grundvoraussetzung, um sein eigenes Tor zu schützen und eigene Treffer zu markieren. Dementsprechend aggressiv lässt Rangnick seine Mannschaften auch gegen den gegnerischen Ballbesitz anlaufen.

Nationalspieler Danso: Rangnick passt gut zu meinem Fußball

"Ich empfinde seine Art, Fußball spielen zu lassen, als sehr positiv", sagt Kevin Danso im Gespräch mit t-online. Der frühere Düsseldorfer und Augsburger Innenverteidiger lief zuletzt 2018 für Österreichs Nationalmannschaft auf, wurde danach nur noch einmal überhaupt von Foda nominiert. Unter Rangnick erhofft er sich eine Art Neustart seiner Länderspielkarriere – auch, weil ihm die grundsätzliche Philosophie des Neu-Nationaltrainers so zusagt.

"Besonders seine Art, Spielstile zu hinterfragen und zu modernisieren, passt sehr gut zu meinem Fußballverständnis", so Danso. Der Anfang für das Comeback in der Nationalelf ist gemacht: Der 23-Jährige vom französischen Überraschungsteam RC Lens ist von Rangnick in dessen Debütkader berufen worden.

Kritische Stimmen erheben sich jedoch auch gegen Rangnick. "Pressing ist keine Erfindung von Ralf Rangnick", grantelte etwa Österreichs Fußballlegende Hans Krankl. Mit seiner Skepsis gegenüber dem Deutschen steht der einstige Barça-Profi nicht allein da. Rangnicks kurze Ära als Chefcoach des englischen Rekordmeisters Manchester United hat da nur zu beigetragen.

Bei ManUnited wurde Rangnick als Revolutionär, als Prophet des modernen Spiels angekündigt. Geblieben ist von dieser Anfangseuphorie fünf Monate später nichts.

In einer vernichtenden Analyse für das Portal "The Athletic" arbeitete Taktikexperte Michael Cox Rangnicks zentrale Schwäche heraus: Rangnick böte nur standardisierte Lösungen auf fußballerische Gegebenheiten und Probleme an, in denen Spieler sich als Figur und nicht als Individuum wiederfänden. Rangnicks Versprechungen seien in Manchester gescheitert, weil er seine Theorien nicht auf wöchentlich neue Gegebenheiten, Rückschläge und Freigeister wie Cristiano Ronaldo habe anpassen und anwenden lassen können.

Wohl auch aufgrund solcher Kritiken verzichtete Rangnick auf seine verabredete Beraterrolle bei den "Red Devils" und konzentriert sich nun voll und ganz auf den Cheftrainerjob in Österreich. Eine Position, die – bleibt man bei Cox' Analyse – dem Schwaben deutlich mehr zusagen sollte.

Rangnick trifft auf Spieler, die nach seinem Stil ausgebildet wurden

Als Nationaltrainer wird Rangnick Wochen, sogar Monate Zeit haben, um sein Spielermaterial scouten und analysieren zu können. Dies wird ihm Gelegenheit geben, seinem Team maßgeschneiderte Matchpläne und Alternativen für die wenigen gemeinsamen Auftritte aufzuzeigen.

Rangnick mag sich in Manchester als Vereinscoach entzaubert haben, sein Selbstverständnis, Trainer eines Weltklasseklubs sein zu können, mag in sich zusammengebrochen sein. Das alles bedeutet jedoch nicht, dass seine Ära in Österreich schon vor dem ersten Anpfiff verdammt ist. Dafür dürfte ihm die Mannschaft zu sehr liegen.

In Österreich findet Rangnick eine junge, dynamische Truppe vor. Sein erster 25-Mann-Kader hat einen Altersdurchschnitt von 26,7 Jahren. Gestandene Profis also, die jedoch auch noch deutliches Entwicklungspotenzial bieten. Zudem kann er gleich auf eine Reihe von Zöglingen der Red-Bull-Kaderschule zurückgreifen.

Maximilian Wöber, Valentino Lazaro, Stefan Lainer, Xaver Schlager, Konrad Laimer, Marcel Sabitzer, Nicolas Seiwald, Hannes Wolf: Sie alle spielen oder spielten bei Red Bull Salzburg, einige zudem bei RB Leipzig, in einem System, das Rangnick in verschiedensten verantwortungsvollen Rollen in den Bullen-Klubs implementiert hat. Salopp gesagt hat er als Nationaltrainer über ein halbes Dutzend potenzieller Stammspieler zur Verfügung, die seine Philosophie mit der fußballerischen Muttermilch aufgesogen haben. Gerade den emsigen Lochstopfern Sabitzer und Laimer könnte in Rangnicks laufintensivem System eine zentrale Rolle zufallen.

Spannend wird derweil zu sehen sein, wie sich Rangnick mit Platzhirschen wie Marko Arnautovic und David Alaba zurechtfindet. Mit der Nicht-Berücksichtigung des 100-fachen Nationalspielers und bisherigen Co-Kapitäns Aleksandar Dragovic hat er zumindest personell ein erstes Ausrufezeichen gesetzt. "Ein Schock" sei die Entscheidung gegen ihn gewesen, erklärte der frühere Leverkusener. "Tut mir schon weh", bedauerte Arnautovic die Ausbootung des 31-Jährigen.

Auch aufgrund dieser kontroversen Entscheidung gilt: Rangnick mag in Österreich auf dem Papier mehr Zeit für die Ausarbeitung der Theorie haben als in Manchester. Doch wenn die Praxis auch in der Alpenrepublik nicht stimmt, die Ergebnisse ausbleiben – sprich, die sichere Qualifikation für die EM 2024 – und er die Mannschaft nicht geschlossen hinter sich weiß, könnte seine Trainerkarriere auf der harten Bank des Ernst-Happel-Stadions ganz schnell beendet werden.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche und Beobachtungen
  • Video-Gespräch mit Kevin Danso
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