Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Italien verpasst WM in Katar Selbst Schuld
Sie haben es wieder nicht geschafft: Italien hat sich nach 2018 erneut nicht für eine Weltmeisterschaft qualifiziert. Wie konnte das nur passieren? Ein Experte versucht das Debakel zu
"Apokalypse", "Albtraum", "Desaster" – die italienische Presse lederte nach dem WM-Aus der italienischen Nationalmannschaft (0:1 gegen Nordmazedonien) so richtig los. Sie ließ kein gutes Haar an Trainer Roberto Mancini und seinen Spielern. Innerhalb von 256 Tagen vom EM-Sieger zum WM-Loser – wie konnte das nur passieren?
Der Absturz ist heftig, aber irgendwie mit Ansage. Das glaubt zumindest der italienische Journalist Vittorio Campanile im Gespräch mit t-online. "Nun, wie es in Italien leider oft vorkommt, haben wir gedacht, dass wir es geschafft hätten. Nur haben wir leider nicht daran gearbeitet, unseren Fußball zu verbessern", erklärt Campanile. Selbst Schuld sozusagen. "Dieses Mal sollten wir hoffen, dass jeder erkannt hat, was wir alles ändern müssen."
"Mancini trägt große Verantwortung"
Im Juli des vergangenen Jahres hatte Italien die Europameisterschaft gewonnen (3:2 i.E. gegen England) und stellte im Herbst einen Weltrekord auf – 37 Spiele am Stück ungeschlagen. Danach begann die Krise. Abwehr-Legende Giorgio Chiellini sagte nach der Nordmazedonien-Pleite: "Wir haben seit September Fehler gemacht und nun dafür bezahlt."
In der Quali-Gruppe verlor Italien keins von acht Spielen, spielte aber eben auch vier Mal nur unentschieden. Weh taten dabei vor allem ein 1:1 gegen Bulgarien und ein 0:0 am letzten Spieltag gegen Nordirland. Bitter: Mittelfeldspieler Jorginho verschoss in der Gruppenphase bei den beiden Unentschieden gegen die Schweiz jeweils einen Elfmeter. Wäre alles anders gekommen, wenn er sie versenkt hätte?
Alles rein spekulativ. Für Vittorio Campanile hat eher Trainer Mancini große Mitschuld am WM-Aus: "Er trägt eine große Verantwortung für diese Niederlage. Er hat das getan, was vor ihm schon Marcello Lippi 2010 (nach dem WM-Sieg 2006) und Enzo Bearzot 1986 (nach dem WM-Sieg 1982) gemacht haben: sich auf dieselben Spieler zu verlassen, die Italien zum Erfolg geführt hatten. Dabei haben sie aber das Alter und die Form dieser Spieler ignoriert."
Ein gutes Beispiel sei Stürmer Lorenzo Insigne, der laut Journalist Campanile "seine schlechteste Saison spielt". Insigne hat kaum Tore erzielt, sein Wechsel in die MLS in den USA tat sein Übriges. "Er ist kein Spieler, der in der Nationalmannschaft spielen sollte. Genau wie Nicolò Barella, der, obwohl er ein Leistungstief hat, trotzdem in der Startelf gegen Nordmazedonien stand", so Campanile. "Hinzu kommt, dass Bonucci und Chiellini auch in ihrem Alter immer noch unsere besten Innenverteidiger sind, und das ist kein gutes Zeichen für den Rest unserer Abwehrspieler. Beide Spieler haben in dieser Saison mit Verletzungen zu kämpfen und trotzdem kommt von hinten keiner an die beiden ran. Mancini hätte mehr riskieren und Spielern in besserer Form eine Chance geben sollen, wie Calabria, Tonali und Zaccagni."
Rückständiges Italien
Aus in der Gruppenphase 2010, Aus in der Gruppenphase 2014, WM 2018 in Russland verpasst und nun auch noch das WM-Aus 2022 für Katar. Was muss jetzt passieren in Italien, damit die Nationalmannschaft zurück zu alter Stärke findet?
Trainerlegende Arrigo Sacchi fordert ein generelles Umdenken im italienischen Fußball. Dieser sei "kulturell rückständig, es gibt keine neuen Ideen. Die anderen Nationen entwickeln sich, wir sind auf dem Stand von vor 60 Jahren geblieben", sagte der 75-Jährige der "Gazzetta dello Sport". "Unsere Jugendabteilungen sind voll mit Spielern aus dem Ausland, die gekauft werden wie Obst und Gemüse, die Klubs sind höchstverschuldet, die Teams gewinnen außerhalb Italiens nichts mehr und niemand sagt es etwas?", fragte Sacchi.
Seit 2010, als Inter Mailand die Champions League gewann, ging kein Vereinspokal mehr nach Italien. "Wir sind rückständig, und das nicht nur im Fußball", poltert Arrigo Sacchi. Es bleibt erst mal nichts als die Hoffnung.
- Eigene Recherche
- Gespräch mit dem Journalisten Vittorio Campanile
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa