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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Ex-Profi kritisiert "Schweigeminuten? Halte diese Art von Symbolik für nicht zielführend"
Jan Rosenthal war viele Jahre selbst Bundesligaprofi, doch die aktuellen Reaktionen auf das schreckliche Attentat von Hanau aus der Fußball-Eliteklasse hält er für zu wenig.
Er machte genau 200 Spiele in der Bundesliga, lief zwischen 2005 und 2018 für Hannover 96, den SC Freiburg, Eintracht Frankfurt und Darmstadt 98 auf. Inzwischen ist Jan Rosenthal kein Profi mehr. Doch er beobachtet den ganz großen Fußball noch sehr genau.
Rosenthal hat schon während seiner Karriere über den Tellerrand geblickt und eine klare Meinung zu gesellschaftlichen Themen vertreten. Unter anderem engagierte sich der 33-Jährige regelmäßig für Integrationsprojekte.
Auch deshalb interviewte ihn t-online.de nach den fürchterlichen Ereignissen in Hanau. Denn die Frage ist: Welche Rolle sollte der Profifußball in solch schlimmen Zeiten einnehmen?
t-online.de: Herr Rosenthal, das Attentat von Hanau hat ganz Deutschland erschüttert. Viele hochrangige Personen aus allen Gesellschaftsbereichen haben sich anschließend dazu geäußert und klar gegen Rassismus positioniert.
Jan Rosenthal (33): Das ist an sich auch gut, nur ist das mittlerweile leider fast zur Gewohnheit geworden. Auch ist inzwischen fast reflexartig von möglichen Karnevalsabsagen oder Schweigeminuten in den Bundesligastadien die Rede. Ich halte diese Art von Symbolik jedoch für nicht zielführend, denn sie drückt eher das Gegenteil von dem aus, womit wir Ausländerfeindlichkeit, Hass und Gewalt entgegentreten müssen: nämlich mit gelebtem Zusammenhalt und einer starken, lebensfrohen und lauten Gesellschaft!
Was meinen Sie genau damit?
Ich meine damit nicht, dass wir einfach so weitermachen sollten, als wäre nichts gewesen – ganz im Gegenteil: Lasst uns doch die karnevalistischen Feierlichkeiten dazu nutzen, um gemeinsam positive Zeichen zu setzen. Zum Beispiel, indem sich am Rosenmontag um 11.11 Uhr alle Leute auf den Straßen Hand in Hand die Arme hochreißen und damit symbolisch für eine offene und friedliche Gesellschaft plädieren, in der es keinen Platz für Ausgrenzung gibt.
Also raus auf die Straße, statt zu trauern?
Natürlich verstehe ich, dass man der Opfer und deren Angehörigen Gedenken und Mitgefühl zeigen möchte. Es ist aber vermutlich auch nicht in deren Sinne, wenn noch mehr Unsicherheit als ohnehin schon unter den Menschen entsteht, indem das gesellschaftliche Leben durch Absagen spürbar eingeschränkt wird. Wir dürfen uns nicht einigeln und verbarrikadieren – und damit im Stillen denjenigen das Feld überlassen, die Hass schüren wollen.
Wie sollte man im Fußball in diesen Situationen reagieren?
Immer, wenn etwas Schlimmes in Deutschland oder auf der Welt passiert, werden in der Bundesliga Schweigeminuten angesetzt. Der Grundgedanke dahinter ist natürlich nicht verkehrt – aber sowas wird nicht gerade wirkungsvoller von Mal zu Mal. Im Gegenteil, es nutzt sich gewissermaßen ab, so doof es auch klingt. Und bezogen auf die gesellschaftlichen Grundprobleme an sich: Hat das jemals nachhaltig etwas bewirkt?
Was schlagen Sie stattdessen vor?
Ich fände es deutlich sinnvoller, wenn statt einer Trauersymbolik kraftvolle Signale gesendet werden: Das kann ein gemeinsamer Gesang sein, der zeitgleich und über alle Fangruppen hinweg lautstark durch alle Bundesliga-Stadien hallt – und damit die notwendige Energie versprüht, die es braucht, um geschlossen gegen Rassismus vorzugehen. Die Fans von Eintracht Frankfurt haben es vor dem Europa-League-Spiel eindrucksvoll vorgemacht.
Und es hat Wirkung gezeigt.
Alle fordern, dass man mutig gegen Rassismus vorgehen müsse. Ich denke, dafür braucht es den Mut, Dinge auch mal anders anzugehen.