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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Die Fehler von Löw Deutschland ist nicht erst an Südkorea gescheitert
Normalerweise folgt auf ein blamables Ausscheiden die Generalabrechnung. Das ist auch im erfolgsverwöhnten Deutschland nicht anders – besonders nach dem Desaster in Russland.
Die Nationalmannschaft verabschiedete sich erstmals nach einer Vorrunde von einer Weltmeisterschaft. Nun stellt sich die Frage: Welche Fehler begingen Joachim Löw und seine Kicker?
In drei Gruppenpartien setzte der Bundestrainer insgesamt 20 Spieler ein. Lediglich die beiden Ersatztorhüter und Matthias Ginter standen nicht eine Minute auf dem Rasen. Allein das zeigt schon, dass Löw bis zuletzt an der richtigen Erfolgsformel bastelte.
Was tun bei eigenem Ballbesitz?
Denn auch bei den eher durchwachsenen EM-Turnieren 2012 und 2016 war eine große Fluktuation in der Startelf zu beobachten. Es ist zumeist Löws Antwort auf spielerische und taktische Probleme.
An sich mussten er, sein Stab wie auch die gesamte Mannschaft darauf eingestellt sein, dass alle drei Gruppengegner Pressing spielen, hinten drin stehen und auf Konter lauern werden. Und trotzdem fehlte es an der richtigen Herangehensweise bei eigenem Ballbesitz. "Wir haben nicht mit dieser Dynamik gespielt", sagte Löw nach der Niederlage gegen Südkorea.
Es entstand jedoch in den 270 Minuten zuvor der Eindruck, als wollten die Deutschen vor allem den Ball und damit auch den Gegner unter Kontrolle halten. Dribblings wurden abgebrochen oder erst gar nicht versucht. Der steile Pass nach vorn wurde teils erst nach reiflicher Überlegung vorgenommen.
Und so spielten sich die Angriffe zumeist in der Horizontalen oder auf den Flügeln ab. Der Durchbruch in die tornahen Zonen blieb nicht selten aus oder erfolgte nur nach uninspirierten Flanken.
Schlechter Turnierstart
Nun hätte diese Strategie trotzdem aufgehen können. Irgendwann müsste schließlich ein Tor fallen. Aber: Schon der erste Spieltag machte den Deutschen einen gehörigen Strich durch die Rechnung. Die Niederlage gegen konterstarke Mexikaner setzte die DFB-Auswahl unter Druck.
Nun mussten sie gegen Schweden und später Südkorea Tore erzielen. Aus der eigentlich dominanten, den Ballbesitz bestimmenden Position fand sich Deutschland plötzlich in der Rolle des Getriebenen wieder. "Wir haben viele Tormöglichkeiten schon gehabt, aber die letzte Konsequenz hat gefehlt", gab Löw nach dem Ausscheiden zu Protokoll.
Hoher Entscheidungsdruck vorm gegnerischen Tor
Er bezog sich dabei konkret auf die Partie gegen Südkorea, aber eigentlich auch auf das gesamte Auftreten seiner Mannschaft. Denn ganz ohne Torchancen blieb sie natürlich nicht. Regelmäßig wurden Möglichkeiten versiebt. Allein Mats Hummels hätte gegen Südkorea sein Torkonto in die Sphären eines Cristiano Ronaldo hochschrauben können.
Doch was die meisten Chancen der Deutschen gemein hatten: Die Spieler befanden sich unter immensem Entscheidungsdruck, weil sie meist im Sechzehner auf engstem Raum zum Abschluss kamen. Die Gegner der Deutschen durften sich vor ihren Chancen auf dem freien Feld bewegen und hatten es dadurch naturgemäß leichter.
Kein Raum, kein Plan?
Löw meinte, "der Plan war in jedem Fall da. Aber wir konnten es nicht umsetzen." Doch wie genau er den Gegner auseinanderziehen und Räume schaffen wollte, das blieb sein Geheimnis. Die Südkoreaner verteidigten teilweise auf einem 25 Meter langen Streifen von Abseitsgrenze bis Sturmspitze.
Deutschland schob mit immer mehr Spielern nach vorn und machte das effektive Feld dadurch noch kleiner. In diesen Minimalräumen wird es selbst für Edeltechniker wie Kroos, Özil oder Reus extrem schwierig.
Spiel des DFB-Teams zu flankenlastig
Die Südkoreaner verteidigten derweil clever. Die Sechser attackierten zunächst Deutschlands Spielmacher und lenkten das Passspiel auf die Flügel. Anschließend zogen sie sich in die Abwehr zurück und besetzten die letzte Linie. Damit waren die Deutschen in der Mitte in klarer Unterzahl und hatten allenfalls mit Mario Gómez einen kompetenten Kopfballspieler bereitstehen. Die Flanken blieben ohne Ertrag.
Schon in den Monaten vor der WM war das flankenlastige Spiel des DFB-Teams auffällig. Aber ab einem gewissen Niveau kann dies kein gangbares Mittel mehr sein. Auf den einen Nadelstich nach einer hohen Hereingabe zu hoffen wäre naiv. Doch wenn kein anderer Plan bleibt, dann werden die Angriffsversuche ausrechenbar und die deutsche Mannschaft entwickelt eine Anfälligkeit für Ballverluste – was ihr schlussendlich auch das Genick brach.
Die hohe Dominanz in den Ballbesitzstatistiken entpuppte sich als eine phasenweise Scheindominanz und sogar als taktikpsychologisch kontraproduktiv. Denn wer ständig den Ball hat, aber auch ständig hängen bleibt, der wird nervös und zweifelt an den eigenen Fähigkeiten.
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Die deutsche Mannschaft spielte zum Ende ohne jene Selbstverständlichkeit, die sich noch 2014 breitmachte. Das Aus nach der Gruppenphase ist natürlich der absolute GAU für den DFB, aber selbst bei einem Weiterkommen hätte es dieses Team mit dieser taktischen Herangehensweise nicht weit gebracht.