WM-Rückblick: Mexiko 1986 Deutsche Überraschung und die "Hand Gottes"
Die zweite WM in Mexiko nach 1970 bescherte Deutschland diesmal sogar die Endspielteilnahme. Aber im Finale scheiterte die Mannschaft von Teamchef Franz Beckenbauer an Maradona und Co.
Deutschland im WM-Finale 1986! Niemand, selbst der Teamchef nicht, hatte das zuvor geglaubt. Noch vor dem ersten Spiel bei der WM-Endrunde in Mexiko versuchte Franz Beckenbauer, Druck von seiner Mannschaft zu nehmen und sie gleichzeitig zu provozieren, indem er gegen die Bundesliga polemisierte: "Da gibt es doch nur noch Schrott."
Der Start im Gruppenspielort Queretaro war dann auch mühsam. Gegen Uruguay (1:1) gelang Klaus Allofs erst fünf Minuten vor Schluss der Ausgleich. Gegen Schottland (2:1) musste wieder ein Rückstand aufgeholt werden, was dank Allofs und Rudi Völler auch gelang. Und gegen Dänemark setzte es mit 0:2 die erste Niederlage seit 56 Jahren.
Deutschland unter Betrugsverdacht
Dieses 0:2 war wieder Auslöser für Spekulationen, entging Deutschland doch so im Achtelfinale Spanien, das Dänemark prompt ausschaltete. Man traf auf Marokko, welches sich als erstes Land aus Afrikas für ein WM-Achtelfinale qualifizieren konnte. Jedenfalls unterstellte Dänemarks deutscher Trainer Sepp Piontek den Deutschen bewusstes "Rückwärtsspielen", was Beckenbauer auf die Palme brachte und auch den damaligen DFB-Präsidenten Hermann Neuberger – seit dem 1:0 im Nichtangriffspakt 1982 gegen Österreich sehr sensibel in diesem Punkt – zu galligen Repliken veranlasste.
Auch außerhalb des sportlichen Bereichs war einiges los im deutschen Quartier Mansion Galindo, der Oase inmnitten einer Steinwüste, 40 Kilometer vor den Toren Queretaros. Uli Stein fand sich nicht damit ab, im Tor nur die Nummer zwei hinter Toni Schumacher zu sein, sonnte sich, wenn andere sich aufwärmten, schimpfte den Teamchef einen "Suppenkasper" und erntete schließlich den zweifelhaften Ruhm, als erster deutscher Spieler von einer WM vorzeitig nach Hause geschickt worden zu sein.
Derweil beklagte sich Karl-Heinz Rummenigge, von seiner Verletzung noch nicht wieder ganz genesen, der "kölsche Klüngel" von Toni Schumacher, Klaus Allofs und Pierre Littbarski verhindere seinen Einsatz. Und Teamchef Beckenbauer selbst hatte phasenweise auch schwache Nerven, weshalb die in demselben Hotel untergebrachten Hundertschaften der Journalisten kurzerhand eine neue Maßeinheit definierten: Ein "Beckenbauer" war demnach die kürzeste Entfernung zwischen zwei Fettnäpfchen.
Das Achtelfinale gegen Marokko wurde dank eines Treffers von Lothar Matthäus zwei Minuten vor Schluss mit 1:0 gewonnen. Deutschland hatte den Kopf noch einmal aus der Schlinge gezogen, aber andere große Teams scheiterten: Titelverteidiger Italien zog gegen Europameister Frankreich den Kürzeren. Die Azzurri hatten der Spielkunst der Franzosen, die in Mexiko zum vorerst letzten Mal in voller Blüte standen, nichts entgegenzusetzen.
Maradonas Handspiel wird zur Legende
Michel Platinis Glanz überstrahlte alle, und ausgerechnet der Spielmacher von Juventus Turin brachte die Equipe Tricolore auf die Siegerstraße. Die UdSSR, die in den Gruppenbegegnungen alle Gegner in Grund und Boden gespielt hatte, wurde unterdessen gegen Belgien für ihr offensives Spiel mit einem 3:4 bestraft. Dramatisch die Viertelfinals: Drei Spiele wurden durch Elfmeterschießen entschieden – und eines durch die seitdem zum geflügelten Wort gewordene "Hand Gottes".
Beim Spiel Argentinien gegen England, wegen des damals offiziell noch nicht beendeten Kriegszustands um die Falkland-Inseln sowieso mit vielen Emotionen behaftet, erzielte Diego Maradona das erste Tor nach Doppelpass mit Jorge Valdano mit hochgestreckter Faust und behauptete hinterher: "Es war die Hand Gottes."
Dem argentinischen Superstar wurde auch diese Flunkerei verziehen. Das beste WM-Spiel war die Begegnung zwischen Brasilien und Frankreich, die im Elfmeterschießen zu Gunsten des Europameisters entschieden wurde. Brasilien, durch Careca in Führung, kassierte durch Platini das erste Gegentor - es bedeutete im Endeffekt das Aus.
Platini meinte nach dieser Partie, in der Joel Bats noch einen Foulelfmeter von Brasiliens Regisseur Zico hielt, in Anspielung auf 1982: "Das war Sevilla umgekehrt." Keine der beiden Mannschaften dachte an Defensive, keine praktizierte Manndeckung, jeder der 22 Akteure dachte nur an das Spiel nach vorne: Es war Fußball in Vollendung.
Berthold verteilt eine Ohrfeige
Nach dem für Brasilien so schlechten Ausgang der Partie erklärte Trainer Tele Santana seinen Rücktritt. Wie armselig, von Fouls zerhackt, dagegen das 0:0 nach Verlängerung zwischen Deutschland und Mexiko! Die Gastgeber, vom serbischen Coach Bora Milutinovic trainiert, versuchten durch Härte, die Deutschen zu beeindrucken, was ihnen auch gelang: Thomas Berthold ließ sich zu einer Ohrfeige gegen Amador hinreißen.
Als erster deutscher WM-Spieler nach Erich Juskowiak 1958 musste er vorzeitig bei einer WM vom Platz. In der Verlängerung wurden die Mexikaner, die als Veranstalter für das mit der Ausrichtung eines Turniers mit 24 Teilnehmern finanziell überforderte Kolumbien eingesprungen waren, von Krämpfen geschüttelt.
Deutsche Medizin-Tricks zeigen Wirkung
Deutschland war konditionell und damit in der Konzentration überlegen, gewann das Elfmeterschießen 4:1. Ohne die Verdienste Beckenbauers oder die Einsatzbereitschaft der Mannschaft schmälern zu wollen: Dass die deutsche Nationalelf ins Finale vorstieß, lag auch an ihrer hervorragenden medizinischen Abteilung.
Wenn die anderen nach Hitzeschlachten und Reisestrapazen noch regenerierten, hatte Internist Dr. Heinz Liesen die Deutschen schon wieder fit. Liesen propagierte die künstliche (intravenöse) Zufuhr körpereigener Stoffe – kein Doping, da es sich um körpereigene Stoffe handelt.
Völler macht den Deckel drauf
Dank solcher Methode war die Fitness der deutschen Mannschaft die beste von allen. Dies bestätigte sich wieder im Halbfinale gegen Frankreich: Die Equipe Tricolore galt nach den Siegen gegen Italien und über Brasilien als haushoher Favorit, doch die deutsche Kampfkraft ließ Frankreichs spielerische Überlegenheit nie zum Tragen kommen.
Wolfgang Rolff rannte Platini nieder, Andreas Brehme verwandelte unter gütiger Mithilfe von Joel Bats früh einen Freistoß, und Rudi Völler sicherte in der Schlussminute bei einem Konter das 2:0. Deutschland stand im Finale gegen Argentinien, das dank einer Gala-Vorstellung von Maradona Belgien mit 2:0 bezwang. Das konnte selbst der Belgier Jean-Marie Pfaff, der sich mit Toni Schumacher um den Titel bester Torhüter des Turniers stritt, nicht verhindern.
Das Endspiel schließlich erinnerte fatal an das Finale von 1954: 0:2-Rückstand, wobei Schumacher beim 0:1 sein einziger Patzer unterlief, als er unter einer Flanke von Jorge Burruchaga hersegelte. Dann dank Rummenigge (erstes Tor bei dieser WM) und Völler der Ausgleich. Aber das so greifbar nahe dritte Tor blieb den Deutschen versagt. Das erzielte fünf Minuten vor dem Abpfiff auf Pass von Maradona Jorge Burruchaga.
Rücktrittswelle nach dem Endspiel
Natürlich war die Enttäuschung bei den Deutschen groß, doch Argentinien war ein würdiger Weltmeister. Es hatte Maradona, und es verfügte über das fußballerisch beste Team. Wenn sich gute Techniker gegen kampfkräftige Haudegen durchsetzen, kann kein Fußball-Freund mit dem Schicksal hadern.
Dieter Hoeneß, sieben Jahre nach seinem letzten Länderspiel für die WM reaktiviert, sowie Norbert Eder, nur für die WM geholt, beendeten ihre Laufbahn. Karlheinz Förster, Karl-Heinz Rummenigge, Hans-Peter Briegel, Felix Magath und Ditmar Jakobs hörten ebenfalls auf. Uli Stein - aus bekannten Gründen - und Karl Allgöwer kamen in der Nationalelf nie mehr zum Einsatz. Beckenbauer konnte den Umbruch zu einem jungen, spielerisch stärkeren Team beginnen.
- Nachrichtenagentur sid