Nach Niederlage gegen Brasilien Kroos sauer: "Sind nicht so gut, wie einige Spieler glauben"
Von Anfang an war klar, dass das Duell zwischen Deutschland und Brasilien kein gewöhnlicher Test war. Gegen aggressive und gut strukturierte Brasilianer ging das DFB-Team am Ende leer aus.
Warnschuss beim Wiedersehen: Brasilien hat dem zweiten Anzug der deutschen Weltmeister in einer bitter enttäuschenden WM-Revanche die Grenzen aufgezeigt und Joachim Löw nur 79 Tage vor Turnierbeginn Kopfzerbrechen bereitet. Die nach dem starken Auftritt gegen Spanien runderneuerte DFB-Elf unterlag der Selecao im letzten WM-Härtetest in Berlin völlig verdient 0:1 (0:1) und verpasste den Rekord von 23 Länderspielen ohne Niederlage.
Toni Kroos war nach dem Spiel sichtlich bedient: "Positiv war, dass wir in der zweiten Hälfte hintenraus besseren Fußball gespielt haben als vor der Pause. Mannschaftlich überwiegt klar das Negative. Wir haben gesehen, dass wir nicht so gut sind, wie wir gemacht werden und wie es einige Spieler glauben. Wir haben uns viel zu leicht abkochen lassen", sagte er am ZDF-Mikrofon und ergänzte: "Wir haben noch viel Luft nach oben."
Sieben Veränderungen zum Start
Das goldene Tor erzielte Gabriel Jesus von Manchester City. Der Stürmerstar bestrafte die nachlässige deutsche Defensive (38.) um Kapitän Jerome Boateng. Torhüter Kevin Trapp, der sich über 90 Minuten nicht nachhaltig um ein WM-Ticket bewerben konnte, sah beim wuchtigen Kopfball des Stürmers nicht gut aus.
Überhaupt bekam Löw sieben Wochen vor Nominierung seines vorläufigen WM-Kaders (15. Mai) wieder mehr Frage- als Ausrufezeichen. Und auch im vierten Härtetest seit November nach den Unentschieden gegen England (0:0), Frankreich (2:2) und zuletzt Spanien (1:1) blieb das DFB-Team ohne Sieg.
Es stand ja Schlimmes zu befürchten: Löws B-Elf mit gleich sieben (!) Veränderungen gegenüber dem Spanien-Spiel hier, rachedurstige Brasilianer nahezu in Bestbesetzung da. Nur Superstar Neymar fehlte, die anderen Ballkünstler wollten Wiedergutmachung für das 1:7 im Halbfinale 2014 – so dachten zumindest alle 72.717 Zuschauer im ausverkauften Olympiastadion. Doch als das Spiel nach einer eindrucksvollen Choreographie zur Unterstützung der EM-Bewerbung 2024 angepfiffen wurde, geschah: nichts.
Kindheitstraum für Kapitän Boateng
Die Selecao schien zunächst nicht so recht am Spiel teilhaben zu wollen und überließ der hoch stehenden DFB-Elf das Feld. Viel deutscher Ballbesitz war die Folge, der Ertrag blieb gering. Bis zu Alleinunterhalter Mario Gomez im Sturmzentrum kam der Ball selten durch, die offensive Dreierreihe mit Leon Goretzka, Julian Draxler und Leroy Sane hinter ihm offenbarte seltsame technische Mängel. Wenn die Mannschaft doch mal zum Abschluss kam, geriet dieser allzu harmlos wie bei Ilkay Gündogan (17.) oder Gomez (29.).
Und so fühlte sich Brasilien irgendwann eingeladen mitzuspielen – und legte angeführt vom starken Philippe Coutinho prompt deutsche Schwächen offen. Der gebürtige Berliner Boateng lebte in seinem ersten Länderspiel als Kapitän von Beginn an seinen "Kindheitstraum", doch die von ihm organisierte Abwehr zeigte gegen das brasilianische Pressing wenig Resistenz. Im Mittelfeld, wo Gündogan den geschonten Sami Khedira anfangs noch gut vertrat, häuften sich die Ballverluste.
Schrecksekunde für DFB-Team
Ausnahmetalent Jesus vergab die erste Chance der Gäste, gleich eine hochkarätige, freistehend (36.). Kurz darauf überraschte sein Kopfball nach schöner Flanke von Willian, der sich links gegen Marvin Plattenhardt durchgesetzt hatte, Torwart Trapp. Der klatschte den Ball ab, sein zweiter Klärungsversuch hinter der Linie kam zu spät. Gomez setzte einen Kopfball drüber (40.).
Die zweite Halbzeit begann mit einer Schrecksekunde: Boateng lag nach einem Zweikampf auf dem Rasen, fasste sich an den hinteren rechten Oberschenkel. Der Bayern-Profi ließ sich minutenlang behandeln, humpelte unter Applaus zurück auf den Platz – und spielte weiter. Nachdem Jesus die nächste dicke Gelegenheit vergeudet hatte (68.), machte Boateng für Niklas Süle Platz. All die Wechsel trugen nicht dazu bei, dass Deutschland wieder mehr Spielkontrolle bekam.
Nach 22 Spielen ohne Niederlage ist die Serie für das Team von Joachim Löw damit gerissen. Ein lehrreiches Spiel für den Bundestrainer – und gleichzeitig das letzte vor der Nominierung des WM-Kaders.
- sid