Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Rummenigge zum Kuss-Eklat Das kann nicht sein Ernst sein
Ein spanischer Funktionär, der sich wohl alles erlauben kann. Und eine deutsche Sportgröße, die ihn unterstützt.
Er nimmt sie fest in den Arm, gibt ihr einen Kuss auf die rechte Wange, packt ihren Kopf mit beiden Händen an und drückt ihr ungefragt einen Schmatzer auf den Mund. Sie löst sich aus der Situation und geht weiter. Den WM-Titel, den sie gerade gewonnen hat, macht er beinahe vergessen. Er, das ist Luis Rubiales, Präsident des spanischen Fußballverbands. Sie, das ist Jenni Hermoso, spanische Fußball-Nationalspielerin. Die Bilder gehen sofort um die Welt, sorgen für Aufruhr – und überschatten fast schon den großen Erfolg des spanischen Teams.
Während viele Medien darüber berichten, Nutzer in den sozialen Medien ihre Empörung kundtun, sagt Karl-Heinz Rummenigge mal eben ganz am Rande: "Ich glaube, man soll da nicht übertreiben und die Kirche im Dorf lassen", so Bayerns Aufsichtsratsmitglied am Montag bei den "Sport Bild"-Awards. Der WM-Titel emotionalisiere schließlich jeden, "und was er da gemacht hat, ist – sorry, mit Verlaub – absolut okay."
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Aber sorry, mit Verlaub: Das ist es nicht. Rummenigge unterstützt den Falschen – und verhält sich nicht wie ein Repräsentant des Fußballs.
Der 67-Jährige steht lieber hinter seinem Kumpel aus dem Uefa-Exekutivkomitee, als darüber nachzudenken, was er überhaupt gesagt hat. Aber wen wundert es? Beide sind Männer in einer Machtposition und beide machen sich im Fall Hermoso keine Gedanken über die Auswirkungen ihres Handelns.
Dabei spricht Rummenigge nicht nur für sich. Er ist ein Gesicht des deutschen Fußballs und gibt keine gute Figur ab. Dabei wollte er zuletzt noch den Frauenfußball groß machen. Indem er die Bundesliga dazu aufforderte, sich genau wie das deutsche Oberhaus der Männer vom Deutschen Fußball-Bund abzukapseln und sich zu professionalisieren. Die Relevanz zu erhöhen – bei den Herren hatte es so schließlich geklappt.
- Skandalakte von Luis Rubiales: Grillabend oder Sexparty?
"Der Männerfußball hat sich qualitativ nachhaltig entwickelt, als er sich vom DFB in Richtung Selbstständigkeit gelöst hat", so Rummenigge. Er selbst unterstützte in den vergangenen Jahren öffentlich den Frauenfußball. Im April 2021 sagte er: "Wir müssen ihn nachhaltiger entwickeln, als es in den letzten Jahren beim DFB möglich war." Er hielt an seinem Vorschlag fest, sagte erneut vor knapp einem Jahr dem "Münchner Merkur" und der "tz": "Genauso wie es im Männerfußball geschehen ist, sollte auch die Frauen-Bundesliga darüber nachdenken, ob sie nicht vielleicht eine Art Frauen-DFL gründet."
Ein schlechter Scherz
Er hatte sich für den Frauenfußball eingesetzt, stand hinter den Teams und wollte die Professionalität ankurbeln. Und nun? Macht er genau das Gegenteil, er schadet dem Frauenfußball. Er vergisst, dass man eben nicht einfach eine Spielerin anpackt und sie auf den Mund küsst. Was für das normale Leben gilt, gilt natürlich auch für den Fußball.
Rummenigge merkt mit seinen 67 Jahren gar nicht, was er da überhaupt sagt – und hinter wen er sich stellt. Rubiales ist ein Mann, der sich nach dem Kuss-Skandal auf der Ehrentribüne in den Schritt fasst und der in der Mannschaftskabine den Spielerinnen eine Urlaubsreise nach Ibiza verspricht, wo er und sein Kuss-Opfer Hermoso heiraten würden. Ein schlechter Scherz.
Rummenigge hätte sich zurückhalten sollen. So wie Dortmunds Hans-Joachim Watzke und DFB-Präsident Bernd Neuendorf, die Rubiales ebenfalls persönlich kennen. "Ich glaube, ich hätte nicht so gehandelt", sagte Neuendorf der Deutschen Presse-Agentur. Watzke hingegen meinte: "Ich bin immer vorsichtig, aus der Distanz etwas zu beurteilen. Ich weiß nicht, was da vorher gewesen ist, ob die miteinander gesprochen haben oder ob das ein überschäumendes Gefühl der Freude war. Ich weiß es nicht, dafür musst du dabei sein und das war ich nicht, deshalb halte ich die Klappe."
Obwohl die Aussagen der beiden umstritten sind und eine klarere Position notwendig gewesen wäre, haben sie Rummenigge eines voraus: Sie haben sich nicht hinter den Falschen gestellt – und die Klappe gehalten.
Rubiales besitzt als Verbandspräsident viel Macht. Er schaffte es, dass Hermoso ihre Aussage: "Das hat mir nicht gefallen" relativierte und dann von einer "ganz spontanen gegenseitigen Geste aufgrund der großen Freude" sprach. Die Denkweise, gerade im Rampenlicht vor derartigen Übergriffen sicher zu sein, hat er ihr und anderen Spielerinnen genommen. Trotz seiner Entschuldigung sollte Rubiales zurücktreten müssen – und Rummenigge sich für seine Aussagen entschuldigen.
- Eigene Beobachtungen