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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Krise rund um den DFB An Absurdität nicht zu überbieten
Zwei Wochen ist das Aus der DFB-Frauen schon her, in gut einem Monat beginnt die Bundesliga-Saison. Der Verband schweigt. Und vieles liegt im Argen.
Aus Sydney berichtet Noah Platschko
Lina Magull hatte Glück. Als die deutsche Nationalspielerin Anfang der Woche zur Wal-Beobachtung aufs offene Meer fuhr, tat ihr das tonnenschwere Säugetier den Gefallen, sich gut sichtbar aus dem Wasser zu erheben und zur Begeisterung der Schaulustigen – inklusive Magull – ein kleines Kunststück zu vollführen.
Die 29-Jährige befand sich auch gut zehn Tage nach dem blamablen deutschen WM-Aus "Down Under", gemeinsam mit ihrem Bruder verbrachte sie ihren kurzen Urlaub am anderen Ende der Welt. Damit war sie nicht die Einzige. Auch Torhüterin Ann-Kathrin Berger weilte bis zuletzt in Australien, unterstützte ihre Freundin Jess Carter bei der WM, die mit England um den WM-Titel kämpft. Wieder andere wie Lena Oberdorf oder Sara Doorsoun sind wieder in Deutschland oder bereiten sich wie Sjoeke Nüsken (wechselte vor der WM zu Chelsea nach London) auf ihre erste Station im Ausland vor.
Finalerfolg 2022 kaschierte die Probleme
Nach der WM heißt vor der Bundesliga-Saison – dabei sind die Scherben des historischen Scheiterns noch gar nicht zusammengekehrt. In gut fünf Wochen steht das nächste Länderspiel der DFB-Frauen in der neu geschaffenen Nations League gegen Dänemark an. Was ist das Konzept, mit dem Deutschland zurück an die Weltspitze kehren möchte? Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg wird und will weitermachen, obwohl das Turnier ihr eigentlich keine Argumente liefert. Im Gegenteil.
Das enttäuschende wie blamable Ausscheiden der DFB-Frauen hat offengelegt, welche Probleme rund um das Team existieren. Beziehungsweise wurde nun, da man sich sportlich an den Männern zu orientieren scheint, stärker hinterfragt, was möglicherweise im Argen liegen könnte. Der EM-Finalerfolg 2022 kaschierte so manche Baustellen und Probleme, die jetzt peu à peu zutage treten.
So ist das Thema der fehlenden Kommunikation eines, welches in der Mannschaft für Unstimmigkeiten sorgt. Nicht nur, dass mit dem abgeschiedenen Hotel in Wyong eine Turnierunterkunft gewählt wurde, die bei einigen Spielerinnen für Unverständnis sorgte. Auch der Dialog mit der Bundestrainerin hielt sich in Grenzen. Nach t-online-Informationen gab es Spielerinnen, mit denen Voss-Tecklenburg während des Turniers kein Wort wechselte. Die DFB-Spielerinnen waren angehalten, sich von sich aus bei der Trainerin zu melden, wollten aber nicht zu sehr aufbegehren aus Angst, als schwierig oder anstrengend abgestempelt zu werden.
Halbfinale
Dienstag, 15.08.
Mittwoch, 16.08.
Doch auch auf taktischer Ebene wachsen die Zweifel, ob Voss-Tecklenburg der großen Aufgabe als Bundestrainerin gewachsen ist. Etliche Spielerinnen beklagten nach dem Aus, nicht gewusst zu haben, wie sie spielen sollten. Ein klarer taktischer Plan war von außen nicht erkennbar. Das Spiel der Deutschen war komplett auf Alexandra Popp zugeschnitten. Eine Spielerin, die zu den absoluten Ausnahmeerscheinungen dieses Teams gehörte und eine gute WM gespielt hat. Doch daneben war kein Plan B erkennbar. Die erfolgreiche EM, bei der man nur mit viel Glück das Viertelfinale gegen Österreich gewinnen konnte, täuschte über die gegebene spielerische Eindimensionalität hinweg.
Streit mit dem FC Bayern – welche Rolle spielte Giulia Gwinn?
Hinzu kommen atmosphärische Störungen, die Verband und Spielerinnen bereits vor Turnierbeginn heimsuchten. Der Streit mit dem FC Bayern überschattete die Vorbereitung so sehr, dass die Bundestrainerin persönlich Ende Juni die Journalistinnen und Journalisten bat, keine Fragen mehr zu diesem Thema zu stellen. Joti Chatzialexiou, Sportlicher Leiter beim DFB, hatte zuvor von "Wortbruch" vonseiten der Münchner gesprochen. Der FC Bayern hatte trotz angeblicher Zusage seine Spielerinnen erst drei Tage später als vereinbart zum DFB geschickt. Ein Vorgehen, das den Verantwortlichen im Verband übel aufgestoßen war.
Dabei könnte beim Streit zwischen Verband und Verein besonders eine Spielerin eine Rolle gespielt haben, die bei der WM gar nicht im Kader stand: Giulia Gwinn. Die Rechtsverteidigerin hatte sich im Oktober 2022 einen erneuten Kreuzbandriss zugezogen, eine Nominierung der 24-Jährigen für die WM geriet zu einem Wettlauf gegen die Zeit. Während man von DFB-Seite aus angeblich auf einen Einsatz Gwinns bei der WM gehofft hatte, soll man von Vereinsseite defensiv gewesen sein. Sie sei noch nicht fit genug gewesen, um die WM zu spielen. Von t-online auf die Personalie Gwinn angesprochen, hatte sich Voss-Tecklenburg bereits bei einem Sponsorentermin Ende Mai schmallippig gezeigt. "Zu Giulia beantworte ich keine Frage", so ihre kurze Antwort.
Farce bei Marozsans letztem Spiel
Neben Gwinn gab es allerdings noch eine weitere Personalie, die bei Beobachtern in der Szene für Kopfschütteln sorgte. Im April bestritt Dszenifer Marozsán, mehrfache Fußballerin des Jahres, Europameisterin und Olympiasiegerin, ihr Abschiedsspiel für den DFB. Die Veranstaltung geriet zur Farce. Nicht nur, dass Deutschland die Partie gegen Brasilien mit 1:2 verlor. Von einer festlichen, angemessenen Verabschiedung für eine der größten deutschen Spielerinnen des vergangenen Jahrzehnts war im Nürnberger Max-Morlock-Stadion wenig zu spüren. Blumen, ein wenig Applaus, mehr nicht.
Dabei hätte sich Marozsán nach t-online-Informationen sogar vorstellen können, ihre Karriere im DFB-Dress fortzusetzen. Die Bundestrainerin habe aber "nicht um sie gekämpft", wie ein Insider berichtet. Marozsáns Wunsch, bei ihrem allerletzten Spiel mit der Nationalmannschaft gemeinsam mit ihrem Neffen aufzulaufen, konnte ebenfalls nicht stattgegeben werden, da sie nicht in der Startelf stand.
Die 31-Jährige kam erst in der 64. Minute für Lina Magull in die Partie. Und als wäre das groteske Schauspiel in Nürnberg nicht schon absurd genug, musste die 112-fache Nationalspielerin auch noch die Loge für ihre Freunde und Verwandten aus eigener Tasche bezahlen.
Dass der DFB auf den Umgang mit verdienten Spielerinnen im Nationaldress wohl keinen allzu besonderen Wert legt, spiegelte sich auch bei dieser WM wider. Gegen Südkorea absolvierte Mittelfeldspielerin Sara Däbritz ihr 100. Länderspiel. Eine entsprechende öffentlichkeitswirksame Würdigung blieb aus. "Das hat auch keiner mitbekommen", schüttelt jemand, der dem Team sehr nahe steht, den Kopf.
All diese Beispiele offenbaren die sportlichen, kommunikativen sowie menschlichen Baustellen rund um den DFB. Es bräuchte einen Impuls von außen, wie ihn t-online-Kolumnistin Tabea Kemme unlängst einforderte. Doch der Verband ziert sich, auch wenn eine Einigung mit einer neuen Geschäftsführerin kurz vor dem Abschluss stehen soll.
Neuer Medienvertrag tritt in Kraft
In gut einem Monat beginnt zudem schon die neue Bundesliga-Saison – dann in neuem Gewand. Mit Google Pixel konnte der DFB bereits im Mai einen neuen Sponsor an Land ziehen. Zahlen gab der Verband keine bekannt, aber bereits bei der Präsentation war den Verantwortlichen anzumerken, welchen Schub sie sich für den Fußball der Frauen erhoffen.
Im Oktober vergangenen Jahres hatte der Verband stolz verkündet, dass sich im Rahmen des neuen TV-Zyklus die Lizenzeinnahmen aus den nationalen audiovisuellen Medienrechten ab Sommer 2023 um das 16-fache erhöhen würden. Neben Magenta Sport wird ab September auch Streamingsender DAZN alle Partien der Frauen-Bundesliga übertragen, zudem werden 32 Partien live im Free-TV zu sehen sein. 22 neu geschaffene Montagsspiele zeigt dann der neue Partner Sport1, die anderen zehn Partien laufen bei den Öffentlich-Rechtlichen.
Nun bleibt abzuwarten, wie attraktiv die Partien zu Wochenbeginn ausfallen werden. Topteams wie Wolfsburg, Bayern oder (möglicherweise) Frankfurt spielen an bestimmten Spieltagen unter der Woche in der Champions League, sodass für sie die Anstoßzeit am Montag nicht infrage kommt. Und auch sonst muss abgewartet werden, inwieweit der Zuschauerinnen-Boost aus der vergangenen Saison aufrechterhalten werden kann.
Denn nach dem enttäuschenden WM-Aus kann nicht davon ausgegangen werden, dass Sponsoren den Vereinen die Türen einrennen. Die Nationalmannschaft ist schon immer das Zugpferd für die Liga gewesen. Doch zumindest in der Bundesliga steht der deutsche Fußball 2023 an einem Punkt, an dem kaum mehr eine Spielerin neben ihrem Alltag als Fußballprofi arbeiten muss.
Dennoch sind die Spielerinnen nach wie vor weit entfernt vom Luxusleben der Männer. Das Gehalt einer durchschnittlichen Bundesliga-Spielerin liegt zwischen 1.500 und 3.000 Euro brutto – ein Betrag, der ohne zusätzliche Einnahmen aus Werbedeals oder andere Geldflüsse kaum zum Leben reicht. Kein Wunder, dass die Spielerinnen teilweise noch in Wohngemeinschaften wohnen müssen, auch wenn ihre Popularität mittlerweile so weit reicht, dass sie von Passanten zugeparkt werden, um ein Autogramm geben zu müssen.
Ausflüge ins Stadion der Männer sind finanzielle Nullsummenspiele
Frauenfußball ist, zumindest in Deutschland, oft noch ein Geschäft, das sich in vielen Bereichen nicht rechnet. Von Vereinsverantwortlichen war während der Weltmeisterschaft zu hören, dass ein etwaiges Ausweichen in Stadien der Männer bei Klubspielen ein finanzielles Nullsummenspiel sei und kaum Gewinn abwerfe. Eher das Gegenteil ist der Fall.
Unbestreitbar bleibt jedoch das große Potenzial einer Branche, die trotz des historischen Scheiterns der DFB-Frauen einen Schritt nach vorne gemacht hat. Die sensationellen Quoten am Vormittag unter der Woche in Deutschland unterstreichen das gewachsene öffentliche Interesse an einem Sport, der allerdings weiterhin in Vorleistung gehen muss, um die Lorbeeren harter Arbeit einzukassieren. Auch das ist 2023.
- Eigene Recherche
- Pressemitteilungen des DFB