Gut drei Monate vor Start der WM Kommt es zum TV-Blackout?
Am 20. Juli beginnt in Australien und Neuseeland die WM der Frauen. Doch noch weiß niemand, wo im TV das Turnier in Deutschland zu sehen sein wird.
Merle Frohms hält, Alexandra Popp trifft, Martina Voss-Tecklenburg jubelt – und in der Heimat sieht niemand den WM-Triumph der deutschen Fußballerinnen. Das (noch fiktive) Schreckens-Szenario eines TV-Blackouts hat gut drei Monate vor dem Beginn der Endrunde (20. Juli bis 20. August) bedrohlich konkrete Formen angenommen. Der Weltverband Fifa kündigte an, im Poker um die Übertragungsrechte am Turnier in Australien und Neuseeland hart bleiben zu wollen – auch wenn die Fans dann in die Röhre schauen.
"Es könnte der Fall sein", antwortete Sarai Bareman aus der Fifa-Chefetage bei NewsCorp Australia auf die Frage, ob einige Länder bei der Rechtevergabe leer ausgehen: "Wir müssen unserer Linie treu bleiben und zum Wohle der kommenden Generationen von Fußballerinnen sicherstellen, dass ihnen die gleichen Möglichkeiten wie ihren männlichen Kollegen geboten werden." Dies könne nur erreicht werden, wenn der "kommerzielle Wert" anerkannt werde.
Deutsche TV-Sender im Clinch mit der Fifa
Dieser Wert wird von den deutschen TV-Sendern allerdings ganz anders eingeschätzt als von der Fifa. Zwar wird noch verhandelt, doch viel Zeit für eine Einigung bleibt nicht mehr. Schließlich bräuchte ein übertragender Sender zumindest ein paar Wochen Vorlaufszeit, um die Abläufe und die Logistik vor Ort besser planen zu können.
Der Ausschreibungsprozess jedenfalls ist bisher erfolglos verlaufen, "da es keine Angebote gab, die das größte Frauenfußballturnier der Welt in seinem wahren Wert anerkennen", teilte die Fifa zuletzt auf Anfrage des Sportinformationsdienstes mit. Der Weltverband bestätigte, dass Verhandlungen mit "mehreren potenziellen Anbietern" fortgesetzt werden. Angaben zu den finanziellen Forderungen machte die Fifa dabei nicht. Die TV-Einnahmen seien aber "umso wichtiger", da sie in die "Entwicklung des Frauenfußballs reinvestiert werden sollen".
Damit folgt der Weltverband der Linie seines Präsidenten. Gianni Infantino hatte nach seiner Wiederwahl Mitte März große Investitionen in den Frauenfußball und das Prinzip Equal Pay angekündigt. In diesem Zusammenhang kritisierte der Fifa-Boss jene TV-Sender, die "100-mal" weniger für die Rechte an der Frauen-WM im Vergleich zur Männer-Endrunde bieten würden.
EM-Finale die meistgesehene Sportsendung 2022
Dieses Missverhältnis sei nicht "akzeptabel" und werde von der Fifa "nicht hingenommen", sagte der Schweizer. Schließlich wisse der Weltverband, dass die Einschaltquoten bei Frauen-Länderspielen gerade in großen Fußballnationen an die von den Männern inzwischen heranreichen würden.
Tatsächlich waren die EM-Spiele der deutschen Mannschaft im vergangenen Jahr bei ARD und ZDF ein absoluter Renner. Das Finale gegen England (1:2) war mit einer Einschaltquote von durchschnittlich 17,9 Millionen Menschen in der ARD die meistgesehene Sportsendung im Jahr 2022 – trotz und noch vor der Männer-WM in Katar.
Die Top-Quoten machen es der Fifa damit leicht, den Sendern beim aktuellen Poker den Schwarzen Peter zuzuschieben und ihnen mangelnde Wertschätzung für die Frauen vorzuwerfen. Ganz so einfach ist es aber nicht. Denn aufgrund der aus deutscher TV-Sicht ungünstigen Anstoßzeiten am Vormittag werden bei der WM deutlich geringere Einschaltquoten erwartet.
Zudem werfen Kritiker der Fifa vor, dass sie unter dem Vorwand der Frauenförderung einfach nur mehr Geld generieren möchte. Die erhobenen Vorwürfe der Diskriminierung seien ein reiner Verhandlungstrick, um sich weitere Millionen an Rundfunkgebühren einzuverleiben – anstatt das Equal Pay durch Umverteilung der astronomischen Einnahmen bei den Männern zu erreichen. Bianca Rech, Sportliche Leiterin bei den Frauen des FC Bayern, sieht allerdings auch eine Verantwortung bei den Sendern. "Die Frage ist vermutlich auch der Preis und die "Nicht"-Bereitschaft der Sender, diesen für den Frauenfußball zu bezahlen", kommentierte sie jüngst auf Twitter.
ARD-Sportkoordinator Axel Balkausky zeigte sich am Donnerstag verwundert über das Vorgehen des Weltverbandes. "ARD und ZDF haben im Rahmen dieser Ausschreibung ein marktgerechtes Angebot platziert", sagte der 61-Jährige der "FAZ": "Dass die Fifa offenbar derzeit sowohl in Deutschland als auch in anderen großen europäischen Märkten die Rechte dennoch nicht vergeben möchte, können wir für den Moment nur zur Kenntnis nehmen." Die öffentlich-rechtlichen Sender würden sich wie üblich bei Rechtevergaben "an Marktgegebenheiten orientieren und nicht verbandsseitige Forderungen bedienen", entgegnete Balkausky.
Es hindere kein Fernsehsender die Fifa daran, "die erzielten Gesamterlöse aus der Vermarktung seiner Medienrechte an seinen diversen Frauen- und Männer-Wettbewerben angemessen gleichberechtigt zu verteilen", führte der ARD-Sportkoordinator aus. Eine Entscheidung im Rechtepoker dürfe wegen der "logistischen, produktionellen und programmlichen Vorbereitung" nicht mehr "allzu lange" auf sich warten lassen. Sonst könnte wirklich der TV-Blackout drohen. Balkausky weiß allerdings auch: Es gibt noch den Paragraf 4 des Rundfunkstaatsvertrags. In dem steht, dass die Spiele der deutschen Frauen-Nationalmannschaft bei der WM frei empfangbar zu sehen sein sollten, sowie "unabhängig von einer deutschen Beteiligung das Eröffnungsspiel, die Halbfinalspiele und das Endspiel".
Auch das ZDF äußerte sich zuletzt zu den schwierigen Verhandlungen. "Das ZDF setzt sich weiter dafür ein, die großartige Entwicklung des Frauenfußballs auch bei der Frauen-Weltmeisterschaft in Australien und Neuseeland begleiten zu können", ließ das Zweite den SID wissen: "Die Angebote des ZDF für den Erwerb von Sportrechten orientieren sich unter anderem maßgeblich am Marktpreis für das jeweilige Sportrecht. Der Marktwert kann unter Umständen erheblich von der preislichen Erwartungshaltung von Rechtevermarktern abweichen."
ARD verzichtet auf Analyse – ZDF auf lineare Ausstrahlung
Was das ZDF verkündet, ist das eine. Wie wichtig dem Sender der Frauenfußball aber am Ende tatsächlich ist, ließ sich bei der jüngsten Übertragung des Testspiels der DFB-Frauen gegen die Niederlande ablesen. Die Partie lief am Karfreitag lediglich im Livestream, nicht im laufenden Programm. Die ARD beendete vier Tage später beim Abschiedsspiel Dzsenifer Marozsans gegen Brasilien (1:2) nur Sekunden nach Spielende die Übertragung aus Nürnberg – und verzichtete auf eine Analyse und Interviews. Tatsächlich wäre eine Nachberichterstattung mit der in der ARD heiligen "Tagesschau" kollidiert, jedoch hätte man zumindest im Livestream weitersenden können.
- Kommentar zum TV-Hickhack: Peinlich für alle
Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg ("MVT"), immer wieder im ZDF als Expertin geladen, zeigte jüngst in einer digitalen Medienrunde Verständnis. "Womöglich gibt es im ZDF Sendungen, die an Karfreitag von größerer Bedeutung sind", so "MVT" auf t-online-Nachfrage. Sie selbst beteuerte allerdings: "Ich bin mit den Kolleginnen und Kollegen vom ZDF ja auch im Austausch. Und da wollen alle, dass die Spiele prominent gezeigt werden." Voss-Tecklenburg weiter: "Gott sei Dank bin ich für die sportlichen Dinge verantwortlich und muss mich in den Prozess nicht auch noch einbringen. Für Medienrechte haben wir unsere Fachabteilung."
Holger Blask, Marketingchef beim DFB: "Seitens des DFB wünschen wir uns eine große Reichweite und Sichtbarkeit – sowohl für das Turnier insgesamt, vor allem aber für die Spiele unserer Frauen-Nationalmannschaft im Sinne unserer Fans und Partner, um die großartige Entwicklung des Frauenfußballs der letzten Monate weiter zu fördern." Und deshalb gehe man davon aus, "dass die Fifa und die interessierten TV-Sender auch die wirtschaftlichen Potenziale der Frauen-WM angemessen und marktgerecht bewerten und gute Lösungen finden."
Ob dem bis WM-Start so sein wird, ist völlig offen.
- Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und SID
- Eigene Recherche
- Digitale Medienrunde mit Martina Voss-Tecklenburg