Vor Europa-League-Finale Wie Ajax sich mit bewährten Mitteln neu erfindet
Es ist der Abend des 22. Mai 1996. Ein jungenhaft wirkender 32-Jähriger Namens Sonny Silooy legt sich im Olympiastadion von Rom den Ball beim Elfmeterschießen zurecht. Er wirkt nervös, richtet das Spielgerät erneut aus – und verschießt. Für Ajax Amsterdam ist das der Anfang vom Ende: Im Anschluss trifft Gegner Juventus Turin und sichert sich damit den Champions-League-Sieg.
In den folgenden Jahren zerfällt das junge Amsterdamer Team, das Trainer Louis van Gaal hauptsächlich aus den Talenten der Ajax-Nachwuchsakademie „De Toekomst“ formte: Edgar Davids und Patrick Kluivert wechselten zu Finalgegner Mailand, 1999 ging Jari Litmanen zum FC Barcelona, Torwart Edwin van der Sar zu Juve. Seitdem hat es Ajax Amsterdam nicht mehr in ein europäisches Endspiel geschafft.
Die Nachwuchsakademie als Lebensader des Vereins
Beinahe exakt 21 Jahre später schickt sich eine neue, hochtalentierte Generation an, die Europapokalgeschichte der Amsterdamer fortzuschreiben – im Europa-League-Finale heute gegen Manchester United (ab 20.30 Uhr im Live-Ticker bei t-online.de). Und die Parallelen zur „goldenen Generation“ der 90er Jahre sind erstaunlich: Die voraussichtliche Anfangsformation wird ein Durchschnittsalter von 20 Jahren haben. Wieder stammen viele Akteure aus der eigenen Jugend – allen voran Mittelfeldchef Davy Klaassen (24 Jahre), Abwehrtalent Matthijs de Ligt (17) und Kluiverts Sohn Justin (17).
Das hat bei Ajax traditionell System: Seit 1982 steht in jedem Spiel mindestens ein Spieler aus der eigenen Jugend auf dem Platz. „Die Nachwuchs-Akademie ist wie eine Lebensader. Das hat sich nie geändert und wird auch künftig so bleiben“, verrät der Ex-Profi und heutige Vorstandvorsitzende van der Sar, dessen Sohn Joe ebenfalls die Ajax-Schule durchlief.
Dolberg und Co. zahlen das Vertrauen des Ajax-Trainers zurück
Wichtig ist dort – neben der Technikschulung – vor allem die Philosophie. Ob im 4-3-3 oder im 3-4-3: Es geht um konstruktiven, offensiven Fußball, der besonders den Angreifern Platz zur Entfaltung lässt. „Mein Weg ist der Ajax-Weg“, sagt dann auch Cheftrainer Peter Bosz. Der 53-Jährige lässt Talenten wie Kasper Dolberg (19), Bertrand Traoré (21) und dem Deutschen Amin Younes (23) vorne viele Freiheit. Diese belohnen sein Vertrauen mit spektakulären Vorstellungen: Zehn Mal erzielte der niederländische Rekordmeister in dieser Saison bereits mindestens vier Tore.
Junge, selbst ausgebildete Spieler und eine offensive Spielweise: Das hat bei Ajax eigentlich seit Jahren Methode, wurde Anfang des Jahrzehnts allerdings etwas vernachlässigt. Dann kamen ehemalige Spieler wie van der Sar, Dennis Bergkamp (heute Co-Trainer) und Marc Overmars (heute Sportdirektor) zurück – mit einem Plan: „Das Projekt, das wir vor viereinhalb Jahren gestartet haben, ist, ein Team aufzubauen, wie wir es zu unserer Zeit hatten“, verdeutlicht Overmars.
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Finanziell nicht auf der Höhe europäischer Spitzenklubs
Er weiß aber auch, dass die Gesetze des Marktes dies sehr schwierig machen: Um Jungstars wie Dolberg und de Ligt reißen sich Top-Klubs aus halb Europa – und im Zweifel haben diese ganz andere finanzielle Möglichkeiten.
Das bekamen die Amsterdamer im Sommer wieder einmal zu spüren, als man Torjäger Arkadiusz Milik (für 32 Millionen Euro nach Neapel) und Keeper Jasper Cillessen (für 13 Millionen Euro nach Barcelona) ziehen lassen musste. Overmars ist deshalb umso stolzer, dass „wir mit einem Budget von 21 Millionen Euro das Finale erreicht haben.“ Zum Vergleich: Gegner Manchester hat im Sommer beinahe die zehnfach Summe investiert – und das nur in Transfers.
Auf lange Sicht wird deshalb wohl auch das aktuelle Team auseinandergerissen werden. So wie Mitte der 1990er Jahre. Bis dahin steht allerdings noch ein Finale an – und das soll nicht wie 1996 das Ende einer Ära sein.