Historischer Sieg gegen Italien Deutschland erlebt unvergesslichen Abend
Aus Bordeaux berichtet Thomas Tamberg
Es war kurz vor Mitternacht als Jonas Hector diesem dramatischen Spiel endlich ein Ende setzte. Der 26-Jährige verwandelte den 18. Elfmeter und erlöste Fußball-Deutschland von seinem größten Trauma. Zum ersten Mal gelang einer deutschen Nationalmannschaft bei einem großen Turnier ein .
Nach einem 1:1 nach regulärer Spielzeit setzte sich das DFB-Team mit 6:5 im Elfmeterschießen durch und trifft nun im Halbfinale der EM 2016 auf den Sieger der Partie Frankreich gegen Island.
"Spiel auf unglaublich hohem taktischen Niveau"
Was für ein Abend, was für ein Spiel! Jeder, der dieses Match gesehen hat, wird auch noch in zehn Jahren genau wissen, wo er sich gerade aufgehalten hat, als diese beiden großen Fußballnationen der Geschichte ihrer großartigen Duelle ein weiteres Kapitel hinzugefügt haben. Es war kein Feinkostfußball, aber ein "Spiel auf unglaublich hohem taktischen Niveau", wie Bundestrainer Joachim Löw befand und "dramatisch bis zum letzten Schuss".
Man muss den Hut ziehen vor der aktuellen Generation der deutschen Fußballer. Bei der WM 2014 holten sie als erstes europäisches Team auf dem südamerikanischem Kontinent den Weltmeistertitel und schlugen dabei Gastgeber Brasilien mit 7:1. Zwei Jahre später lieferten sie das nächste Jahrhundertspiel ab und überwanden den Italien-Fluch.
Steiniger Weg bis zum Erfolg
"Es war ein Drama", sagte Manuel Neuer hinterher. Der Keeper parierte zwei Elfmeter und wurde von der UEFA zum "Man oft the match" gewählt. "Wir haben nicht nach 90 Minuten gewonnen, nicht nach 120 Minuten. Es musste erst das Elfmeterschießen her, um sie zu bezwingen", berichtete Neuer über den weiten und steinigen Weg bis zum ersehnten Sieg über die Italiener.
EM für Khedira gelaufen?
Ein Erfolg, der seinen Preis hatte. Mats Hummels kassierte seine zweite Gelbe Karte und ist für das Halbfinale gesperrt. Mario Gomez musste mit Muskelproblemen ausgewechselt werden. Und für Sami Khedira dürfte die EM gelaufen sein. Bereits nach 15 Minuten musste der Star von Juventus Turin mit Problemen im Adduktorenbereich vom Platz. Für Löw dennoch kein Grund zu hadern. Dem Coach sei nach eigener Aussage klar gewesen, dass in solchen Schlachten, auch Ausfälle zu beklagen sein werden.
Die italienische Elf erwies sich als der erwartet schwerer Gegner. Die Squadra Azzurra überließ dem DFB-Team den Spielaufbau, stand aber defensiv so kompakt, dass sie kaum Torchancen zuließ. Doch als nach einer Traumkombination über Mario Gomez und Hector Mittelfeldspieler Mesut Özil den Ball zum 1:0 über die Linie drückte (65. Minute), schien das Pendel zugunsten der deutschen Nationalmannschaft auszuschlagen. Zumal Gomez wenig später das 2:0 auf dem Fuß hatte.
Thriller in Bordeaux
"Ich konnte mir nicht vorstellen, dass die Italiener aus dem Spiel heraus ein Tor erzielen würden", sagte Löw nach der Partie. Ähnlich dürfte es den meisten Beobachtern gegangen sein. Doch dann nahm dieser Abend vor knapp 40.000 Zuschauern im Stade Matmut-Atlantique von Bordeaux erst richtig Fahrt auf. Aus dem Nichts heraus sprang Jerome Boateng der Ball an die Hand und Leonardo Bonucci verwandelte den folgenden Elfmeter (78.). Und plötzlich neigte sich das Pendel wieder in die andere Richtung und es sollte im Laufe der Partie noch ein paar Mal die Richtung wechseln.
Lob für Schweinsteiger
Dass der Fußballgott an diesem Abend etwas ganz besonderes vorhatte, konnte man sich schon nach der ersten Viertelstunde ausmalen, als Bastian Schweinsteiger für Khedira auf das Feld kam. Der Kapitän, der bei dem Turnier bis dahin nur eine Nebenrolle gespielt hatte, war im Klassiker plötzlich mittendrin. Man merkte dem 31-Jährigen die mangelnde Spielpraxis an. "Aber er hat sich super in das Spiel reingearbeitet", lobte Löw.
Schweinsteiger hätte im Elfmeterschießen der Held werden können. Er war der letzte reguläre Schütze. Zuvor scheiterten Mesut Özil und Thomas Müller, dessen unheimliche Torflaute bei Europameisterschaften mittlerweile groteske Züge annimmt. Für Italien patzten Simone Zaza, Graziano Pelle und Leonardo Bonucci. Doch Schweinsteiger drosch den Ball in den Nachthimmel. Nur vier der ersten zehn Elfmeter wurden verwandelt.
Und so ging es weiter. Runde für Runde. "Das Elfmeterschießen habe ich so noch nicht erlebt. Das hat sehr lange gedauert", bilanzierte Neuer. "Es ist ein langer Weg zum Elfmeterpunkt", beschrieb Hummels den schweren Gang von der Mittellinie bis zum Tor. Er verwandelte seinen Elfmeter ebenso sicher wie Boateng. Doch spätestens als Joshua Kimmich zum Punkt Schritt, hielten die deutschen Fans den Atem an. Der Youngster scheiterte vor wenigen Wochen im DFB-Pokalfinale kläglich vom Punkt. Aber er behielt die Nerven, ebenso wie Hector. Der Rest war grenzenloser Jubel.
"Unser Weg ist noch nicht zu Ende"
"Was die Mannschaft heute geleistet hat, ist eines Champions würdig. Sie hat Italien komplett dominiert", sagte Khedira. "Unser Weg ist definitiv noch nicht zu Ende. Wir haben immer wieder betont, wir brauchen 23 Mann, das hat man heute wieder gesehen." Nach dem historischen Sieg gegen Italien steht das DFB-Team zum sechsten Mal hintereinander bei einem großen Turnier in einem Halbfinale.