Fußball-EM Chip im Ball, Fanpartys, Rumpelkicks: Was bleibt von der EM?
Ein Spiel noch, dann ist die EM Geschichte. Vor dem großen Finale fällt der Blick auf Trends und Auffälligkeiten des Turniers. Eine Sache nervt den Wettbewerbschef der UEFA.
Meckern nur noch als Kapitän, stimmungsvolle Fanmärsche und für"s Finale muss man nicht unbedingt großen Fußball zeigen: Bereits vor dem großen Endspiel-Showdown zwischen Spanien und England zeichnen sich zentrale Erkenntnisse der Europameisterschaft ab. Manches bleibt in Erinnerung, manches hat womöglich konkrete Folgen auch für den Vereinsfußball. Was fiel auf und bleibt vom Turnier in Deutschland? Eine Bilanz nach 50 von 51 Spielen:
Fußballfest
Vor dem Turnier waren die Bedenken groß: Ist ein Sommermärchen 2.0 möglich? Entwickelt sich die EM zu einer großen Party vergleichbar mit der WM 2006? Auch wenn die Zeiten damals andere waren und ein Vergleich schwer ist, kann man festhalten: Ja, Fans aus ganz Europa machten das Turnier zu einer großen Fußballfete.
Ob sangesfreudige Schotten, von links nach rechts hüpfende Niederländer oder frenetisch unterstützende Türken: Die EM bot in den Stadien und den Innenstädten häufig den Fußball-Ausnahmezustand, den sich viele gewünscht hatten. Dabei blieb es größtenteils friedlich. Einige Auseinandersetzung rivalisierender Fans gab es, teils befürchtete große Gewalt-Exzesse wie bei einigen vergangenen Turnieren blieben jedoch aus.
Zur insgesamt positiven Stimmung trug trotz des bitteren Ausscheidens im Viertelfinale gegen Spanien auch die deutsche Nationalmannschaft mit engagierten und mitreißenden Auftritten bei.
Sicherheit statt Offensivspektakel
Während das Team von Bundestrainer Julian Nagelsmann für seine offensive Spielweise viel Lob erhielt, rumpelten sich einige Mitfavoriten durch das Turnier. Manche bekamen dafür früh die Quittung wie die von Domenico Tedesco trainierten Belgier, die im Achtelfinale rausflogen. Andere kamen mit einer auf defensive Stabilität und Kontrolle ausgelegten Taktik weit.
Frankreich scheiterte erst im Halbfinale an Spanien, obwohl der Weltmeister von 2018 auch davor kaum die Klasse seiner Stürmer um Ausnahmekönner Kylian Mbappé einzusetzen wusste. England darf im Endspiel am Sonntag (21.00 Uhr/ARD und MagentaTV) sogar vom ersten Titel seit 58 Jahren träumen.
Angesichts des Angriffs-Potenzials des teuersten EM-Teams um Bayern-Stürmer Harry Kane und Champions-League-Sieger Jude Bellingham waren die teils uninspirierten Auftritte der Three Lions erschreckend. Da es trotzdem fürs Finale reichte, untermauerte die EM die These: Erfolgreicher Fußball muss nicht unbedingt schöner Fußball sein.
Beschwerden nur vom Mannschaftskapitän
Nur als Kapitän zum Schiri: Diese neue Kommunikationsregel hat sich bei der EM bewährt und soll in Zukunft auch im Vereinsfußball angewendet werden. Für die Europapokal-Wettbewerbe legte die UEFA das bereits fest. Spieler, die sich nicht daran halten, sollen mit einer Gelben Karte bestraft werden.
Auch in der Bundesliga könnte die Regel kommen, die unter anderem Rudelbildungen vermeiden soll. Die Leitung der Spitzenreferees beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) will sich nach der EM dazu äußern. Die Regel hat allerdings nicht nur Fans. So sagte Nationalspieler Robert Andrich vom deutschen Meister Bayer Leverkusen zu einer angedachten Übernahme für die Bundesliga während des Turniers bereits, dass er sie wahrscheinlich "eher nicht" begrüßen würde.
Bahn und Flugzeug
Die Pünktlichkeit - oder Unpünktlichkeit - der Deutschen Bahn gehört wohl zu den hierzulande beliebtesten Diskussions- und Meckerthemen. Bei der EM sorgten nun Berichte vor allem ausländischer Fans und Medien über Zugpannen, überfüllte Bahnsteige sowie zahlreiche Verspätungen im Fernverkehr für Aufsehen.
Bahnsprecherin Anja Bröker begründete Defizite unter anderem mit Mängeln an der Infrastruktur und sagte der ARD während des Turniers: "Wir sind in der Tat nicht ganz auf Höhe gewesen, unsere Verkehre bei der Europameisterschaft fuhren nicht rund." Turnierdirektor Philipp Lahm kritisierte fehlende Investitionen in die Infrastruktur.
Erst diese Woche musste das niederländische Team wegen mehr als zweistündiger Zugverspätung statt mit der Bahn per Flieger zum Halbfinale von Wolfsburg nach Dortmund reisen. Andere Teams setzten ebenfalls auf Kurzstreckenflüge und konterkarierten damit das Nachhaltigkeitskonzept des Turniers. "Das ist nicht das Nachhaltigste, was man sich vorstellen kann", sagte Barbara Metz von der Deutschen Umwelthilfe im ZDF.
Technik
Technik, die begeistert - oder auch nicht: Ein Chip im Ball, der anzeigt, wann und wie stark das Spielgerät berührt wurde, hilft den Schiedsrichtern bei der EM bei ihrer Entscheidungsfindung. Davon profitierte auch die deutsche Nationalmannschaft im Achtelfinale gegen Dänemark. Eine Flanke von David Raum hatte die Hand des Dänen Joachim Andersen im Strafraum gestreift.
Nach Ansicht der Videobilder entschied der englische Schiedsrichter Michael Oliver auf Elfmeter, den Kai Havertz zum 1:0 verwandelte. Beim Videobeweis half auch die neue Technik durch den Chip im Ball. Der frühere deutsche Nationalspieler Michael Ballack kritisierte das Hilfsmittel dennoch scharf. "Dieses Ausschlagding, was da angezeigt wird, das können wir gleich abschaffen", sagte er bei MagentaTV. "Wir sollten immer noch nach Menschenverstand urteilen."
Auffällig waren zudem die im Gegensatz zur Bundesliga ausführlicheren Erklärungen von VAR-Entscheidungen auf den Videowänden in den Stadien. Auch 3D-Animationen kamen dabei zum Einsatz.
Flitzer
Ein Selfie mit Cristiano Ronaldo: Mit diesem Ziel stürmten mehrere Fans bei der EM auf den Platz und sorgten für verrückte Szenen. Besonders kurios wurde es beim 3:0 der Portugiesen gegen die Türkei. Mehrmals sah sich der Superstar schon während des Spiels mit Selfie-Jägern konfrontiert. Nach dem Abpfiff probierten es weitere Anhänger.
UEFA-Wettbewerbschef Martin Kallen sprach zudem von Flitzern mit anderen Motiven. Da sei zum Teil Kommerz im Spiel und es gebe Leute, die dafür bezahlen, sagte er. "Sehr nervig" fand Kallen die Flitzer und sagte: "Man sollte ein Fußballspiel durchspielen können. Aber wir haben damit gelebt und immer wieder angepasst, dass wir immer weniger hatten."
- Nachrichtenagentur dpa