Umstrittene Jubelgesten Nicht nur der "Wolfsgruß": Türkei-Star hat eine Vorgeschichte
Mit zwei Toren avanciert Merih Demiral im EM-Achtelfinale zum Helden. Eine umstrittene Jubelgeste stößt dabei auf Kritik – und erinnert an Jahre zuvor.
Im Klassenzimmer nutzen Lehrer das Handzeichen als "Schweigefuchs", um die Aufmerksamkeit der Schüler zu erlangen. Bei nationalsozialistischen Demonstrationen fungiert es allerdings als ein Symbol der rechtsextremistischen "Ülkücü-Bewegung". Anhänger der Gruppe "Graue Wölfe" nutzen den "Wolfsgruß", um ihre Zugehörigkeit auszudrücken.
Umso irritierender, dass die Handgeste am Dienstagabend auch auf dem Fußballplatz auftauchte: Im EM-Achtelfinale zwischen der Türkei und Österreich (2:1) zeigte der türkische Nationalspieler Merih Demiral die Geste mit seinen Händen.
Seine Erklärung: "Wie ich gefeiert habe, hat etwas mit meiner türkischen Identität zu tun", sagte der von der Uefa als Spieler des Spiels ausgezeichnete Demiral bei der Pressekonferenz. Er hoffe, dass es "noch mehr Gelegenheiten gibt, diese Geste zu zeigen".
Achtelfinale
Aufregung um seine Person ist Demiral nicht neu. Er zog bereits vor fünf Jahren die Aufmerksamkeit nach einem umstrittenen Jubel der anderen Art auf sich.
Uefa ermittelt
Im Oktober 2019 hatte Demiral bei Treffern der türkischen Nationalelf gegen Albanien (1:0) und Frankreich (1:1) salutiert. Seinen Mitspieler Kaan Ayhan, der seinen Rücken den jubelnden Spielern zukehrte, versuchte Demiral noch zum Salut zu animieren.
Die Geste wurde als Zustimmung zur Militäroffensive der Türkei in Nordsyrien gedeutet und führte zu Diskussionen. Denn politische Botschaften sind während der Spiele verboten. Auch deshalb wurden damals Ermittlungen der Uefa eingeleitet. Für den militärischen Gruß verhängte die Uefa milde Strafen: Der türkische Verband TFF erhielt eine Geldstrafe in Höhe von 50.000 Euro, 13 Spieler wurden verwarnt.
Auch im Falle des "Wolfsgrußes" muss Demiral nun eine mögliche Strafe befürchten. Die Uefa hat ein Untersuchungsverfahren gegen den 26-Jährigen nach dessen Torjubel eingeleitet. Es gehe dabei um ein angebliches unangemessenes Verhalten Demirals, so der Verband.
Anders als 2019 könnten Demiral Folgen für das anstehende Viertelfinale drohen. Der damalige Vizepräsident Pavel Nedved von Juventus Turin hatte seinem Schützling nach dem Militärgruß-Jubel den Rücken gestärkt. "Jeder hat die Freiheit, sich auszudrücken. (...) Seine Geste, mag sie auch stark gewesen sein, bedeutet von unserem Standpunkt aus keine Verletzung des Ethikcodes", so Nedved damals.
"Ein absoluter Skandal"
In diesem Fall könnte es aber weniger glimpflich ausgehen. Denn die Uefa bekommt Druck von mehreren Seiten. So schrieb die Journalistin und Menschenrechtsaktivistin Düzen Tekkal auf der Onlineplattform X: "Seit Jahren bekomme ich von Anhängern der 'Grauen Wölfe', einer der größten rechtsextremen Gruppen in Deutschland, Morddrohungen. Dass Merih Demiral hier den rechtsextremen 'Wolfsgruß' zeigt, ist eine Verhöhnung der Opfer."
Tekkal forderte die Uefa zum Handeln auf. "Auch beim Rassismus und Faschismus in Teilen der Bevölkerung mit Einwanderungsgeschichte darf die Gesellschaft nicht wegsehen! Es gilt, alle Formen der Menschenverachtung und Verfassungsfeindlichkeit zu bekämpfen! Alles andere ist Makulatur." Im Interview mit t-online äußerte sie sich zudem über Traumata, die wieder aufgerissen wurden (Mehr dazu lesen Sie hier).
Viertelfinale
Der türkische Exiljournalist und Autor Can Dündar schrieb ebenfalls auf X: "Glückwunsch, Merih! Mit einem einzigen Zeichen hast du die 100-prozentige Freude auf 5 Prozent verringert." Auch die Gesellschaft für bedrohte Völker rief die Uefa auf, das Zeigen des "Wolfsgrußes" nicht zu dulden. "Am Jahrestag des Sivas-Massakers so prominent den 'Wolfsgruß' zu zeigen, ist ein absoluter Skandal", sagte der GfbV-Nahostreferent Kamal Sido.
"Die türkische Nationalmannschaft muss sich öffentlich vom Zeigen des rechtsextremen Symbols distanzieren." Vor 30 Jahren hatte ein von religiösen Extremisten aufgehetzter islamistischer Mob ein Hotel im Stadtzentrum von Sivas in Brand gesteckt, in dem sich alevitische Schriftsteller, Sänger und Intellektuelle aufhielten. In den Flammen kamen 37 Menschen ums Leben, die meisten Opfer waren alevitischen Glaubens. Aleviten sind eine religiöse Minderheit in der mehrheitlich sunnitischen Türkei.
Die Türkei spielt am Samstag in Berlin um den Einzug ins Halbfinale der EM. Im Berliner Olympiastadion geht es gegen die Niederlande.
- Eigene Beobachtungen
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa und SID