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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Rekordjoker Petersen über Füllkrug "Nagelsmann lässt ihn bewusst so lange zappeln"
Niclas Füllkrug hat am Sonntag wieder einmal für Deutschland getroffen. Und wieder einmal als Joker. Für Bundesliga-Rekordjoker Nils Petersen kein Zufall.
Seit seinem Kopfballtor gegen die Schweiz im letzten EM-Gruppenspiel ist Niclas Füllkrug der "Rekordjoker" der deutschen Nationalmannschaft. Es war sein vierter Treffer bei einer WM oder EM als Einwechselspieler. Das war zuvor noch niemandem gelungen.
Füllkrug war in der 76. Minute beim Stand von 0:1 eingewechselt worden und bescherte Bundestrainer Julian Nagelsmann mit seinem Treffer zum 1:1 kurz vor Schluss noch den Gruppensieg bei der Heim-Europameisterschaft. Die "New York Times" bezeichnete ihn daher als "Retter".
Füllkrug selbst sieht sich weniger als Joker. Nach der Partie sagte er in der ARD: "Eigentlich bin ich es nicht gewohnt, als Joker zu spielen." Beim BVB stand er vergangenen Saison 29 Mal in der Startelf. Dennoch scheint er in der Nationalelf wie gemacht für die Rolle des Einwechselspielers.
Einer, der genau weiß, was das bedeutet, ist Nils Petersen. Der Ex-Freiburg-Stürmer (2015 bis 2023) hat mit 34 Treffern die meisten Jokertore der Bundesliga-Geschichte erzielt. Der 35-Jährige kennt das Gefühl, von der Bank aus zu kommen, nur zu gut – und damit auch die Vorteile des Joker-Daseins. Diese sieht er auch schon bei Füllkrug.
"Gefühl, dass Nagelsmann ihn bewusst so lange zappeln lässt"
Zu t-online sagt Petersen: "'Lücke' hat sich mit dieser Rolle arrangiert und angefreundet. Ich habe sogar das Gefühl, dass Julian Nagelsmann ihn bewusst so lange zappeln lässt, damit er noch mehr Wut im Bauch hat und alle Wucht in wenige Szenen legt. Das Resultat war schon zweimal deutlich zu sehen."
Was Petersen meint: Schon beim EM-Auftakt gegen Schottland hatte Füllkrug als Joker getroffen. Gegen die Schweiz untermauerte er seine Qualitäten. Nach dem Treffer hob der 31-Jährige erst den Zeigefinger in die Höhe, klopfte sich dann auf die Brust und breitete seine Arme aus. Ganz so, als wollte er sagen: Ich bin da. Denn genau das ist es, was er mit seinen Toren unter Beweis stellt.
"Die Rolle des Einwechselspielers wird gern unterschätzt"
Und genau das ist auch, was Petersen jahrelang als aktiver Spieler gezeigt und perfektioniert hat. Für ihn ist klar: "Das ist kein Zufall mehr!" Er erklärt das so: "Mittlerweile werden Fußballspiele auf allerhöchstem Niveau oft erst in den letzten Minuten entschieden." Der beste Beweis dafür ist auch der Deutsche Meister Bayer Leverkusen, der in der vergangenen Saison mehrere Partien in der Schlussphase für sich entschieden hat.
Petersen sagt mit Blick auf die deutsche Nationalmannschaft: "Wenn man dann so hungrige Spieler wie Raum oder Füllkrug von der Bank bringen kann, gibt das noch mal krassen Schwung. Da hat jeder im Stadion, inklusive Gegner, das Gefühl: Da passiert heute noch irgendwas. Und Fußballspiele leben von diesen Momenten."
So sehr, dass Jokern eine immer wichtigere Rolle zuteilwird. Petersen hat darüber das Buch "Bankgeheimnis" geschrieben und legt sich fest: "Die Rolle des Einwechselspielers wird nämlich gerne unterschätzt. In knappen Spielen haben Bankspieler mitunter mehr Einfluss als jemand, der 70 Minuten Dienst nach Vorschrift geleistet hat."
"Das pusht ihn brutal – und setzt Energie frei"
Dies sei am besten an Füllkrug zu sehen, der den deutschen Fans durch seine wichtigen Tore genau im Gedächtnis bleibe. "Heute führen wir ein Interview über jemanden, der noch keine 90 Minuten netto in diesem Turnier gespielt hat. Aber sein Stempel ist bei Weitem größer als der manches Startspielers", so Petersen weiter: "Niclas Füllkrug hat sich ein Alleinstellungsmerkmal erarbeitet. Und das schadet gewiss seiner Beliebtheit nicht. Und er macht die Mannschaft aktuell besser – genau in dieser Rolle."
Warum? "Müde, unaufmerksamere Gegenspieler und ihre Angst vor dem Vollstrecker – genau die Mischung, die Joker lieben. Es müssen nur noch die Bälle in die Box fliegen ... Nach außen hin muss er natürlich verdeutlichen, dass er lieber von Beginn an spielt. Tief im Inneren wird er aber zugeben, es zu lieben und zu genießen, wenn er zur Einwechslung schreitet, die gegnerische Bank schon tuschelt und die deutschen Fans seinen Namen rufen. Das pusht ihn brutal – und setzt Energie frei." Und Petersen muss es wissen.
- Eigener Kontakt zu Nils Petersen
- Eigene Beobachtung des Spiels Schweiz gegen Deutschland