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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Vor Finale gegen Real Madrid Der Bessermacher – das Erfolgsgeheimnis des Jürgen Klopp
Jürgen Klopp ist der erfolgreichste deutsche Trainer im Weltfußball. Am Samstag bestreitet er sein viertes Champions-League-Finale. Er setzt Maßstäbe, nicht nur in sportlicher Hinsicht. Wie schafft er das?
Sie waren gehörig in die Bredouille geraten, lieferten die schlechteste Halbzeit der gesamten Saison ab. Ihnen drohte das gleiche Schicksal wie dem FC Bayern, der wenige Wochen zuvor völlig überraschend gegen den großen Außenseiter FC Villarreal aus der Champions League geflogen war.
0:2 betrug der Rückstand des FC Liverpool an diesem Mai-Abend in Spanien nach 41 Minuten. Der Vorsprung aus dem Hinspiel war dahin. Villarreal war näher dran am dritten Treffer als Jürgen Klopps Team von der Anfield Road am Anschlusstor. Das Ausscheiden drohte. Dann kam die Halbzeitpause. Klopp nahm einen Wechsel vor und hielt eine Ansprache, die ihre Wirkung nicht verfehlte. Das Spiel in der zweiten Halbzeit hatte mit dem aus der ersten nichts mehr gemein. Liverpool gewann 3:2 und erreichte das Finale der Königsklasse (Samstag ab 21 Uhr im t-online-Liveticker).
Ein Spiel, das exemplarisch zeigt, welch immensen Einfluss Klopp auf seine Spieler nehmen kann. Doch wie gelingt ihm das?
Ex-Liverpool-Spieler Philippe Coutinho sagte einmal über seinen früheren Trainer: "Er findet irgendwie immer die richtigen Worte, sowohl vor dem Spiel als auch während des Spiels." Irgendwie. Dieses Wort fasst wohl am treffendsten das Geheimnis hinter dem Phänomen Klopp zusammen.
Götze & Co. – nie wieder so gut wie unter Klopp
Was offensichtlich ist: Der 54-Jährige schafft es wie kaum ein Zweiter, eine Atmosphäre zu erzeugen, in der Erfolg wahrscheinlicher wird. In der viele Spieler über ihr eigentliches Leistungsvermögen hinauswachsen. Viele seiner Schützlinge waren nie zuvor und nie wieder danach so gut wie unter ihm als Trainer. Mario Götze ist das wohl prominenteste Beispiel aus Dortmunder Zeiten. Shinji Kagawa, Kevin Großkreutz oder Nuri Sahin weitere. Drei von ihnen – Götze, Kagawa und Sahin – kehrten nach ihren Abgängen zu größeren Klubs wieder zum BVB zurück. An vergangene Leistungen konnte keiner mehr anknüpfen.
Ein aktuelles Beispiel ist Joel Matip. Auf Schalke ein guter Bundesliga-Spieler wurde er unter Klopp in Liverpool zum Innenverteidiger mit Weltklasseformat. Zur Verblüffung aller Experten. Kein schwerreicher Spitzenklub wäre wohl auf die Idee gekommen, einen Spieler wie den gebürtigen Bochumer zu verpflichten. Klopp tat es und machte ihn besser.
Ein weiterer Baustein: Er kreiert mit seiner Art einen Sog der Begeisterung, der alle mitreißt. Das war und ist bei jedem seiner Vereine zu beobachten. Ob Mainz, Dortmund oder Liverpool: Klopp hat jeden Klub auf eine andere Ebene gehoben. Er versprüht eine positive Energie, die Vertrauen schafft, dass das, was er macht, gut werden wird.
Entlassen wurde er dabei noch nie. Selbst nicht, als er in seiner letzten BVB-Saison kurz nach der Winterpause auf Platz 18 abgerutscht war. Eine solche Entscheidung stand nicht einmal zur Diskussion. Nicht bei den Klubbossen, nicht bei den Fans. Die in solchen Situationen gerne und oft bemühten "Gesetzmäßigkeiten des Fußballgeschäfts", sie greifen bei Klopp nicht.
Klopp und die Menschlichkeit
Wohl auch, weil Klopp Sätze sagt, wie: "Wenn die Zuschauer Emotionen wollen, du aber Rasenschach anbietest, muss sich einer von beiden ein neues Stadion suchen." Oder, dass ein langweiliges Fußballspiel seine Daseinsberechtigung verliere. Er sagt es nicht, weil er glaubt, damit gut bei den Fans anzukommen. Er sagt es, weil es seine eigene Überzeugung ist. Und entsprechend lässt er Fußball spielen. Er nennt es "Heavy Metal". Das Bemerkenswerte daran: Sein Stil ist nicht nur mitreißend, sondern auch noch erfolgreich. Und das ziemlich dauerhaft.
Doch wie gelingt ihm das wieder und wieder?
Wenn Spieler, die unter ihm gearbeitet haben, über Klopp sprechen, fällt stets ein Begriff, der mit der Fußballlehre an sich gar nichts zu tun hat: Menschlichkeit.
Ex-Spieler Neven Subotic sagte einst im Gespräch mit der "FAZ": "Ich kenne keinen anderen, der einen solchen Einfluss auf den gesamten Fußball genommen hat, auf der sportlichen wie auf der menschlichen Ebene."
Ein anderes Beispiel: Bei seiner gerade erfolgten und in Liverpool groß gefeierten Vertragsverlängerung bis 2026 verzichtete er auf eine Gehaltserhöhung, sorgte stattdessen dafür, dass das für ihn eingeplante Geld auf seine Assistenten Pep Lijnders und Peter Krawietz aufgeteilt wurde.
Klopp, der "Good Guy" im Weltfußball also? Seine Empathie ist zumindest eine seiner großen Stärken. Er weiß, dass Erfolg nur in der Gemeinschaft möglich ist. Und das lebt er vor.
Klopps entscheidende Frage vor seinem Liverpool-Wechsel
Vor seinem Wechsel nach Liverpool 2015 erklärte er, was für ihn der entscheidende Punkt für den Schritt ins Ausland sei: die Sprache. Er müsse seinen Worten in der neuen Umgebung genau so viel Wucht verleihen können wie im Deutschen. Emotionen rüberbringen. Im Englischen traute er sich das zu.
Die mitunter gnadenlose englische Boulevard-Presse hatte er direkt bei seiner Vorstellungs-Konferenz auf seiner Seite, als er, angesprochen auf José Mourinho, der sich als "The Special One" bezeichnet, entgegnete, er sei "The Normal One". Seine Entertainer-Fähigkeiten funktionierten auch auf der Insel auf Anhieb.
Die britischen Journalisten lieben ihn, auch wenn sie gelegentlich den berühmt-berüchtigten Klopp-Zorn abbekommen. Wenn sie aus seiner Sicht blöde oder falsche Fragen stellen, kann es schon mal kernig werden. Auch da ist Klopp geradeheraus, verstellt sich nicht des Friedens willen. Er ist keineswegs "Everybody's Darling". Dazu ist er zu emotional und erfolgsbesessen.
Was macht Klopp also so besonders? In rein fachlicher Hinsicht, was Aspekte wie Spielvorbereitung und taktische Änderung während der Partie angeht, gibt es möglicherweise noch bessere als ihn. Doch um eine Fußballmannschaft maximal erfolgreich zu machen, reicht es nicht aus, nur das Spiel von allen am besten zu verstehen.
"Menschenfänger" lautet eines der Attribute, die im Zusammenhang mit Klopp oft fallen. Unverkennbar: Klopp kann mit Menschen, er punktet in Sachen sozialer und emotionaler Intelligenz: mit Menschen arbeiten, sie verstehen, auf sie eingehen. Wohl kein Spitzen-Trainer umarmt seine Spieler bei Einwechslungen, bei Auswechslungen, nach Schlusspfiff, auf dem Trainingsplatz – eigentlich immer – so herzlich wie Klopp. Man könnte auch sagen: Klopp trifft den richtigen Ton, seine Spieler dadurch öfter das Tor.
Nuri Sahin fasst Klopps Erfolgsgeheimnis so zusammen: "Am meisten liebe ich an ihm, dass er menschlich ist. Er berührt dich auf einer menschlichen Ebene. Jürgen lügt nicht. Er ist, wer er ist. Das ist einer der Faktoren, die ihn so erfolgreich machen." Was dafür spricht, dass an dieser Aussage viel Wahres dran ist: Unter all den Spielern, die Klopp in seiner inzwischen zwanzigjährigen Trainerlaufbahn trainiert hat, ist dies keine Einzelmeinung.
"Er kann dein Freund sein, aber auch sehr streng"
Mario Götze sagt: "Klopp hat wahrscheinlich den größten Einfluss auf meine Karriere gehabt." Da ist er wieder, der Einfluss.
Der WM-Siegtorschütze weiter: "Er kann sehr anspruchsvoll sein. Er kann dein Freund sein, aber gleichzeitig auch sehr streng sein. Er treibt dich zu großen Leistungen an. So war es bei mir damals, und so ist es jetzt bei Liverpool."
Mit diesem FC Liverpool kann Klopp am Samstag in seinem vierten Finale (mehr schaffte nur Real-Trainer Ancelotti, der nun sein fünftes bestreitet) zum zweiten Mal die Champions League gewinnen. Und sollten die "Reds" früh zurückliegen – Real sollte sich noch nicht zu sicher fühlen. Weil Klopp seine Spieler besser machen kann. Dafür reicht ihm manchmal schon eine Halbzeitpause.
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- Eigene Recherche