Europas Meister chancenlos Darum gewinnt der FC Barcelona die Königsklasse
Von Florian Haupt
Eigentlich muss man gar nicht viel sagen. Eigentlich kann man es bei der Information belassen, dass ein Real Madrid geneigter Kolumnist der Real Madrid sehr geneigten Zeitung "Marca" eine Hymne auf Juventus Turin verfasste: bis ans Ende aller Tage müsse sein Klub den Italienern dafür danken, dass sie im Halbfinale die Güte hatten, ihn aus der Champions League zu werfen. Sie hätten Real damit die sichere Schande eines verlorenen Finals gegen den Erzrivalen FC Barcelona erspart. (Lesen Sie hier, warum Juventus Turin gewinnt)
Er wolle nichts davon hören, dass in einem Spiel immer alles möglich sei, so der Kolumnist. Ja, er sei sich sogar sicher, dass Madrids Abwehr den entscheidenden Treffer der Italiener absichtlich herbeigeführt habe. Denn: "Barca ist gerade viel Barca und viel Lionel Messi. Zu viel." Es sei, mit anderen Worten, unschlagbar.
Unschlagbar? Als Luis Enrique in der Nacht zum selben Sonntag, nach dem lockeren Pokaltriumph über Athletic Bilbao, dieselbe Idee unterbreitet wurde, da antwortete er: "Oh nein, bitte nicht. Unschlagbar ist ein schreckliches Wort, abgesehen davon, dass es im Fußball nicht existiert". Der Trainer des FC Barcelona muss seine Mannschaft schließlich dazu anhalten, ihre Gegner ernst zu nehmen. Damit sie weiterhin bleibt, was sie ja in wichtigen Spielen zuletzt de facto war: eben unschlagbar.
Die Meister Europas gegen Barca chancenlos
Die in Hin- und Rückspielen ausgetragene Copa del Rey gewann sie, ohne auf dem Weg auch nur ein Remis konzediert zu haben - als erste Mannschaft seit 1954. Und in der K.-o.-Runde der Champions League feierte sie gegen den englischen Meister Manchester City, den französischen Meister Paris St. Germain und den deutschen Meister Bayern München ebenfalls nur Erfolge - ehe sie dem Team ihres Ex-Trainers Pep Guardiola in der zweiten Halbzeit des Rückspiels noch einen Sieg gestattete.
Zum Abschluss des Reigens der Meister aus den anderen großen Ligen wartet jetzt also noch der italienische Champion Juventus. Barca kann nach 2009 das zweite Triple der Vereinsgeschichte gewinnen. Es kann aber auch alles verlieren. So würde es sich anfühlen, wenn mit dem wohl besten Lionel Messi aller Zeiten und dem epochalen MSN-Sturm aus Messi, Neymar und Suarez mit seinen bisher 120 Saisontreffern das letzte, wichtigste Spiel verloren ginge. "Eine stolze Saison wäre es nur, wenn wir alle drei Titel gewinnen, so ist die Mentalität dieser Elf" - das sagt Luis Enrique selbst.
Suarez trifft auf Chiellini
Bloß, was soll schief gehen? Eine dumme Rote Karte wegen Tätlichkeit vielleicht? Suarez bei seinem Wiedersehen mit Chiellini? Am Ort, wo Zidane einst Materazzi zu Boden rammte? Scheint fast ausgeschlossen, wenn man ihn die letzten Monate so beobachtete. Ob es die psychologische Behandlung ist, in die er sich während seiner langen Sperre begab, oder einfach die Schwingung seines neuen Zuhauses im Klub der guten Manieren - er machte bislang zu keinem Zeitpunkt den Eindruck, seine Aggressivität über ein gesundes Maß hinaus gepegelt zu haben.
Ein Torwartfehler wäre eine weitere Option für eine überraschende Niederlage, immerhin ist Marc-André ter Stegen noch sehr jung und nicht allzu erfahren auf diesem Niveau. Allerdings wirkte er, gerade im Rückspiel bei den Bayern, nicht unbedingt so, als würde ihm das irgendetwas anhaben.
Messi ist kaum zu bändigen
Juventus könnte das Spiel in München dafür insofern Hoffnung gemacht haben, als Barca etliche Torchancen zuließ. Den Bayern gelang das jedoch nur durch eine tollkühne Offensive, die der MSN so viele Räume zum Kontern öffnete, dass diese schon nach einem Spieldrittel zweimal getroffen hatte. Ein italienisches Team bei vollem Verstand wird Ähnliches im Leben nicht anbieten wollen.
Denn um Barca zu schlagen muss man erstens: Messi aus dem Spiel nehmen. Bilbaos Trainer Ernesto Valverde versuchte das gerade mit der guten alten Manndeckung, und der auserwählte Mikel Balenziaga machte das auch ein paar Minuten gar nicht so schlecht - bis er Messi genug traktiert hatte, damit sich dieser zu einem Statement veranlasst sah und sein neuestes Wunderwerk produzierte, ein Solo von der rechten Außenlinie gegen vier Gegner mit anschließendem Finish zum 1:0. Dieser Plan hat also schon mal nicht geklappt. Wie das Pläne gegen Messi eben so an sich haben.
Unberechenbarer FC Barcelona
Selbst wenn es ausnahmsweise funktionieren sollte, und das ist italienischen Taktik-Experten grundsätzlich ja noch am ehesten zuzutrauen, bedeutet das noch lange nicht den Sieg. Als letztem Trainer gelang es dem inzwischen entlassenen Italiener Carlo Ancelotti mit Real Madrid, den kleinen Argentinier größtenteils zu neutralisieren, beim Clásico im März. Dass Messi vor Barcelonas 1:0 einen perfekten Freistoß auf den Kopf von Jeremy Mathieu setzte, lässt sich taktisch nicht verhindern. Madrid glich aus, war am Drücker - ehe Barcas Rechtsverteidiger Daniel Alves einen Pass nach vorn schlug, wo Suárez grandios zwei Verteidiger abschüttelte und das Siegtor erzielte.
Kurzum, Barca hat noch reichlich andere Waffen im Arsenal. Suarez und Neymar, natürlich. Aber auch sein neuer Variantenreichtum unter Luis Enrique. Das Mittelfeld etwa kann nach alter Haustradition geduldig kombinieren, durch Neuzugang Ivan Rakitic das Spiel aber auch extrem dynamisieren. Rechtsverteidiger Alves brilliert wie zu besten Zeiten, und sogar aus der ewigen Schwäche bei Standardsituationen hat Barca eine Stärke gemacht - das Kopfballtor von Bayern-Verteidiger Benatia beim Rückspiel in München war der bisher einzige Gegentreffer nach einer Ecke im Jahr 2015.
Verabschiedet sich Xavi mit dem CL-Titel?
Nur 21 Tore hat Barcelona diese Saison in 38 Ligaspielen kassiert. Die ganze Mannschaft arbeitet nach hinten mit, selbst Messi. In der Abwehrreihe hat sie mit Piqué und Mascherano zwei natürliche Anführer im Zentrum, die sich nach Jahren des Zusammenspiels mittlerweile fast so perfekt ergänzen wie einst Puyol und Piqué. Der Argentinier bringt zusätzlich die strategischen Qualitäten aus seiner alten Position im defensiven Mittelfeld ein, die bei Barca der als weltbester Spezialist anerkannte Busquets besetzt. Als Bindeglied zum grandiosen Sturmtrio gibt es außerdem noch einen gewissen Iniesta und auf der Ersatzbank in der Hinterhand einen gewissen Xavi, der mit 35 Jahren sein 767. und letztes Spiel für Barcelona bestreiten wird.
Als er nach der letzten Ligapartie am vorvergangenen Samstag verabschiedet wurde, feierten die Spieler mit ihren Kindern die Meisterschaft. Am vergangenen Samstag nach dem Pokalfinale kamen die Kinder wieder aufs Feld, auch wenn es bereits halb zwölf Uhr nachts war. Sofern sie mit nach Berlin reisen - wer mag schon darauf wetten, dass sie an diesem Samstag nicht den Rasen des Olympiastadions entern werden.