Sonderrolle für Schweini? Taktik-Analyse: Plant Pep mit magischem Viereck?
Es ist angerichtet. Im Halbfinale der Champions League kommt es zum Duell der Giganten zwischen dem FC Barcelona und dem FC Bayern München. Der spanische Tabellenführer trifft auf den Deutschen Meister, Pep Guardiolas ehemaliger Verein trifft auf Pep Guardiolas aktuellen Verein, Tiki-Taka trifft auf Tiki-Taka. Doch trotz der zahlreichen Künstler auf dem Platz glaubt Taktik-Experte Christian Titz nicht an ein großes Fußballfest.
Der 44-jährige Fußballlehrer erklärt, warum der Schlüssel für den Erfolg des FC Bayern vor allem in der Defensive liegt, welche besondere Rolle auf Bastian Schweinsteiger zukommen könnte und wieso ein früherer Schalker den großen FC Barcelona noch stärker macht.
Das Interview führte Mark Weidenfeller
Herr Titz, der FC Bayern ist nach den vielen verletzungsbedingten Ausfällen wohl zum ersten Mal in dieser Saison nicht Favorit. Können die Bayern Außenseiter?
Auf jeden Fall. Aufgrund der vielen prominenten Verletzten haben die Bayern die ebenso luxuriöse wie seltene Ausgangslage, dass sie selbst erst einmal nicht das Spiel machen müssen. Barca steht im Heimspiel unter Druck, Barca muss in der Offensive etwas zeigen, Barca muss gewinnen. Die Bayern können sich das erst einmal anschauen, hinten sicher stehen und auf Konter lauern. Beim 1:0-Sieg in Dortmund haben sie bewiesen, dass sie auch diese Qualität haben. Einen fußballerischen Leckerbissen dürfen die Zuschauer dann allerdings nicht erwarten.
Es gibt vermutlich trotzdem leichtere Aufgaben als gegen den FC Barcelona hinten sicher zu stehen. Auf wen müssen die Bayern besonders aufpassen?
Das offensive Trio mit Neymar, Lionel Messi und Luis Suarez ist natürlich eine Klasse für sich. Diese drei haben Technik, Tempo und Torgefahr und können das Spiel alleine entscheiden. Ein weiteres Element, das seit dieser Saison neu dabei ist, ist der ehemalige Schalker Ivan Rakitic. Er ist zweikampfstark, spielt gerne mal einen langen Ball und zieht auch aus der Distanz ab. Das tut dem früher oft so sensiblen Barca-Fußball gut.
Apropos Barca-Fußball: Früher hieß es, Barcelona habe keinen Plan B, spiele immer gleich. Ist das heute auch noch so?
Ganz klar: nein. Barca hat gegen Real Madrid gezeigt, dass sie nicht mehr nur den für sie typischen Ballbesitzfußball beherrschen, sondern auch dem Gegner Spielanteile überlassen können und dann selbst mit Tempogegenstößen operieren. Es wird deshalb spannend zu sehen sein, wie die beiden Teams ihr Spiel taktisch ausrichten. Schneller offensiver Tempofußball und Spieldominanz oder tief stehen und auf Fehlpässe lauern. Beide können beides. Letztlich entscheidet die Tagesform, auch wenn für mich Barca leichter Favorit ist.
Und was sind die spielerischen Mittel, auf die der FC Bayern vorbereitet sein muss?
Ganz entscheidend werden die Duelle auf den Außenbahnen. Die Pärchen Messi und Dani Alves auf rechts sowie Neymar und Jordi Alba auf links sind herausragend und bilden das Herzstück von Barca. Da muss der FC Bayern höllisch aufpassen und versuchen, das Spiel in die Mitte zu lenken. Im Zentrum haben die Katalanen mit Andres Iniesta, Sergio Busquets oder eben Rakitic zwar auch sehr gute Spieler, die sind aber viel weiter von der gefährlichen Zone vor dem Tor entfernt.
Wie lenkt man denn ein Spiel in die Mitte? Wie sollte der FC Bayern dieses Spiel taktisch angehen?
Spieler wie Messi oder Neymar kann man nicht komplett ausschalten. Wichtig ist es deshalb, auf den Außenbahnen zu doppeln und die Wege nach innen zuzustellen. Die Außenverteidiger müssen hierbei im Verbund mit dem äußeren und den zentralen Mittelfeldspielern dafür sorgen, dass Messi und Neymar nicht ins Zentrum ziehen und zum Abschluss kommen können. Denkbar wäre deshalb ein 1-4-1-4-1-System mit einem Sechser und zwei Achtern, deren vorrangige Aufgabe es wäre, eben dieses Doppeln auf den Außen zu praktizieren.
Gibt es noch andere mögliche Systeme?
Durchaus. Ich könnte mir auch ein 1-4-4-2 mit Thomas Müller als zweiter Spitze oder das in der vergangenen Zeit öfters praktizierte 1-3-5-2-System mit einer Art Fünferkette in der Defensivbewegung vorstellen.
Was genau sind die Unterschiede bei diesen Systemen?
Der entscheidende Unterschied ist der Ort, an dem man den Gegner attackiert und angreift. Das 1-3-5-2 dient dazu, im Mittelfeld Überzahl zu schaffen und so den Spielaufbau von Barca einen Ticken früher zu stören als das beim 1-4-1-4-1 der Fall wäre. Noch etwas offensiver wäre das 1-4-4-2 mit zwei nominellen Spitzen, von denen eine vornehmlich dafür verantwortlich wäre, schon die ersten Pässe in die Zwischenräume zu unterbinden.
Auf welche Spieler des FC Bayern kommt es denn bei all diesen System und Taktiken am meisten an?
Im Fokus werden neben den Außenverteidigern die zentralen Mittelfeldspieler stehen. Hier wird wohl das Spiel entschieden. Heißt: Auf Philipp Lahm, Xabi Alonso und Thiago Alcantara kommt jede Menge Arbeit zu. Lahm hat die Qualität, Ruhe ins Spiel zu bringen und der Defensive Stabilität zu verleihen. Alonso muss die Zwischenräume zwischen Viererkette und Mittelfeld zustellen und die durchbrechenden Außenbahnspieler stoppen, Thiago hingegen das Spiel an sich reißen und auch nach vorne Akzente setzen.
Was macht Thiago eigentlich so stark? Was macht er bessere als andere?
Thiago ist technisch herausragend. Er kann den Ball auch unter höchstem Gegnerdruck behaupten und weiterleiten, das ist vor allem bei eigenen Balleroberungen wichtig. Sollten die Bayern einen Ball von Barca gewinnen, werden sie umgehend unter Druck gesetzt. Dann gibt es oft nur zwei Möglichkeiten: langer Schlag – oder Ball zu Thiago. Er kann den Ball auf- und mitnehmen, sich mit einer seiner Finten durchsetzen, den Ball unter Gegnerdruck abschirmen oder kurz klatschen lassen. Er bietet also Lösungsansätze, um die erste Pressing-Linie von Barca zu überbrücken – und so in eine neue Spielsituation zu kommen und einen Konter fahren zu können. Bei diesem Gewinnen und Halten von Ballbesitz könnte übrigens auch Bastian Schweinsteiger helfen.
Wie das?
Auch Schweinsteiger besitzt die Fähigkeiten, sich am Ball zu behaupten. Er wäre durchaus eine Alternative für die nach den Ausfällen von Arjen Robben und Franck Ribéry verwaisten Außenbahnen. Er ist zwar nicht so schnell und explosiv, dafür aber extrem ballsicher. Zudem kennt er die Position aus der Anfangszeit seiner Karriere. Ich halte es also durchaus für möglich, dass Schweinsteiger, Lahm, Alonso und Thiago gleichzeitig auf dem Platz stehen. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass bei Guardiola alles möglich ist.
Ist es eigentlich auch möglich, dass der FC Barcelona seinen alten Trainer Guardiola überraschen will und plötzlich ganz anders spielt?
Grundsätzlich glaube ich das nicht, weil sie ein Heimspiel haben. Pep Guardiola kennt Barca zwar in und auswendig, aber deswegen stellen die Spanier ja nicht plötzlich ihre Spielweise komplett um. Vielmehr könnte es für die Katalanen ein Problem werden, dass sich Guardiola auf jeden Fall etwas einfallen lassen wird. Ich kann mir gut vorstellen, dass er seit Tagen grübelt und am Ende vielleicht alles ganz anders macht als wir hier gerade besprochen haben. Es gibt neben all’ den aufgeführten Varianten immer noch die Variante Guardiola. Und die kennt nur er selbst.
Mehr Informationen zu Christian Titz, der ab dem 01. Juli 2015 die U17-Auswahl des Hamburger SV trainieren und zudem das mannschaftsübergreifende Individualtraining beim Bundesliga-Dino leiten wird, finden Sie bei Facebook (www.coaching-zone-portal.de) und seinem YouTube-Channel (https://www.youtube.com/channel/UC33pc1FJn5-Rt4oU2ERUEUg).