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Zum journalistischen Leitbild von t-online.DFB-Pokal-Kracher beim HSV So könnte sich Streich in Freiburg ein Denkmal setzen
Nach neun Jahren steht der SC Freiburg erstmals wieder im Pokal-Halbfinale. Damals brach das hochgelobte Team ein. Ex-Spieler verraten nun, woran der Finaleinzug 2013 scheiterte.
17. April 2013: In der Mercedes-Benz-Arena, der Heimstätte des VfB Stuttgart, schauen sich 59.000 Zuschauer das Halbfinale des DFB-Pokals an. Am Ende gibt es bei den Stuttgarter Fans kein Halten mehr. Das Team hat eine junge Freiburger Mannschaft 2:1 besiegt. SCF-Trainer Christian Streich und Spieler wie Oliver Baumann, Matthias Ginter, Jonathan Schmid, Daniel Caligiuri, Max Kruse, Julian Schuster und Jan Rosenthal müssen sich geschlagen geben. Trotz einer grandiosen Saison lief die Mannschaft als Verlierer vom Platz.
Am 19. April 2022, fast auf den Tag genau neun Jahre später, steht der SC Freiburg erstmals wieder in einem Pokal-Halbfinale. Trainer der Breisgauer ist noch immer Christian Streich. Der damalige Spieler und Kapitän Schuster ist heute Verbindungstrainer. Spieler wie Jonathan Schmid und der damalige Ersatzmann Christian Günter sind erneut mit dabei. Die Ausgangslage ist ähnlich. Der Gegner dieses Mal: der Hamburger SV. Es wartet erneut eine Auswärtspartie auf die Mannschaft. Und dennoch gibt es Unterschiede zu und Situationen aus genau diesem Spiel am 17. April 2013, aus denen die Freiburger lernen können.
t-online hat mit aktuellen Spielern und Ex-Profis über die Parallelen der beiden Saisons gesprochen und darüber, warum der Halbfinaleinzug dieses Mal gelingen könnte.
"Würde es gerne miterleben, in einem Finale zu stehen"
Das aktuelle Team um Vincenzo Grifo blickt mit Freude auf die Partie. Der Flügelspieler sagt zu t-online: "Es bedeutet mir sehr viel, weil ich noch nie in einem Halbfinale stand. Der Pokal ist ein Wettbewerb für sich und es ist richtig geil, auch mal so weit zu kommen. Wir wollen das Maximale rausholen. Zudem bin ich in einem gewissen Alter, wo ich es gerne noch miterleben würde, mal in einem Finale zu stehen. Aber das sehe nicht nur ich so, sondern die ganze Mannschaft."
Die Mannschaft kann aus den Fehlern des 2013er-Teams lernen. "Es war ein ziemlich warmer Aprilabend, ein Flutlicht-Spiel mit emotionaler Stimmung auf den Rängen in einem mit 60.000 Zuschauern ausverkauften Stuttgarter Stadion", erinnert sich der damalige Torwart Oliver Baumann, der heute bei der TSG Hoffenheim unter Vertrag steht. Zu t-online sagt er weiter: "In einem kämpferischen Spiel konnten wir die recht frühe VfB-Führung schnell wieder ausgleichen. Gut 10.000 Freiburger Fans unterstützten uns damals vor Ort. Aber ich habe die Szene auch noch vor Augen, als Martin Harnik per Kopf dann zum 2:1 für den VfB traf. Sehr ärgerlich, aber im Nachhinein eine geile Erfahrung, das Halbfinale."
Freiburg 2013? "Spiel war zu emotionalisiert"
Die Freiburger waren in der Saison 2012/13 in einer Topverfassung. Ein junges und erfolgreiches Team. Vor dem Halbfinale hatte die Streich-Mannschaft gerade Hannover 3:1 in der Liga besiegt, stand auf dem fünften Platz. Warum gelang im entscheidenden Spiel der Sieg nicht? Jan Rosenthal, der damalige Offenspieler, der gegen den VfB traf, sagt zu t-online: "Die Problematik bei dem Spiel war, dass das Spiel zu aufgeladen und emotionalisiert war. Auch vom Trainerteam. Wir haben im Bus noch ein Motivationsvideo gesehen. Das war für die recht junge und sehr sensible Mannschaft einfach zu viel." Nationalspieler Matthias Ginter war damals 19 Jahre alt, Christian Günter 20 und Baumann 22.
Ginter selbst erinnert sich bei t-online, sagt: "Es war natürlich ein riesiges Erlebnis – zumal es auch noch ein Derby war. Gefühlt war für uns in diesem Spiel mehr drin, es lief aber letztlich sehr unglücklich für uns."
Rosenthal ergänzt: "Die Mannschaft hat damals so gut funktioniert, weil sie ohne Druck gespielt hat. Viele Spieler, die eine super Saison bis dahin gespielt hatten, waren in dem Spiel extrem schlecht drauf und es funktionierte so gar nichts an dem Tag. Wir glauben, dass es stark damit zu tun hatte, dass zu viel Druck auf dieses Spiel gelegt wurde, mehr als es nötig gewesen wäre." Ähnlich erinnert sich auch der langjährige Freiburger Profi Karim Guédé bei t-online daran, der heute Scout beim SCF ist: "Wir sind nicht gut ins Spiel gekommen und man konnte es gar nicht richtig genießen. Die eigene Nervosität hat uns damals gehemmt."
Könnte das der Mannschaft von Christian Streich auch dieses Mal zum Verhängnis werden? Aktuell steht der SCF ebenfalls auf dem fünften Rang, spielt eine herausragende Saison. Vincenzo Grifo sagt dazu: "Wir bringen eine gewisse Erfahrung mit und dürfen selbstbewusst auftreten. Aber wir spielen in Hamburg. Das ist eine tolle Mannschaft, die auch Qualität hat und oben mitspielt. Zudem haben sie die Fans im Rücken, die unglaublich viel Power haben. Es kann sehr unangenehm werden und wir werden uns dagegenstemmen."
"Sind happy, dass wir uns selbst beweisen dürfen"
Rosenthal sieht im aktuellen Team Unterschiede zu damals, die entscheidend werden könnten. "Freiburg hat im Vergleich zu uns damals mehr Spieler zur Verfügung. Wir hatten eine Stammelf und maximal 14 Spieler zur Verfügung. Christian Streich kann momentan auf 18, 19 Leute zurückgreifen und gerade offensiv mit Petersen, Demirović, Jeong, Grifo, Höler und Schade viel rotieren und es ist dennoch kein großer Qualitätsabfall vorhanden", so der Ex-Offensivspieler des Klubs. Er betont jedoch auch: "Es geht jetzt darum, das, was sie können, auch abrufbar zu machen. Taktisch und spielerisch wird das Team dem HSV überlegen sein."
Zwar hat auch Hamburg Ausnahmespieler wie Sonny Kittel im Kader, doch die individuelle Qualität ist auf der Seite des SCF in der Breite größer. Und auch der offensivere Spielstil von HSV-Trainer Tim Walter könnte dem Streich-Team liegen. "Wir lagen damals nach einer langen Saison sehr früh 1:2 hinten und konnten in der zweiten Halbzeit so keine Schippe mehr drauflegen. Das, glaube ich, ist jetzt anders, weil Streich andere Leute bringen könnte. Ich bin sehr optimistisch", meint Rosenthal. Grifo ergänzt in Bezug auf die gespielte Saison des SCF bisher: "Wir sind dieses Jahr sehr konstant und beweisen unsere Leistung immer wieder. Ich kann mich jetzt nicht daran erinnern, wann wir in dieser Saison eine schlechte Phase hatten. Wir sind sehr happy, dass wir es uns selbst beweisen dürfen."
"Ich wünsche es ihnen von Herzen"
Was das Stadion angeht, ist die Situation ähnlich wie vor neun Jahren. Ins Volksparkstadion gehen 57.000 Zuschauer. Auch die HSV-Fans sind bekannt für ihre Leidenschaft, ähnlich der Cannstatter Kurve. Christian Streich ist inzwischen seit zehn Jahren beim SC Freiburg, wurde mit dem Klub in der Saison 2015/16 Zweitliga-Meister. Immer wieder baut er aus jungen, neuen Spielern eine funktionierende Mannschaft zusammen, führt diese zum Erfolg.
So sagte auch schon Peter Neururer vor ein paar Jahren über Streich: "Würde er mit Bayern Meister werden? Ich glaube: Ja. Würde Pep Guardiola mit Freiburg nach einem Abstieg sofort wieder aufsteigen und Europa packen? Ich glaube: Nein." Streich kann mit dem SC Freiburg den Hamburger SV schlagen und wäre dann in Berlin im Finale. Ein durchaus denkbares Szenario. "Ich würde es jeder einzelnen Person und jedem einzelnen Spieler gönnen, ins Finale einzuziehen. Ich wünsche es ihnen von Herzen", sagt Guédé.
"Ich hoffe umso mehr, dass die Freiburger dieses Mal das Glück auf ihrer Seite haben", sagt Ginter. "Ich wünsche dem Team um Christian Streich viel Erfolg, dass sie es besser machen als wir damals und ins Finale kommen", sagt Oliver Baumann und hat noch einen Rat: "Der SC sollte sich auf sich und seine Stärken konzentrieren, das Drumherum und den Druck durch die K.o.-Situation ausblenden und das Spiel – wenn man das so sagen darf – auch genießen."
- Eigenes Interview mit Jan Rosenthal
- Eigenes Interview mit Vincenzo Grifo
- Eigenes Interview mit Karim Guédé
- Eigener Kontakt zu Oliver Baumann
- Eigener Kontakt zu Matthias Ginter