Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.So geht es nicht weiter Diese Revolution beendet den Trainer-Wahnsinn
Noch nie gab es in der Bundesliga so viel Aufregung um Trainer. Meine Idee, dieser Entwicklung zu begegnen, mag zunächst überraschend klingen.
Bayern, Dortmund, Leipzig, Gladbach, Frankfurt, Leverkusen, Köln, Augsburg, Bielefeld, Schalke, Hertha, Mainz, Bremen – dazu aller Wahrscheinlichkeit nach Wolfsburg. Das ist nicht etwa die Aufzählung aller Bundesligisten. Nein. Das sind vielmehr die Vereine, bei denen zum Start der neuen Saison nicht der gleiche Trainer auf der Bank sitzen wird wie zu Beginn der aktuellen.
Das ist absoluter Wahnsinn
Es handelt sich damit um 14 von 18 Vereinen. Lediglich Freiburg, Hoffenheim, Union und Stuttgart gehen Stand heute mit dem gleichen Trainer in die neue Spielzeit. VIER Vereine also.
Mindestens genauso krass: Thomas Schaaf, der am letzten Spieltag Werder Bremen retten soll, ist bereits der 33. Trainer, der in dieser Saison bei einem Bundesligisten als Cheftrainer die Verantwortung trägt. Das ist nicht nur Rekord in der Geschichte der Bundesliga. Das ist absoluter Wahnsinn. So geht es nicht weiter.
Drei Vereine sind abgestürzt
Selten gab es so viel Alarm um Ausstiegsklauseln, hohe Ablösesummen, Wortbrüche, Bekenntnisse und Spekulationen wie in dieser Saison. Bei Trainern wohlgemerkt. Und entsprechend viele Verlierer gibt es. Vereine, die noch für mehrere Trainer das Gehalt zahlen müssen, obwohl diese längst freigestellt sind. Trainer, die sich erst zu ihrem Verein bekannten und dann doch ihren Abschied ankündigten. Fans, die mit ihrem Trainer große Hoffnungen verbunden haben und dann enttäuscht wurden. Dazu Abfindungen, Vertragsauflösungen und viel Streit.
Die größten Verlierer: Leipzig, Gladbach und Frankfurt. Drei Vereine also, die nach der Abschiedsankündigung ihres Trainers brutal abgestürzt sind.
Das große Glück für RB war das Polster
In Leipzig hat Nagelsmann vor der Verkündung seines Wechsels zum FC Bayern 2,04 Punkte im Schnitt geholt, seitdem nur 0,5. Das große Glück für RB war das Polster von neun Punkten auf einen Platz, der nicht zur Champions-League-Teilnahme berechtigt.
Dazu haben sie das Pokalfinale vergeigt. Und das hatte ganz sicher damit zu tun, dass alle wussten: Wir haben hier nur noch ein Spiel mit Nagelsmann als Trainer.
Ich wiederhole, was ich schon mal geschrieben habe: Es ist ein Unterschied, ob du Spiele und Titel gewinnen willst – oder ob du sie gewinnen musst. Nagelsmann hat in Leipzig gesagt: Ich will Titel holen und ich fand diese Aussage auch wirklich gut und ambitioniert. Aber bei Bayern muss er Titel holen. Da kann er sich keine Endspiele erlauben wie das 1:4 gegen Borussia Dortmund. Und eigentlich hätte er sich das jetzt auch schon nicht erlauben können.
Hätten Bobic und Hütter nicht ihren Abschied verkündet ...
In Frankfurt ist die Stimmung mittlerweile endgültig gekippt, weil man mit Trainer Adi Hütter zunächst 1,8 Punkte pro Spiel geholt hat, nach dessen Abschiedsankündigung nur noch 0,8. Die Folge: Der Sturz auf Platz fünf. Statt Champions League in der kommenden Saison gibt es lange Gesichter. Dabei hatte Eintracht sieben Punkte Vorsprung auf diesen fünften Rang.
Die Qualifikation für die Europa League ist eigentlich schon ein gigantischer Erfolg für Frankfurt. Aber natürlich ist sie das nicht, wenn du sieben Punkte Vorsprung verzockt hast. Erschwerend kam hier hinzu, dass nicht nur Hütter seinen Weggang verkündet hat, sondern mit Fredi Bobic auch der Sportvorstand. Ich behaupte: Hätten sie das nicht getan, hätte Frankfurt die Champions League erreicht. Das ist natürlich bitter.
Die Rose-Jahre kann mir niemand als Erfolg verkaufen
Marco Rose und Borussia Mönchengladbach sind für mich aber die größte Enttäuschung. Natürlich wollten sie wieder die Champions League erreichen – so wie im Jahr zuvor. Nach der Verkündung des Rose-Wechsels zu Borussia Dortmund ist dann allerdings alles schiefgelaufen, was schieflaufen konnte. Der Punkteschnitt beträgt seitdem nur noch 0,86 statt 1,67 Punkte.
Hängt das also zusammen? Natürlich! Die Spieler haben gedacht: Wir bauen hier richtig etwas auf mit einem jungen und talentierten Trainer, der uns nach Dieter Hecking auf die nächste Stufe bringt. Daraus wurde allerdings nichts.
Heute muss ich sagen: Mir kann niemand diese zwei Jahre mit Marco Rose als Erfolg verkaufen. Ich habe aber das Gefühl, dass sie das in Gladbach versuchen. Ob Sportchef Max Eberl oder auch Präsidiumsmitglied Hans Meyer, zuletzt beispielsweise im "Doppelpass" bei Sport 1. Sie erinnern immer wieder an Platz vier in der ersten Rose-Saison – oder an einzelne tolle Spiele. An Siege gegen den FC Bayern oder Auftritte in der Champions League gegen Inter Mailand. An die erste Achtelfinal-Teilnahme überhaupt in der Champions League.
Das sind die Verantwortlichen
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass es mindestens so viele enttäuschende Spiele gab. In der ersten Saison sind Rose und Gladbach kläglich in der Europa-League-Vorrunde gescheitert. Und in der zweiten gab es Niederlagen wie ein 0:6 gegen Bayern, ein 1:3 in Augsburg, ein 1:2 gegen Mainz oder eines gegen Köln. Beide zu Hause. Im Derby, dem wichtigsten Spiel überhaupt. Hinzu kommt in beiden Spielzeiten das Aus im DFB-Pokal gegen Borussia Dortmund.
Der Pokal ist der einzige Wettbewerb, den Gladbach realistischerweise mal gewinnen kann. Umso enttäuschender ist es, wenn man diese Chance vergibt. Insbesondere in dieser Saison, in der der FC Bayern bereits ausgeschieden war als Topfavorit. Genauso bitter: das Verpassen der Champions-League-Quali in dieser Saison, das sie um Jahre zurückwirft. Das alles sind Fakten, die nicht wegzudiskutieren sind. Und die Eberl, Rose und das Trainerteam zu verantworten haben.
Das große Problem bei Leipzig, Frankfurt und Gladbach
In Mönchengladbach ist es offensichtlich Mode, Schönfärberei zu betreiben. Sie versuchen verzweifelt, die Situation und die zwei Jahre unter Rose positiv darzustellen. Für mich ist das nicht nachvollziehbar. Eberl rechtfertigte sich auch, indem er von dem Verein als seinem "Baby" sprach. Aber er vergisst, dass es auch das Baby von Hunderttausenden Fans und Mitgliedern ist – und das ein Leben lang.
Drei Vereine, drei Abstürze.
Das große Problem bei Leipzig, Frankfurt und Gladbach ist einfach die Konstellation. Wenn ein Trainer entlassen wird aufgrund von Misserfolg, dann spüre ich das sowohl als Fan als auch als Spieler vorher. Es deutet sich an, dass etwas passieren könnte. Wenn der Trainer dann vor die Tür gesetzt wird, ist das mitunter bitter. Ich habe das in meiner Karriere auch erlebt. Da gab es Entscheidungen, die taten weh. Aber: Es ist keine völlige Überraschung. Und auch wenn der Vertrag des Trainers zum Ende der Saison endet und noch nicht verlängert ist, kommt eine Trennung nicht aus dem Nichts.
Die Abstürze sind kein Wunder
Eine vollkommen andere Situation ist es, wenn der Trainer noch einen langfristigen Vertrag hat. Wenn ich als Fan oder auch als Spieler etwas mit ihm verbinde, beispielsweise eine Entwicklung oder Hoffnung. Wenn ich als Spieler unter ihm eine bestimmte Rolle spiele – vielleicht sogar eine Führungsrolle.
Wenn dieser Trainer von heute auf morgen verkündet: "Ich gehe. Ich habe woanders einen Vertrag unterschrieben." Dann kommt das nicht nur überraschend, sondern verändert für mich persönlich alles. Ich habe das zum Glück in meiner Karriere nicht erleben müssen. Wenn ich mir vorstelle, dass Jupp Heynckes oder Ottmar Hitzfeld mir während der Saison gesagt hätten, dass sie den Verein wechseln, wäre das für mich ein schwerer Schlag gewesen.
Und dann ist es auch nicht einfach, zur Tagesordnung zurückzukehren und das nächste Spiel zu gewinnen. Es ist für mich also kein Wunder, dass Leipzig, Frankfurt und Gladbach abgestürzt sind.
Zerplatzt wie eine Seifenblase
Noch schlimmer ist es natürlich, wenn jemand wie Adi Hütter auch noch über das Stadion in Gladbach sagt: "Schönes, tolles Stadion – gleich schön wie das Frankfurter Stadion. Die Farben verändern sich, der Verein verändert sich." Diese Aussage verhöhnt die Fans.
Die Erkenntnis: Bei diesen Vereinen haben die langen Vertragslaufzeiten offenbar geschadet, weil sie bei den Spielern und Fans eine Erwartungshaltung erzeugt haben, die dann zerplatzt ist wie eine Seifenblase.
Die Vertragslaufzeit muss begrenzt werden
Es geht in der Bundesliga ganz offensichtlich längst nicht mehr darum, bei einem Verein etwas aufzubauen über Jahre. Es geht nur noch darum, ein Saisonziel zu erreichen: die Qualifikation für die Champions oder Europa League, den Klassenerhalt oder die Relegation. Erreiche ich als Trainer das Ziel, habe ich mich womöglich für eine höhere Aufgabe empfohlen. Verfehle ich das Ziel, werde ich mit hoher Wahrscheinlichkeit gefeuert. Dass ich wie Christian Streich über neun Jahre bei einem Verein bleibe, ist die absolute Ausnahme.
Für mich kann es aus dieser Entwicklung heraus nur eine sinnvolle Schlussfolgerung geben. Die Vertragslaufzeit von Trainern sollte auf ein Jahr begrenzt werden. Dann können Verein und Trainer nach einem halben oder dreiviertel Jahr eine Zwischenbilanz ziehen und sich eventuell auf ein weiteres Jahr verständigen, sofern das beide Seiten wollen. Das wäre natürlich erst mal eine Revolution, in meinen Augen aber eine absolut sinnvolle. Zumal wir in Deutschland nicht die ersten wären, die dem Trainer-Wahnsinn mit neuen Regeln begegnen. In Brasilien erlaubt die Liga künftig nur noch maximal zwei Trainer pro Saison und Verein.
Das beste Beispiel ist Armin Veh
Bei diesem Modell mit Ein-Jahres-Verträgen fallen fast alle oben genannten Probleme weg. Vereine müssen keine Ex-Trainer mehr über Jahre bezahlen, Trainer können nicht mehr weggekauft werden, die Erwartungshaltung bei Fans und Spielern ist realistisch. Das mag zunächst so klingen, dass die großen Vereine profitieren, weil sie für gute Trainer keine Ablöse zahlen müssen. Genauso profitieren aber auch die kleineren Vereine, die wiederum von noch kleineren einen Trainer verpflichten können. Zumal die Vereine sich nicht durch die Verkäufe von Trainern finanzieren, sondern wenn überhaupt durch Spielertransfers.
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Das beste Beispiel ist doch Armin Veh, der ab einem gewissen Zeitpunkt nur noch Ein-Jahres-Verträge geschlossen hat. Er sagt: "Ich weiß doch nicht zu hundert Prozent, worauf ich mich einlasse, wenn ich zu einem Verein wechsle. Ich mag gute Gespräche geführt haben, merke aber womöglich nach vier Monaten: So toll ist das hier gar nicht – und womöglich werden manche Absprachen überhaupt nicht eingehalten."
Er hat damit natürlich vollkommen recht.
Wir müssen uns dran gewöhnen
Auch bei Nagelsmann muss ich sagen: Der Fünf-Jahres-Vertrag für ihn wird als Vertrauensbeweis des FC Bayern deklariert, ist aber aus meiner Sicht auch ein großes Risiko. Wenn das nicht funktioniert, kann eine Trennung nach nur einem Jahr oder noch früher wahrscheinlich teuer werden. Und man darf nicht vergessen, dass Hansi Flick mit sechs Titeln in einer Saison etwas vorgelegt hat, was Nagelsmann nicht erreichen wird. Auch hier hätte ich gesagt: Gebt Nagelsmann doch erst mal einen Ein-Jahres-Vertrag. Wenn es funktioniert, könnt ihr den Vertrag immer noch verlängern.
Mein Fazit: Natürlich träume ich als Verein, als Spieler und auch als Fan davon, mit einem guten Trainer langfristig zusammenzuarbeiten. Aber diese Saison hat gezeigt, dass das schlichtweg nicht mehr möglich ist. Auch wenn das nicht einfach ist, werden wir uns daran gewöhnen müssen. Und dieser Entwicklung zumindest mit einem besseren Erwartungsmanagement begegnen – in Form von Ein-Jahres-Verträgen für Trainer.
- Stefan Effenberg ist Botschafter des FC Bayern München und sagt dazu: „Ich repräsentiere den FC Bayern, insbesondere im Ausland. Mein Engagement hat keinen Einfluss auf meine Kolumnen bei t-online. Hier setze ich mich weiterhin kritisch und unabhängig mit dem Fußball auseinander — auch und insbesondere mit dem FC Bayern.“