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Calmund: "Es liegt auf der Hand, was bei Bayern passieren muss"


Calmund jetzt Kolumnist bei t-online.de
"Es liegt auf der Hand, was bei Bayern passieren muss"

t-online, Florian Wichert

Aktualisiert am 01.05.2017Lesedauer: 6 Min.
Reiner Calmund.Vergrößern des Bildes
Reiner Calmund. (Quelle: Hufnagl/Eibner-Pressefoto/imago-images-bilder)

Als Manager von Bayer Leverkusen hat er die Bundesliga geprägt wie kaum ein anderer. Er brachte die Superstars aus Brasilien in die Bundesliga und schnappte sich die besten Spieler aus der DDR. Mit seinem Transfer-Genie schaffte es Bayer bis ins Champions-League-Finale. Jetzt schreibt Reiner Calmund (68) eine Kolumne für t-online.de.

Im Interview zum Start der Zusammenarbeit spricht "Calli" über Bayern-Probleme, die Abstürze von Leverkusen und dem HSV, Newcomer Julian Nagelsmann und die Chancen von Hoffenheim und Leipzig in der Champions League.

Reiner Calmund: „Fußball ist ein Thema, das Millionen Menschen beschäftigt. Und ich habe das Glück, seit mehr als 40 Jahren mittendrin zu sein in diesem Thema. Das ist viel weniger Arbeit als vielmehr Hobby und Leidenschaft. Ich denke ohnehin viele Stunden am Tag an Fußball – da ist eine Kolumne für eine Nachrichtenseite wie t-online.de fast logisch. Es macht mich schon ein bisschen stolz, für ein dermaßen großes Online-Medium tätig zu sein und hoffe, den Usern ein paar Einblicke zu liefern und Diskussionen anzustoßen. Dass meine Meinung dabei nicht immer mit der der Nutzer übereinstimmt, versteht sich beim Thema Fußball von selbst.“

t-online.de: Herr Calmund, Ihrem früheren Verein droht der Abstieg. Was läuft in Leverkusen falsch?

Aktuell kann es nur heißen: „Rette sich, wer kann.“ So blöd das klingt: Mit diesem Kader könnte Bayer in der kommenden Saison wieder oben angreifen. Die fußballerische Qualität ist da. Aber das alleine reicht bei weitem nicht. Das Team hat sich über die gesamte Saison negativ entwickelt und es war ein Problem, dass man immer relativ nahe an den Europa-League-Plätzen war. So hat man sich Ziele vorgegaukelt, die unrealistisch waren. Bayer muss zunächst mal den Klassenerhalt sichern und dann den richtigen Trainer finden, der für einen Fußball steht, den der Kader hergibt.

Noch schlimmer ist die Lage beim HSV nach dem 0:4 in Augsburg. Hat der HSV den Abstieg verdient, wie viele sagen?

Niemand hat den Abstieg verdient. Aber der HSV kann das Abstiegsgespenst seit Jahren irgendwie nicht richtig abschütteln. Es gibt keine Alternative zum Klassenerhalt. Die finanzielle Schere zwischen Bundesliga und Zweiter Liga geht weiter auseinander, ein Abstieg birgt das Risiko, komplett den Anschluss zum Spitzenfußball zu verlieren. Deshalb ist die These "Der HSV soll sich in der Zweiten Bundesliga regenerieren und neu aufstellen" völlig falsch. Die Hamburger haben nach einer sehr guten Phase jetzt ein böses Formtief, trotzdem ist die Rettung oder zumindest die Relegation bei noch zwei Heimspielen absolut realistisch.

Wie lautet denn Ihre Prognose für den Ausgang des Abstiegskampfes?

Darmstadt verabschiedet sich als Tabellenletzter mit fliegenden Fahnen, Kompliment an Torsten Frings und diese Truppe. Platz 17 und 16 sehe ich völlig offen. Wenn Ingolstadt beispielsweise Leverkusen schlägt, bekommt der Abstiegskrimi eine völlig neue Wendung. Es wird dann ein Nervenspiel für Leverkusen, Augsburg, Mainz, Wolfsburg, Hamburg und Ingolstadt.

Der Abstiegskampf tobt – an der Spitze dagegen hat Bayern den fünften Meistertitel in Folge gewonnen. Wie wird sich das in den nächsten Jahren entwickeln?

Eines ist klar: Leipzig freut sich über Platz zwei. Aber sie sind nicht angetreten, immer zweite Kraft zu bleiben. Sie haben sich eine Basis geschaffen, ein Konzept mit jungen, schnellen und robusten Spielern entwickelt. Ich bin sicher: Der Titel steht auf der Agenda, wenn nicht heute, dann morgen. Dortmund wird weiter eine große Rolle spielen. Die bisher üblichen Verdächtigen aus Leverkusen, Schalke, Wolfsburg und Mönchengladbach müssen nach dieser Saison die Wunden lecken – und die richtigen Schlüsse ziehen.

Welche Schlüsse muss der FC Bayern trotz der Meisterschaft aus dem enttäuschenden Ausscheiden in Champions League und Pokal ziehen?

Es kann nur eine Konsequenz geben: Alle Entscheider müssen sich zusammensetzen und in Ruhe analysieren, was passiert ist und wo der Weg hingehen soll. Der Bayern-Traum, mit dem international erfolgreichsten Klubtrainer Carlo Ancelotti erneut das Triple zu gewinnen, war unter den aktuellen Umständen in dieser Saison einfach nicht zu realisieren. Der deutsche Meister ist gegen den Titelverteidiger Real Madrid ausgeschieden – weil es viele verletzte Leistungsträger und ein paar unglückliche Schiri-Entscheidungen gab. Erst in der Verlängerung und nach großem, aufopferungsvollen Kampf mussten sich die Münchener in der spanischen Hauptstadt geschlagen geben.

Also hatten sie vor allem Pech?

Mit Torhüter Manuel Neuer, dem Innenverteidiger-Duo Mats Hummels und Jerome Boateng sowie Torjäger Robert Lewandowski waren vier absolute Weltklasse-Spieler stark angeschlagen, solch ein Manko ist auf diesem Niveau nicht zu kompensieren. Im Pokal-Halbfinale gegen Dortmund sind die Bayern zu großzügig mit ihren Chancen umgegangen und haben dadurch eine frühe Entscheidung zu ihren Gunsten versäumt. So etwas rächt sich. Hier ist es angebracht auch mal dem BVB Top-Trio mit Reus, Aubameyang oder Dembélé für den großartigen Auftritt zu gratulieren. Diesen Spielverlauf wird man immer wieder haben, wenn die Substanz angegriffen ist oder der Augenblick eben nicht auf deiner Seite ist. So etwas kann man nicht trainieren. Wenn schon Lewandowski Chancen auslässt – welche Konsequenzen soll man da ziehen? Man kann nur hoffen, dass er beim nächsten Mal wieder trifft.

Müssen Rummenigge und Hoeneß etwas „Verrücktes“ machen, wie es Mehmet Scholl nannte?

Ich kann mir nicht vorstellen, dass dies Teil der Analyse sein wird. Es liegt ja auf der Hand, was passieren muss: Ein Backup für Lewandowski muss gefunden werden. Aber da stößt man schon an Grenzen. Wer reiht sich freiwillig hinter dem Polen ein und hat trotzdem die überdurchschnittliche Qualität, sofort zu treffen, wenn Lewandowski mal ausfällt? Etwas „Verrücktes“ würde nicht helfen, auch kein 100-Millionen-Invest hilft automatisch weiter.

Das ist Reiner Calmund
Calmund holte als Manager von Bayer Leverkusen zwischen 1988 und 2004 Stars wie Bernd Schuster, Ulf Kirsten, Michael Ballack, Rudi Völler, Jorginho, Emerson, Zé Roberto oder Lucio in die Bundesliga. Unter Calmund gewann der Verein den Uefa- und DFB-Pokal und schaffte es sogar ins Finale der Champions League. Mittlerweile ist er unter anderem Buchautor, Jurymitglied bei „Grill den Henssler“ und gehört zur neuen Bundesliga-Saison zur Expertenrunde bei Sky. Dazu wird er künftig eine wöchentliche Kolumne für t-online.de schreiben.

Welche Spieler würden weiterhelfen?

Das verrät die Struktur: Lahm und Alonso müssen ersetzt werden. Vielleicht werden Renato Sanches und Joshua Kimmich mehr Spielanteile bekommen. Bei der Euro 2016 in Frankreich hießen die drei besten „Golden Boys“ – also die besten Nachwuchsprofis - Sanches, Coman und Kimmich. Dieses Potenzial muss ausgebaut und genutzt werden. Auf Sicht gilt es, die offensiven Flügel zu beleben, Robben und Ribery werden nicht jünger und die Belastungen nicht geringer. Coman ist ein Kandidat, vielleicht Leverkusens Julian Brandt. Wenn man etwas „Verrücktes“ macht, dann könnte es vielleicht mit Dembélé zu tun haben.

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Was trauen Sie Leipzig und Hoffenheim in der Champions League zu, wenn sie diese erreichen?

Das wird schwer. Das musste jeder Klub erfahren, der neu in die Königsklasse kam. Der Kader wird plötzlich Belastungen unterworfen, die kein Spieler wirklich kennt. Wenn du dann in der Breite nicht sehr gut aufgestellt bist, kann es Rückschläge hageln. Der Rhythmus wird schlagartig erhöht, plötzlich sitzt du auf einem Kettenkarussell, das sich immer schneller dreht und du merkst, dass du nicht angeschnallt bist. Beide Klubs arbeiten ja mit einem wissenschaftlichen Ansatz, der muss völlig verändert werden was Trainingssteuerung und Verletzungsvorsorge betrifft. Das ist eine sehr große Herausforderung.

Wie werden sich die deutschen Klubs in den nächsten Jahren in Europa schlagen?

Europa ist ein schwieriges Terrain. Die Bayern standen seit 2011 jedes Jahr im Halbfinale. Das schaffte außer ihnen nur Real Madrid. Dieses Jahr hat es nicht gereicht, aber das sagt gar nichts angesichts der Gegner und der besonderen Situation von Dortmund im Viertelfinale. Real ist Titelverteidiger, in Monaco hat sich in dieser Saison etwas entwickelt, mit dem man so nicht rechnen konnte. Das ist eine tolle Mannschaft, mal sehen, ob sie zusammen bleibt. Die Bayern werden eine große Nummer in Europa bleiben, gehören zu den Top fünf. Der BVB hat Moral und Talent im Übermaß, sie sind in den Top acht. Die Neulinge aus Leipzig und Hoffenheim werden Lehrgeld zahlen, aber daraus lernen, wenn sie die richtigen Schlüsse ziehen.

Bundestrainer Joachim Löw hat gesagt, dass Julian Nagelsmann das Zeug zum Nationaltrainer hat. Landet Nagelsmann eher beim DFB oder bei Bayern?

Ob er bei den Bayern landet, kann ich nicht vorhersagen. Allerdings wäre es kein Wunder, wenn er sich so weiterentwickelt. Der Junge ist locker, fachlich exzellent, kommt sehr sympathisch rüber, ohne diese Besserwisser-Maske. Ich bin sicher, er wird dem Klubfußball noch Jahre erhalten bleiben, weil er Titel gewinnen will. Der Verband kommt definitiv zu früh.

Was würden Sie Nagelsmann raten für die Karriere-Planung?

Er hat sich deutlich pro Hoffenheim ausgesprochen. Und er wird in der kommenden Saison in der Champions- oder Euro League in vielen Bereichen dazulernen. Was die Gegner angeht, die Belastungssteuerung, die Auswahl der Spieler, die Rotation. Es wird alles nochmal schwerer. Deshalb ist es gut, dass er das im gewohnten Umfeld mit der vollen Rückendeckung der Verantwortlichen seines Vereins macht. In der relativen Ruhe von Sinsheim, wo nicht jeden Tag Dutzende Journalisten beobachten und analysieren, kann sich Nagelsmann effektiv besser entwickeln. Hoffenheim ist eine Top-Adresse für einen jungen Trainer, der erstmals international verantwortlich ist. Klappt das einigermaßen, dann steht ihm die Fußball-Welt offen. Dann dürften München und Dortmund die ersten Adressen sein.

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