Trendwende oder nix Thiago steht beim FC Bayern am Scheidepunkt
"Thiago oder nix": Der legendäre Ausspruch von Pep Guardiola wird Thiago Alcantara verfolgen, so lange er beim FC Bayern ist. Nun geht der spanische Mittelfeldspieler in seine vierte Spielzeit beim Rekordmeister, erstmals ohne Ziehvater Guardiola - seine vielleicht größte Herausforderung.
Seit drei Jahren durchweht eine Ahnung von Thiagos Weltklasse die Allianz Arena. Allein konstant auf den Rasen bringen konnte der 25-Jährige seine Fähigkeiten nur selten.
Bei kaum einem anderen Spieler warten Klub-Verantwortliche, Experten und Fans auf die Erfüllung dessen, was seine Anlagen verheißen. Auch der neue Trainer Carlo Ancelotti dürfte dies herbeisehnen, doch womöglich mit weniger Grundvertrauen als sein Vorgänger.
Starke Schüler-Lehrer-Beziehung
"Ich habe nur nach diesem einzigen Spieler gefragt", hatte Guardiola 2013 nach seinem Amtsantritt an der Säbener Straße erklärt und die Verpflichtung Thiagos so zum Königstransfer erhoben.
Für 25 Millionen Euro wurde ihm der Wunsch erfüllt und es kam der Spieler nach München, dessen Fähigkeiten der katalanische Coach beim FC Barcelona erkannt und gefördert hatte.
Quasi zeitgleich mit dem Bekanntwerden von Guardiolas neuem Projekt bei Manchester City kamen Gerüchte auf, der Schüler würde dem Lehrer folgen. Zumal eine weitere starke Verbindung zu Guardiola besteht: Pere, der Bruder von Pep, ist Berater. Doch Thiago blieb in München - und muss nun unter Ancelotti den nächsten Schritt im Reifeprozess machen.
Verletzungen als Makel
Der neue Trainer äußerte sich noch nicht allzu ausführlich über Thiago. Einzig nach dem Testspiel-Sieg gegen Inter Mailand sprach er von dessen "großer Qualität, die er auch zeigen kann, wenn er nicht bei 100 Prozent" sei. Doch dass er gleichzeitig die Verbesserung der körperlichen Fitness als "das wichtigste für das Spiel" nannte, lässt sich als die eigentliche Botschaft Ancelottis lesen. Denn auch er weiß, dass Thiago in den letzten drei Jahren zu oft der eigene Körper im Weg stand.
Nach dem wegen Fiebers ohnehin verspäteten Start in seine erste Saison zog er sich am 4. Bundesliga-Spieltag 2013/2014 einen Syndesmosebandriss zu und fiel prompt 81 Tage aus. Nach seiner Rückkehr ließ er seine Fähigkeiten aufblitzen - mit einem Traumtor als emotionalem Höhepunkt: der Last-Minute-Siegtreffer per Seitfallzieher beim VfB Stuttgart.
Doch es blieb bei einer Andeutung von Weltklasse. Im März folgte ein Innenbandanriss im Knie, über dessen Behandlung ein Streit zwischen Guardiola und dem Ärzteteam um Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt ausbrach. Die Genesung zog sich endlos hin, es folgte der komplette Riss und ein ganzes verlorenes Jahr.
Auch gesund oft nur Joker
Auch in seiner dritten FCB-Saison blieb Thiago nicht verletzungsfrei. Im Winter 2015 verbannte ihn eine Bänderverletzung aus dem Team. Erst die vergangene Rückrunde wurde zur ersten Halbserie ohne Zwangspause - doch nun kam Formschwäche hinzu und Guardiola ließ ihn trotz wiederhergestellter Fitness oftmals außen vor.
In den Liga-Partien gegen fordernde Gegner wie Borussia Mönchengladbach, VfL Wolfsburg oder Bayer Leverkusen war er nur Einwechselspieler, gegen den FC Schalke 04 und Borussia Dortmund blieb er gar komplett auf der Bank. Auch das so wichtige Halbfinal-Rückspiel der Champions League gegen Atletico Madrid sah Thiago lediglich von der Ersatzbank aus.
Neuer Angriff unter Ancelotti
Nachdem der spanische Nationalspieler auch bei der EM 2016 nur eine Nebenrolle einnahm, dürfte er auf Einsätze unter Ancelotti brennen. "Wir haben einen Trainer, der als Spieler und Coach alles gewonnen hat. Er hat eine großartige Beziehung zu den Spielern aufgebaut, weshalb wir uns auch sehr auf die neuen Aufgaben freuen", schwärmte Thiago jüngst in einem "goal.com"-Interview vom neuen Trainer.
Gleichzeitig präsentiert sich der Kreativspieler angriffslustig. "Wir wissen jetzt, was der Trainer von uns verlangt, sind aber noch nicht bei 100 Prozent. Diese 100 Prozent wollen und müssen wir erreichen." Das gilt für ihn selbst besonders. Im vergangenen September verlängerte er seinen Vertrag vorzeitig bis 2019 und sagte: "Der Klub hat immer zu mir gestanden. Da kannst du nicht nur mit Worten danken, sondern musst es auf dem Platz zurückgeben." In seinem vierten Jahr wird es Zeit für einen Durchbruch - oder um es im Stile Guardiolas zuzuspitzen: Trendwende oder nix!