Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.BVB in der Krise Auch einem Boss droht das Aus
Ein enttäuschender Saisonstart in der Bundesliga, eine Ohrfeige nach der 2:0-Führung in Madrid und nun ein Pokal-Aus in der 2. Runde. Beim BVB ist jegliche Euphorie verflogen. Der Druck wächst.
Wer die Spiele von Borussia Dortmund nur gelegentlich verfolgt, rieb sich am Dienstagabend verwundert die Augen beim Blick auf die Bank des BVB. Denn dort saßen bis auf Ersatztorwart Alexander Meyer und den angeschlagenen Marcel Sabitzer nur Talente, die teilweise gerade einmal 18 Jahre alt sind. Der Rest des Kaders stand entweder in der Startelf oder war verletzt ausgefallen.
Besonders kritisch war die Lage in der Abwehr, wo mit Niklas Süle, Waldemar Anton, Yan Couto und Julian Ryerson gleich vier Verteidiger fehlten. So rückte Pascal Groß auf die Position des Rechtsverteidigers und Emre Can ins Abwehrzentrum. Der eigentlich verletzte Marcel Sabitzer hatte sich am Morgen abgemeldet – der Rücken schmerzte. Weil aber Jamie Gittens nach fast 100 Minuten Spielzeit nicht mehr konnte, musste der Österreicher dann doch noch ran.
Die personelle Krise kommt für den BVB zur Unzeit. Denn die sportliche Lage ist angespannt. Nach acht Bundesligaspielen findet sich Dortmund mit 13 Punkten auf Rang sieben der Tabelle. Dabei stehen die Partien gegen Leipzig, Bayern und Leverkusen noch aus. Nur gegen eine Top-vier-Mannschaft aus der vergangenen Saison hat Dortmund bereits gespielt: Der VfB Stuttgart fertigte den BVB im September mit 5:1 ab.
In der Champions League schenkten die Schwarz-Gelben eine 2:0-Führung in Madrid her. Im DFB-Pokal folgte am gestrigen Dienstag das Aus in der 2. Runde. Coach Nuri Şahin ist angezählt. Ex-Nationalspieler Dietmar Hamann war sich am Wochenende bei Sky sicher, dass einige Spieler gegen den Trainer seien.
Eine große Lücke zwischen Anspruch und Realität
Dabei sah die schwarz-gelbe Welt im Sommer noch völlig anders aus. Der eher pragmatische Ergebnisfußball unter Edin Terzić war Geschichte. Terzićs Assistent Nuri Şahin übernahm den Trainerposten, versprach einen offensiven und dominanten Ansatz. In Dortmund sollte Fußball gespielt werden wie in Leverkusen oder Stuttgart. Im Juni erklärte Şahin: "Wir wollen aktiv sein, wir wollen den Ball haben, wir wollen entscheiden, in welche Richtung das Spiel läuft." Vier Monate später läuft das Spiel eher am BVB vorbei.
Von einem völlig veränderten Fußball ist nur wenig zu sehen. Selbst gegen Kellerkinder wie Bochum und St. Pauli tat sich Dortmund schwer. Auswärts steht nach vier Ligaspielen nur ein Punkt auf dem Konto. Wirklich überzeugend war die Borussia nur selten. Gegen Heidenheim (4:2) zum Beispiel oder in der Champions League gegen Celtic (7:1). Zwischen Anspruch und Realität klafft eine große Lücke.
Drei Problemstellen im Kader
Wer den Grund dafür nur in Nuri Şahin sieht, macht es sich aber zu einfach. Denn auch der Kader offenbart Schwächen. Wurden Geschäftsführer Lars Ricken und Sportdirektor Sebastian Kehl im Sommer noch hochgelobt, ist die Bewertung im Herbst eine andere. Denn gleich drei Positionen machen Dortmund Probleme. Links in der Abwehr fehlt nach dem Abgang von Ian Maatsen ein Hochkaräter. Ramy Bensebaini und der 18 Jahre alte Almugera Kabar sind die einzigen gelernten Linksverteidiger im Kader. Auf Letzteren setzte Şahin bisher kaum, bei seinem Debüt in Augsburg sah er am vergangenen Wochenende die Gelb-Rote Karte. Der talentierte Tom Rothe wurde an Union Berlin verkauft.
Zu Saisonbeginn half Nico Schlotterbeck (eigentlich Innenverteidiger) aus, auch Julian Ryerson (eigentlich Rechtsverteidiger) rückte gelegentlich auf die andere Seite. Nachhaltig gelöst bekommen hat niemand die Problemstelle.
Auch im defensiven Mittelfeld ist der BVB anfällig. Der Spielaufbau durch das Zentrum macht Fans Bauchschmerzen, wird gerne von Gegnern attackiert. Kapitän Emre Can steht stark in der Kritik, doch viele Alternativen an defensiv denkenden Sechsern hat Trainer Şahin nicht. Dabei galt das defensive Mittelfeld schon vergangenes Jahr als Schwachstelle.
Und im Sturmzentrum ist der BVB komplett abhängig von Serhou Guirassy. Denn einen weiteren echten Mittelstürmer gibt es im Kader nicht mehr. Sébastien Haller, Niclas Füllkrug und Youssoufa Moukoko wurden abgegeben, Neuzugang Maximilian Beier fühlt sich auf dem Flügel wohler. Somit muss Şahin auf den Torjäger setzen, der im Sommer aus Stuttgart nach Dortmund kam.
Für den offensiven Flügel gibt es mit Karim Adeyemi, Donyell Malen, Jamie Gittens, Julien Duranville, Giovanni Reyna und eben jenem Maximilian Beier genug Optionen, für das offensive Zentrum aber nicht. Der Trainer kann kaum nachlegen, wenn Guirassy ausgelaugt ist und eine Pause braucht.
Kehl muss aufpassen
All das fällt in den Verantwortungsbereich von Sportdirektor Sebastian Kehl und Geschäftsführer Lars Ricken. Vor allem für Kehl wird die Luft immer dünner. Denn schon im vergangenen Jahr wurde der 44-Jährige für manchen Transfer kritisiert. Vor allem, weil er einen überteuerten Felix Nmecha (30 Millionen Euro) verpflichtete, der die Erwartungen bis dato nicht erfüllen konnte, und Raphaël Guerreiro mit Ramy Bensebaini ersetzte.
Die Entscheidung, sich von Edin Terzić zu trennen und ihn durch Nuri Şahin zu ersetzen, ist zu einem erheblichen Anteil auch seine. Scheitert Şahin, bekommt die Personalie Kehl mindestens einen heftigen Kratzer. Womöglich könnte es sogar auch das Aus für den Sportdirektor bedeuten, der 2022 die Nachfolge von Michael Zorc antrat.
Bei der Nachbesetzung des Postens von Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke wurde er bereits übergangen. Im internen Streit mit Kaderplaner Sven Mislintat behielt er vorerst die Oberhand, ging aber auch nicht unbeschadet aus der Sache heraus.
Und so wird nicht nur für den Trainer die Luft dünner, wenn der BVB am Samstag im Topspiel gegen Rasenballsport Leipzig verliert. Denn dann hätte Dortmund zehn Punkte Rückstand auf Rang eins.
Nach dem gestrigen Pokal-Aus gegen Wolfsburg hatte Kehl noch klargestellt: "Wir werden zusammenstehen. Wir gehen da gemeinsam durch. Druck ist bei Borussia Dortmund immer da." Die Frage ist nur, ob er dann nicht zu groß wird. Vor allem für Şahin, aber vielleicht auch für Kehl.
- Eigene Beobachtungen
- Material der Nachrichtenagenturen SID, dpa