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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Der überraschende Spitzenreiter Was macht sie so stark?
Nach fast einem Drittel der Saison führt Union Berlin die Tabelle der Bundesliga an. Reiner Zufall ist der momentane Tabellenstand gewiss nicht.
Der 2:0-Sieg von Union Berlin gegen Borussia Dortmund am vergangenen Sonntag war sinnbildlich für die bisherige Saison der Köpenicker. Zum Sieg trug ein wenig Glück bei, als BVB-Torwart Gregor Kobel beim ersten Tor über den Ball schlug. Darüber hinaus war Union stark im Pressing, wie im Vorlauf des zweiten Treffers deutlich wurde. Die Berliner konnten zudem mit einem Vorsprung im Rücken das Geschehen sehr gut unter Kontrolle halten und ließen bis zur Schlussphase nur zwei Dortmunder Torschüsse zu.
Diese erneute Spitzenleistung Unions war ein Beweis dafür, wie gefestigt das Spielsystem des Schweizer Trainers Urs Fischer ist. Der 56-Jährige hat es geschafft, ein schwer bezwingbares Team auf die Beine zu stellen. Die Berliner haben bislang sieben von zehn Ligagegnern bei unter 1,0 erwartbaren Toren (expected goals) gehalten und sind ihrerseits vorn effizient, wenngleich Angreifer Sheraldo Becker auch deutliches Abschlussglück hat.
Pressing lenkt das Spiel
Das große Prunkstück von Union ist die Arbeit gegen den Ball. Fischer konzipiert das Pressing oftmals so, dass die Berliner von innen anlaufen und den Spielaufbau der Gegner auf die Flügel treiben. Dort sollen einzelne Spieler in der Nähe der Seitenlinie isoliert werden. Gegen den BVB klappte das hervorragend vor dem zweiten Tor durch Janik Haberer. Karim Adeyemi ging bis an die Mittellinie zurück und wurde von Verteidiger Timo Baumgartl eng verfolgt. Unter Druck versuchte es Adeyemi mit einem blinden Pass nach innen, wo allerdings Union-Mittelfeldspieler András Schäfer bereits lauerte und anschließend den schnellen Gegenangriff einleitete.
Union ist nicht ausschließlich auf schnelle Balleroberungen aus, sondern versucht in manchen Partien auch, zunächst den jeweiligen Gegner auszubremsen und das Spiel zu verlangsamen. Als Bayern München an der Alten Försterei gastierte, wurde selbst der deutsche Rekordmeister häufig zur Seitenlinie geleitet. Von dort aus gingen Bayerns Flügelangreifer in isolierte Eins-gegen-Eins-Duelle. Vom ansonsten häufig so flüssigen Kombinationsspiel der Münchener war gegen Union wenig zu sehen. Dieses Defensivkonzept führt dazu, dass Union im Schnitt dem Gegner wenige oder nur wenig erfolgversprechende Torschüsse erlaubt. Unter anderem deshalb haben die beiden Torhüter Frederik Rönnow und Lennart Grill mit 86,1 Prozent die mit Abstand höchste Quote an abgewehrten Schüssen.
Klarer Personalplan von Fischer
Ein zweiter Erfolgsfaktor der Berliner ist das Personalmanagement. Nicht nur kann die sportliche Leitung immer wieder Abgänge kompensieren, der Cheftrainer hat zudem eine Formation mit klar definierten Spielerrollen. Die 3-5-2-Grundformation wird eigentlich nie geändert und jede Stammkraft hat einen Back-up, der ein ähnliches spielerisches Profil mitbringt. Janik Haberer und András Schäfer sind häufig die beiden Mittelfeldakteure vor Rani Khedira. Ihre Ersatzleute sind momentan Genki Haraguchi (oder Miloš Pantović) und Morten Thorsby. Für den agilen und schnellen Angreifer Sheraldo Becker steht Jamie Leweling als Ersatz bereit. Der physische Mittelstürmer Jordan wird in der Regel während einer Partie vom ähnlich körperlichen Kevin Behrens ersetzt.
Es gab zuletzt in der englischen Premier League Analysen, die Folgendes aufzeigten: Teams, die insgesamt wenig unterschiedliche Spieler in der Startelf einsetzen, erreichen im Durchschnitt mehr Punkte. Natürlich ist die Kausalitätskette hierbei nicht eindeutig, denn erfolgreiche Klubs ändern für gewöhnlich auch weniger am Personal. Aber ein Blick auf Borussia Dortmund wiederum zeigt, dass sich recht erratisches Umstellen von Formation und Personal negativ auswirken kann. Der BVB stellte für das Auswärtsspiel gegen Union auf ein 3-5-2 um und kam mit den Staffelungen in der ersten Halbzeit überhaupt nicht zurecht. Selbst die Bayern tüfteln momentan immer wieder an taktischen Details und testen Personal aus – ob aufgrund von Verletzungen oder aus Leistungsgründen.
Rückstände und passive Gegner bereiten Probleme
Union-Trainer Fischer hingegen hat klare Ordnung in seinem Personalplan und Vertrauen in sein grundlegendes taktisches System inklusive der 3-5-2-Formation. Abseits der keineswegs herausragenden Kaderqualität ist Union vielleicht auch deshalb ein ungewöhnlicher Tabellenführer, weil so viel auf der Defensive aufbaut. Rückstände sind Gift für die Berliner, wie die einzige Niederlage gegen Eintracht Frankfurt (0:2) kürzlich unter Beweis stellte.
Darüber hinaus ist Union vor allem stark, wenn der Gegner selbst das Spiel macht und Fischers Spieler mit Ballgewinnen nach vorn kommen. So gesehen wird die Partie am Sonntag auswärts gegen den Tabellenletzten VfL Bochum ein interessanter Test. Denn die Bochumer spielen unter Neu-Trainer Thomas Letsch konstruktiveren Fußball als zu Saisonbeginn, werden aber sicherlich nicht ständig das Spiel machen wollen. Union muss insofern kreative Lösungen finden – was in dieser Saison bislang beeindruckend oft gelang.
- Eigene Recherche