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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Schalke-Trainer Grammozis "Ich kann es nicht jedem recht machen"
Nach dem Abstieg in die 2. Liga soll Dimitrios Grammozis den angeschlagenen FC Schalke 04 zurück in die Bundesliga führen. Der Druck ist groß, merkt der Trainer auch im t-online-Interview an.
Es war eine enorme Erleichterung, die sich in der Hannoveraner HDI-Arena Bahn brach. Über 8.000 mitgereiste Schalke-Fans auf den Rängen fielen sich kollektiv um den Hals, eine einzige Bierfontäne ergoss sich über die Südkurve des WM-Stadions von 2006. In der 90.+5 Minute traf Marcin Kaminski zum alles für den S04 entscheidenden 1:0 gegen Hannover 96. Es war der dritte Sieg ohne Gegentor in Folge für den Ruhrpottklub.
Der Jubel ergriff jedoch nicht nur die Tribünen, sondern auch die Schalker Bank an der Seitenlinie. Mike Büskens und Gerald Asamoah sprinteten gemeinsam mit den Ergänzungsspielern zum Jubelknäuel. Nur einer wahrte eine gewisse kritische Distanz: Cheftrainer Dimitrios Grammozis.
Der frühere Bundesligaprofi übernahm den taumelnden Riesen Schalke im März 2021, konnte den Abstieg in die 2. Liga jedoch nicht mehr verhindern. Nun heißt die Aufgabe des 43-Jährigen, den direkten Wiederaufstieg zu packen. Grammozis' Haltung in Hannover war klar: Es ist noch nichts erreicht. Genau das betont er auch im t-online-Interview, in dem er unter anderem über die hohen Erwartungshaltungen auf Schalke und kommunikative Fehltritte spricht.
t-online: Herr Grammozis, Sie haben Schalke im März 2021 in einer misslichen Lage übernommen. Elf Spieltage vor Schluss stand der Bundesliga-Abstieg zwar noch nicht fest, aber war quasi unausweichlich. Warum haben Sie sich dennoch entschieden, schon zu diesem Zeitpunkt als Cheftrainer einzusteigen? Damals unkten viele Beobachter, Sie würden dadurch nur als "Lame Duck" in die 2. Liga starten.
Dimitrios Grammozis: Mir war von Anfang an klar, worauf ich mich einlasse. In den Gesprächen mit Peter Knäbel (Sportvorstand auf Schalke, Anm. d. Red.) wurde offen angesprochen, dass es für Schalke in der Saison 2021/2022 mit großer Wahrscheinlichkeit in der 2. Liga weitergeht. Wir waren aber davon überzeugt, dass, wenn ich bereits im März einsteige, ich wichtige Vorlaufzeit habe, um mir ein Bild des gesamten Vereins zu machen. So konnte ich auch gezielter auf Spieler schauen, die für uns in der folgenden Saison wichtig werden können. Diese Phase wäre, wenn ich im Sommer eingestiegen wäre, wesentlich kürzer ausgefallen.
In welchen positiven Aspekten schlägt sich diese Vorlaufzeit Ihrer Meinung nach nieder?
Ein wichtiger Punkt ist, dass wir wieder eine grundsätzliche Positivität in den Verein zurückgebracht haben. Das ist alles andere als selbstverständlich nach der vergangenen Saison. Wir haben ein Arbeitsklima geschaffen, das unter anderem für einen Aufbruch steht.
Schalke ist mit sechs Siegen aus zehn Spielen in die Zweitligasaison gestartet. Wie viele Dreier fehlen noch zum Aufstieg?
(lacht) So weit sind wir noch lange nicht. Nach dem intensiven Transfersommer ging es zunächst einmal darum, dass sich die Mannschaft findet. Das ist uns in den vergangenen Wochen immer besser gelungen. Wir wissen aber auch, dass es noch ein langer Weg ist, den wir gehen müssen. Wir müssen jede Partie differenziert betrachten, denn die 2. Liga ist sehr vielfältig. Es klingt sehr abgedroschen, doch wir haben bereits selbst die Erfahrung gemacht: Jeder kann jeden schlagen.
Der US-Statistik-Experte Nat Silver sagt 58 Punkte und den direkten Aufstieg voraus, die aktuelle Prognose nach neun Spieltagen (1,9 Punkte/Spiel) liegt bei 65 Punkten – das hätte im vergangenen Jahr für den direkten Aufstieg gereicht…
Ich glaube nicht, dass jetzt schon jemand zuverlässig prognostizieren kann, was im Mai kommenden Jahres sein wird – schon gar nicht in dieser ausgeglichenen Liga. Fußball ist Tagesgeschäft, deshalb beschäftige ich mich nicht mit dem Blick in eine solch weit entfernte Zukunft. Unsere Aufgabe ist es, sich auf den jeweils kommenden Gegner mit 100 Prozent unserer Aufmerksamkeit und Konzentration einzustellen – da bleibt keine Zeit für weitläufige Vorhersagen.
Schalke ist in einer ganz anderen Situation als vergangene Saison in der Bundesliga. In der 2. Liga ist der S04 die Mannschaft, die im Zweifelsfall individuell stärker besetzt ist, von der erwartet wird, dass sie das Spiel macht. Warum hat das Team auch nach zehn Spieltagen genau damit noch Probleme?
Es gibt das Wunschdenken, dass wir in allen Spielphasen alles perfekt können müssten: gut verteidigen und keine Gegentore kassieren, bei Ballgewinn schnell umschalten und Kontertore erzielen, im eigenen Spielaufbau super Spielzüge hinlegen und dabei aber nicht in einen Konter geraten. Das alles gleichzeitig zu trainieren, ist nicht möglich.
Wir befinden uns nach dem riesigen Umbruch im Sommer in einem Entwicklungsprozess. Natürlich ist noch lange nicht alles perfekt, es gibt noch eine Menge zu tun. Aber ich erkenne mit jeder Woche, dass wir viele Dinge bereits gut und besser machen. Unser Erfolg in Hannover, der fünfte Sieg in den vergangenen sechs Spielen, war ein weiterer wichtiger Schritt.
Wir haben in den vergangenen Wochen etwa zu einer guten defensiven Stabilität gefunden. Damit einher geht auch mehr Geduld: zu wissen, dass es ausreicht, das Tor mitunter erst in der zweiten Halbzeit zu erzielen, weil die eigene Abwehr der Offensive den Rücken freihält.
Können Sie Fans verstehen, die dennoch mehr spielerische Dominanz vom S04 in der 2. Liga fordern?
Schaut man sich unseren Kader an, sieht man, dass wir nicht 20 Spieler mit großer Erst- oder Zweitligaerfahrung haben. Wir haben erfahrene Spieler, die ihre Klasse schon nachgewiesen haben, dahinter einige junge Spieler, die noch viel Entwicklungspotenzial haben. Das ist der klar formulierte Weg, den wir als Klub gehen wollen: Jungs im Kader zu haben, denen wir zutrauen, den Erfahrenen Paroli zu bieten und vielleicht sogar den einen oder anderen im Laufe der Saison aus der Startelf zu verdrängen.
Dass es immer wieder Diskussionen und auch Kritik gibt, ist für mich nicht überraschend. Schalke ist ein Verein, über den immer geredet wird. Und über den sehr emotional diskutiert wird. Aber das ist doch auch das Geile an diesem großen Klub: dass er den Menschen nicht egal ist, dass er polarisiert. Dennoch bin ich darauf bedacht, dass solche Diskussionen nicht auf mich und meine Arbeit einwirken. Und wir spüren die Unterstützung unserer Fans auf dem gemeinsamen Weg.
Diese Aussage könnte man Ihnen auch als Kritikresistenz auslegen. Hinterfragen Sie Ihre Arbeit etwa nie, wenn Fans Sie auf etwas hinweisen oder Schwächen kommentieren?
Ich versuche immer, meine Mannschaft und mich als Trainer zu verbessern. Und natürlich ist mir wichtig, was unsere Fans denken. Nur muss ich mir bewusst sein, dass ich es am Ende nicht jedem recht machen kann. Ich muss entscheiden, von wem ich welche Kritik annehmen möchte, weil ich sie als konstruktiv empfinde, und von wem nicht, weil es vielleicht von Emotionen gesteuerte Aussagen sind.
Von Kiels Ex-Trainer Ole Werner ist überliefert, dass er bei sich Schwächen in der defensiven Ausrichtung ausgemacht hat und daraufhin in die monatelange Videoanalyse von Trainern wie José Mourinho und Diego Simeone gegangen ist. Haben Sie in der Vergangenheit ähnliche Weiterbildungsmaßnahmen getroffen?
Wer in der Berufswelt stehen bleibt und aufhört, sich umzuschauen, welche Entwicklungen es gibt, stagniert. Ich bin immer gewillt, mich mit Innovationen auseinanderzusetzen, allein schon, da sich der Fußball konstant weiterentwickelt. Mir ist es als Trainer wichtig, meine eigene Handschrift zu haben.
Das bedeutet jedoch nicht, dass ich mir bei Kollegen nicht auch mal etwas abgucke, wenn ich überzeugt bin, dass es mich und mein Team weiterbringt. Es wäre ja Quatsch zu sagen: „Nee, das mach‘ ich jetzt nicht so, weil ich das so bei einem anderen Trainer gesehen habe.“ Wenn ich es mit Nutzen in meine Spielphilosophie einweben kann, dann mache ich das. Ich bin grundsätzlich sehr lernbegierig, gucke Fußballspiele schon längst nicht mehr mit Chips auf der Couch, sondern suche nach Neuerungen und Details im Fußball, die ich mir aneignen kann.
Da Sie das Fußballgucken mit Chips auf der Couch ansprechen: Können Sie Partien überhaupt noch aus reinem Vergnügen schauen – oder verlernt man als Trainer das Fan-Dasein?
Das Fan-Dasein habe ich nicht verloren, dafür liebe ich den Fußball zu sehr. Was mir stattdessen aufgefallen ist: dass ich Partien als Trainer ganz anders betrachte, als ich es noch als Spieler gemacht habe. Als aktiver Fußballer habe ich nur darauf geachtet, wer den besten Hackentrick und den tollsten Übersteiger macht. Jetzt erkenne ich aber auch die Zusammenhänge, die Spielern solche Kabinettstückchen erst ermöglichen.
Diese Entwicklung ist aber ja auch ganz normal, wenn man sich so viel mit der Materie Fußball auseinandersetzt, so viele Videos sichtet und analysiert, wie ich es als Trainer mache. Mir ist wichtig, dass ich mir eine gute Mischung aus der lockeren, unterhaltenden Fanbetrachtung und der analytischen Herangehensweise bewahre.
Mourinho und Simeone stehen für Defensivfußball, Klopp und Guardiola etwa für Offensivspektakel. Wofür steht der Trainer Grammozis?
Für aktiven Fußball. In den vergangenen Partien hat man gut erkennen können, dass wir eine Mannschaft sind, die den Ball schnell erobern will, die nicht abwarten will, was für ein Spiel der Gegner uns aufdrückt. Wir wollen den Ball und die Spielkontrolle haben und so unsere Torchancen kreieren.
Nach der 1:4-Niederlage gegen Regensburg sprachen Sie von Ihrem Team als "zusammengewürfelte Mannschaft", kurz darauf erklärten Sie in einem Interview, dem Kader fehle es an Tiefe. Beide Aussagen wurden von Ihrem Vorgesetzten, Sportdirektor Rouven Schröder, einkassiert. Weshalb hapert es in der öffentlichen Kommunikation der sportlichen Leitung so?
Als ich "zusammengewürfelt" gesagt habe, habe ich damit nicht gemeint, dass wir einfach irgendwelche Spieler ins Team geholt hätten, sondern dass wir eine komplett neu formierte Mannschaft sind. Es mag sein, dass ich das nicht exakt so herübergebracht habe, wie ich mir das gewünscht hätte. Andererseits ist es auch wieder ein gutes Beispiel für eine Aussage, die aus dem Kontext gerissen dargestellt wird.
Inwiefern haben Sie unterschätzt, wie schnell auf Schalke jedes einzelne Wort des Cheftrainers auf die Goldwaage gelegt wird?
Wenn man für solch große Vereine spielen oder als Trainer arbeiten darf, gehört das dazu. Und trotzdem kommt es mal vor, dass etwas missverstanden wird.
Einige Medienvertreter und Fans kritisieren, Sie würden zu häufig ausweichend und mit Phrasen antworten, etwa wenn es um vermeintliche Schwächen beziehungsweise um Verbesserungspotenzial im Team geht. Inwiefern ist diese Art der Kommunikation auch als Selbstschutz gedacht?
Ich versuche, eine sehr offene und ehrliche Kommunikation mit den Medien zu pflegen. Aber das bedeutet nicht, dass ich meine Spieler öffentlich in den Senkel stellen muss. Das habe ich als Spieler auch nicht gut gefunden. Für mich ist die interne Kommunikation mit der Mannschaft das alles Entscheidende – und wie wir dort kommunizieren, werde ich nicht nach außen tragen.
Was ich sagen kann, ist, dass wir intern sicher nicht auf Kuschelkurs gehen, nur weil wir mal zwei Spiele in Folge gewonnen oder eine völlig dominante Partie gezeigt haben. Wir werden Dinge weiter deutlich ansprechen – sowohl die negativen als auch die positiven.
Bei öffentlichen Auftritten sieht man Sie eigentlich immer lächelnd. Wie wichtig ist es Ihnen, sich dieses offene Auftreten im Fußballgeschäft beizubehalten?
Respekt ist das Allerwichtigste. Im Umgang mit den Mitmenschen im privaten Alltag, aber auch im Miteinander im Verein. Ich erwarte von mir selbst, dass ich immer respektvoll mit meinen Spielern umgehe, genauso erwarte ich aber auch, dass sie jederzeit meinem Trainerteam und mir mit Respekt begegnen. Das bedeutet aber nicht, dass wir intensive Gespräche – die auch mal etwas emotionaler geführt werden – scheuen. Wir sind alle hier, um den FC Schalke 04 so schnell wie möglich in die Erfolgsspur zurückzuführen. Dazu stellen wir alle unser Ego hinten an.
Nach einer starken Rückrunde 2020 landeten Sie mit Darmstadt am Saisonende 2019/2020 auf dem fünften Tabellenplatz, drei Zähler hinter dem Relegationsplatz drei. Eine Weiterbeschäftigung zerschlug sich, weil Sie den angebotenen Einjahresvertrag ablehnten, sich eine längere Laufzeit wünschten. Auf Schalke unterschrieben Sie im März 2021 ein Arbeitspapier, das ebenfalls nur etwas länger als ein Jahr Gültigkeit hat. Weshalb der Sinneswandel?
Zu vertraglichen Details äußere ich mich generell nicht.
Auch nicht zur Vertragsdauer?
Nein. Das sind Sachen, die wir intern besprechen. Was ich aber sagen kann: Mir geht es hier auf Schalke nicht um mich. Mir geht es um den Verein. Dieser Verein bedeutet mir viel. Ich komme aus der Region und war schon als Kind im Parkstadion. Das hier ist nicht nur irgendein Job für mich.
Sprechen wir zum Abschluss noch einmal die Fans an: Nach Hannover haben sich mehrere Tausend von ihnen über die A2 auf den Weg gemacht und die Südkurve der HDI-Arena blau gefärbt. Beim kommenden Heimspiel gegen Dynamo Dresden sind über 56.600 Zuschauer zugelassen – die dann größte Zuschauerkapazität der 2. Liga. Spüren Sie, dass dieses Erstliga-Feeling dem Team den Extrapush Motivation gibt?
Wenn man sich den verdienten Applaus unserer Anhänger nach einem Sieg abholt, ist das mehr wert als ein womöglich höher dotierter Vertrag andernorts. Die Stimmung auf Schalke ist einzigartig. Deshalb bin ich auch weiterhin davon überzeugt, dass Schalke mit Fans in den Stadien vergangene Saison nicht abgestiegen wäre. Diese wuchtige Kraft, die sie uns geben, kann den Gegner auch erdrücken. Das müssen wir in jeder Partie – egal ob daheim oder auswärts – maximal für uns nutzen.