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HSV-Trainer Daniel Thioune im Interview: "Der Hoodie ist meine Wohlfühloase"


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HSV-Trainer Daniel Thioune
"Die Enttäuschungen der vergangenen Jahre nehme ich als Antrieb"

  • Noah Platschko
InterviewVon Noah Platschko

03.04.2021Lesedauer: 8 Min.
Daniel Thioune: Der HSV-Trainer ist seit Sommer 2020 im Dienst.Vergrößern des Bildes
Daniel Thioune: Der HSV-Trainer ist seit Sommer 2020 im Dienst. (Quelle: imago-images-bilder)

Nach drei Jahren in der 2. Bundesliga will der HSV endlich die Rückkehr ins Oberhaus feiern. Trainer Thioune ist optimistisch, dass das gelingt – und fiebert gleichzeitig der Rückkehr der Fans entgegen.

Daniel Thioune ist gut gelaunt an diesem Donnerstag in der Länderspielpause. Zwar gab es zum Frühstück aufgrund etlicher Termine nur eine Pflaume, wie er erzählt. Doch davon lässt er sich die gute Laune nicht verderben.

Er rede gerne über den HSV und "das, was wir erreichen wollen". Thioune wirkt entspannt. Dabei haben die vergangenen beiden Jahre gezeigt, dass jetzt die entscheidende Phase beginnt. Die Phase, in der der HSV zuletzt immer den Aufstieg verspielte. Ein Interview über Ängste, Träume und Jogginghosen in der Champions League.

t-online: Herr Thioune, Ralf Becker (ehemaliger Sportvorstand des HSV, Anm. d. Red.) sagte vergangenes Jahr zu uns: "Beim HSV schwingt immer die Angst vor dem nächsten Tiefschlag mit." Was denken Sie, wollte er mit dieser Aussage ausdrücken?

Daniel Thioune (46): Ich kann diese Denkweise bei dem einen oder anderen Protagonisten nachvollziehen, teile sie aber nicht. Klar ist, die Erwartungshaltung im Klub ist über die vergangenen Jahre gewachsen. Als Außenstehender hatte auch ich vor zwei Jahren das Gefühl, dass der HSV im Aufstiegsfinale etwas zu verlieren hatte – was im Endeffekt auch so war. In diesem Jahr haben wir uns aber von diesem Druck gelöst.

Viele Fans haben sich einen Selbstschutz vor der eingeplanten Enttäuschung zugelegt – aus der Liebe zum Klub. Können Sie diese Mentalität aufgrund der Rückschläge der vergangenen Jahre nachvollziehen?

Ja, absolut. Wir dürfen nicht den Fehler machen, die Ängste mancher Fans von der Hand zu weisen, dafür hat sich Geschichte zu oft und zu detailliert wiederholt. Es ergibt aber wenig Sinn, über Dinge zu reden, auf die man keinen Einfluss nehmen kann. Mit viel Reden werde ich diese "Angst vor der Enttäuschung" nicht widerlegen können. Mit guter Arbeit auf dem Platz ist es leichter, solche Ängste ins Gegenteil zu verkehren.

Sie wirken optimistisch, fast so, als zweifelten Sie nicht am Erfolg. Haben Sie keine Angst vor dem Scheitern?

Nur weil ich bestimmte Ängste nicht teile, heißt das nicht, dass ich nur der Optimist bin. Vielmehr bin ich Realist. Es ist doch immer eine Frage des Betrachtungswinkels: Die Enttäuschungen der vergangenen Jahre nehme ich als Antrieb. Etliche Menschen halten zum HSV und wünschen sich bessere Zeiten. Mein Anspruch ist es, die Situation jeden Tag besser zu machen. Achtung Floskel: Bei mir ist das Glas halb voll statt halb leer.

Nicht nur die 2. Liga ist Alltag für den HSV, auch die Corona-Pandemie begleitet den Klub nun seit gut einem Jahr. Wie sehr wurmt Sie die gegenwärtige Situation?

In erster Linie steht die Gesundheit über allem. Wir sind sehr privilegiert und dankbar, unseren Beruf ausüben zu dürfen. Aber auch wir müssen in gewissen Dingen zurückstecken. Gerade was soziale Kontakte betrifft, sind wir noch reduzierter unterwegs als vielleicht andere.

Was meinen Sie damit konkret?

Ich darf nicht einfach in den Bus oder Zug steigen, um irgendwohin zu fahren. Das Hygienekonzept der DFL sieht vor, dass wir uns da eingrenzen. Diese privilegierte Position, die wir haben, reduziert sich ausschließlich auf den Fußball. Ich jammere nicht, sondern sage das mit dem Wissen und der Dankbarkeit, dass wir privilegiert sind.

Wie sehr beschäftigt Ihre Spieler dieses Thema? Mit Simon Terodde fiel einer Ihrer Profis vor der Länderspielpause coronabedingt aus.

Es ist schwierig. Uns geht es wie allen anderen Menschen. Es ist alles auf Sicht. Ich weiß nicht, wo es endet, ich weiß nicht, wo es hinführt. Was gestern gültig war, kann morgen schon wieder alt sein. Die Herausforderungen sind horrend, jeder hat sein Päckchen zu tragen und bespricht sich im engsten Kreis. Es ist nicht so, dass ein Spieler zu mir ins Büro kommt und sagt: "Ich weiß mit der Situation nicht umzugehen." Wir haben mit Martin Daxl einen Reflexionscoach, der im mentalen Bereich einen direkten Zugang zu den Spielern hat und auch über solche Dinge mit ihnen spricht.

Apropos mentaler Bereich: Die Psyche wird im Saisonfinale von großer Bedeutung sein. In den vergangenen beiden Jahren verspielte der HSV auf den letzten Metern den Aufstieg – trotz herausragender Ausgangslage.

Ja, aber der HSV wird auch nicht aufsteigen, wenn wir die negativen Erlebnisse der vergangenen beiden Jahre herauskramen. Wir müssen einen Raum für uns schaffen, der viele positive Erinnerungen in sich birgt – auch unabhängig vom Fußball.

Wie soll dieser Raum aussehen?

Wenn Sie mit Ihren Freunden zusammen sind, dann erinnern Sie sich doch auch hauptsächlich an die schönen Dinge und weniger an die schlechten. Ich will, dass uns etwas verbindet. Wir wollen zusammen etwas erreichen und den Leuten in Hamburg dabei ein richtig gutes Gefühl geben. Und wenn wir uns eines Tages wiedersehen, in drei, fünf oder zehn Jahren, dann wollen wir uns an Erfolge erinnern. Wir schreiben unsere eigene Geschichte – im besten Fall eine maximal positive.

Die Erwartungshaltung wird von Spieltag zu Spieltag nicht geringer werden.

Und sie wird auch jeden Tag an uns herangetragen. Es ist auch nicht immer einfach, sich davon zu distanzieren. Ich sage immer: "Don't fly too high on a win and don't get too low on a lost Match." Wir versuchen, immer bei uns zu bleiben, feiern nicht überschwänglich unsere Siege, aber halten auch nicht die Wange hin, wenn wir eine abbekommen.

Die bisherige Saison war ein Auf und Ab, auf Siegesserien folgten Durststrecken. Kann der HSV nur die Extreme?

Die äußere Wahrnehmung zwischen ganz oben und ganz unten wechselt beim Hamburger SV sicherlich schneller als anderswo. Aber jeder Spieler, der ins Auto steigt und über die Autobahn Richtung Hamburg fährt, weiß, worauf er sich einlässt. Jeder weiß aber auch, dass er eine Menge dafür getan hat, dass er überhaupt auf die Autobahn durfte. Daran erinnere ich die Jungs gerne. Druck ist auch ein Privileg, das wir uns alle verdient haben.

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Wie zufrieden sind Sie mit der bisherigen Saison? Aktuell steht der HSV auf Platz zwei, zwei Zähler hinter Tabellenführer Bochum.

Der Start war von den Ergebnissen her hervorragend. Aber die Art und Weise, wie diese Siege zustande gekommen sind, wurde öffentlich kaum hinterfragt. Intern haben wir gesehen: Diese Spiele waren ein bisschen holprig – was in der Folge dann auch zu holprigen Ergebnissen geführt hat.

Aber unser Spiel der vergangenen Wochen und Monate gibt uns recht, dass wir auf Kurs sind. Alle anderen, die sich aktuell in den Top 4 bewegen, dürfen sich schon ein bisschen länger entwickeln, dort steht der Übungsleiter schon länger an der Linie. Für uns ist die nächste Ebene, dass wir in der Tabelle nach ganz oben klettern wollen.

"Der Spirit ist ein anderer, die Mischung ist besser", sagte HSV-Sportdirektor Michael Mutzel jüngst den Kollegen vom "Kicker". Generell wird der Mannschaft ein großer Mannschaftsgeist attestiert.

Spirit lässt sich ja nicht messen. Mannschaften, die aufsteigen, werden immer darauf verweisen, wie überragend doch der Teamgeist war. Die, die nicht aufsteigen, hatten dann keinen Teamgeist – das ist mir zu einfach.

Wir sind in einer Phase, in der auch das Verteidigen Spaß macht. Wir mussten und müssen uns der Liga in manchen Punkten anpassen. Sprich: Intensität erhöhen nach Ballverlusten, schnell in die Ball-Rückgewinnung kommen. Wenn man sagt, man braucht eine gewisse Ball-Lauf-Mentalität, dann hört sich das immer gut an. Aber das wollen ja alle. Ich versuche, durch konkretes Training bestimmte Inhalte zu forcieren. Manchmal muss man Fußball pragmatisch sehen.

Sie waren selbst Fußballprofi, spielten unter Ex-HSV-Coach Dieter Hecking in Lübeck. Jürgen Klopp wollte Sie zwei Mal als Spieler verpflichten. Welcher Trainer hat Sie am stärksten geprägt?

Ich würde mich da auf keinen festlegen wollen, sondern würde behaupten, dass ich jemand bin, der schnell und gut adaptieren kann. Und da lerne ich aus meinem unmittelbaren Umfeld. In meinem Leben habe ich nie etwas geschenkt bekommen, ob es das Dasein als Profi, meine schulische und akademische Ausbildung oder der Weg zum Fußballtrainer war.

Ich sehe mich privilegiert, einen der größten Traditionsklubs Deutschlands zu trainieren. Dazu muss man fleißig sein und das bin ich. Wichtig ist das Zuhören. Wenn immer nur ich rede, bin ich am Reproduzieren. Wenn ich gut zuhöre, erfahre ich etwas Neues. Vielleicht ist das die Gabe, die der liebe Gott mir geschenkt hat.

2016 haben Sie die Fußballlehrer-Lizenz erworben, absolvierten den Lehrgang zusammen mit Trainern wie Julian Nagelsmann, Pellegrino Matarazzo oder Domenico Tedesco. Gibt es einen, über den Sie damals schon dachten: der wird sicher in der Bundesliga landen?

Bei dem einen oder anderen war schon früh zu erkennen, dass er richtig durchstartet. Julians (Nagelsmann, Anm. d. Red.) Talent war früh zu erkennen, dass er die Begabung besitzt, sich einen Namen und gleichzeitig Mannschaften besser zu machen. Oder auch Domenico Tedesco, der sich auch schon seine Meriten verdienen durfte und in der Champions League an der Seitenlinie stand. Dass einige von den Jungs jetzt in der 2. oder 1. Bundesliga trainieren, zeigt, dass wir in dem Lehrgang vielleicht nicht ganz so viel verkehrt gemacht haben.

Stichwort Bundesliga. Das ist auch ihr Ziel mit dem HSV. Nach was lechzen Sie mehr: Bundesliga mit dem HSV oder Fußball im vollen Volksparkstadion?

Die Kombination wäre schon charmant. Wichtig ist, sich keine Grenzen nach oben zu setzen. Ich will maximal sein. Wir haben noch acht Spiele zu gehen. Und bald stehe ich hoffentlich an der Seitenlinie und die Fans bringen das Stadion zum Kochen. Da habe ich unheimlich viel Bock drauf. Volkspark, Samstag, 15.30 Uhr, 57.000 Zuschauer – könnte schlimmer sein (schmunzelt).

Was bedeutet "maximal sein" für Ihre persönliche Trainerkarriere?

Mein Traum ist es, eines Tages, wenn um 21 Uhr an einem Dienstag oder Mittwoch diese Hymne läuft, nicht vor dem TV zu sitzen, sondern am Spielfeldrand zu stehen. Aber nur träumen bringt nichts. Du musst dort gut sein, wo du gerade bist. Und das ist der Hamburger SV.

Steht der Trainer Thioune dann auch in der Champions League in Jogginghose und Kapuzenpulli an der Seitenlinie?

Vielleicht gibt's den Anzug mit Hoodie (lacht). Das Letzte, was ich will, ist mich verbiegen. Ich will authentisch bleiben. Als ich bei meiner Vorstellung als HSV-Trainer ein Hemd trug, meinten viele zu mir, dass ich ein bisschen verkleidet aussah. Dabei bin ich schon der Meinung, dass ich Hemd tragen kann. Klar: Der Hoodie ist meine Wohlfühloase. Aber sollte ich irgendwann mal diese Hymne hören, bin ich auch bereit ihn gegen den Anzug zu tauschen.

Abschlussfrage: Sie sind 46 Jahre alt, gehören noch zu den jüngeren Trainern. Wo sehen Sie sich in fünf bis zehn Jahren?

Wenn Sie mich vor drei Jahren gefragt hätten, ob ich mich als Cheftrainer beim Hamburger HSV sehe, hätte ich wahrscheinlich ungläubig geschaut. Ich möchte jeden Tag etwas Neues erleben, setze mir keine Grenzen und will jeden Tag wachsen. Vielleicht trainiere ich irgendwann auch wieder die U17-Mannschaft aus meiner Heimatstadt und bin genauso glücklich wie heute. Ich möchte immer dort gut sein, wo ich gerade bin. Wer weiß: Vielleicht muss ich mir in fünf bis zehn Jahren auch Gedanken darüber machen, wo und wie und ob ich überhaupt noch als Trainer arbeite.

Verwendete Quellen
  • Zoom-Interview mit Daniel Thioune
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