Der Mann der Woche Schalkes Supertrainer Tedesco: "Ich bin kein Derbyheld"
Er ist der Mann der Woche: Tedesco drehte mit seinen Psychotricks eines der spektakulärsten Revierderbys aller Zeiten. Hier spricht er über den Hype und Bayern-Gerüchte.
Beim Stand von 0:4 ging Schalke-Trainer Domenico Tedesco in der Halbzeit des Revierderbys vor seinen Spielern auf die Knie, um auf Augenhöhe zu sein. Statt drauf zuhauen, sprach er ruhig und bestimmt. "Wir fangen bei null an. Wir wollen die zweite Halbzeit gewinnen. Wir beweisen heute, dass wir auch in schwierigen Phasen zusammen stehen." Damit drehte er die Stimmung – und Schalke schaffte ein spektakuläres 4:4.
Ein Interview von Florian Wichert und Guido Heisterkamp.
t-online.de: Herr Tedesco, wie fühlt man sich als Derbyheld?
Domenico Tedesco (32): Ich muss ehrlich sagen: Ich fühle mich nicht als Derbyheld. Da ist eine Mannschaft für verantwortlich, die das großartig gemacht hat!
Aber was ist mit dem Hype, der um Sie herum entstanden ist?
Das ist jetzt das erste und einzige Interview für mich in dieser Woche nach dem Derby. Ich habe davon nicht viel mitbekommen. Mir ist auch viel wichtiger, dass wir das jetzt aus den Köpfen kriegen. Wir müssen die Positivität mitnehmen, aber bei allem anderen ist jetzt ein Haken dran. Mit der ersten Einheit waren wir wieder Richtung nächstes Spiel unterwegs: Köln.
Sie können doch nicht an der ganzen Lobhudelei vorbeigeschlittert sein?
Natürlich bekommt man SMS oder Nachrichten bei Whatsapp. Das war natürlich kein gewöhnliches Spiel, keine Frage.
Sie haben die Titelseiten der Zeitungen geziert! „Bild“ nannte das Spiel „Jahrhundertderby“.
Ich glaube schon, dass da alles drin war: Acht Tore, eine Aufholjagd, schöne Tore auf beiden Seiten, da war schon spektakulär.
Wie oft haben Sie sich das Spiel angeschaut?
Zweimal. Einmal für unsere Analyse, und einmal, weil es einfach nochmal im TV kam. Es lief ja überall.
Christian Heidel kann sich an die Minuten nach dem 4:4 durch Naldo nicht mehr erinnern – können Sie das?
Klar. Aber wir sind natürlich explodiert auf der Bank vor Freude.
Sie wurden für Ihre Halbzeitansprache gefeiert, mit der Sie die Aufholjagd einleiteten. Sie gingen auf die Knie und gaben als Ziel aus, die zweite Hälfte als separates Spiel zu betrachten und zu gewinnen. Wie kamen Sie auf die Idee?
Viel Zeit hast du nicht, um dir Gedanken zu machen. Vor dem Spiel habe ich nicht gedacht, dass wir zur Halbzeit 0:4 zurückliegen – und während des Spiels hatte ich andere Themen. Es war selbstverständlich für mich, da nicht noch draufzuhauen. Aber das ist nur das eine. Wie die Mannschaft das umgesetzt hat, ist das zweite – und zwar das deutlich wichtigere. Die Mannschaft hat das Ding gedreht. Nicht der Trainer.
Heidel sagt, man müsse Sie anketten. Sie seien mitnichten so ruhig, wie man denkt.
Ich glaube, das ist alles noch im Rahmen (lacht). Ich spule schon meine Kilometer ab. So bin ich halt. Und manchmal muss ich mich beim Vierten Offiziellen entschuldigen, weil ich zum Beispiel mehr Nachspielzeit gefordert habe. Zum Beispiel gegen Dortmund. Der Vierte Offizielle und ich sind oft nicht einer Meinung. Aber ich glaube nicht, dass ich oft im Unrecht bin (lacht).
Sind Sie dabei schon mal übers Ziel hinausgeschossen?
Nein! Niemals. Es war immer fair und im Rahmen. Ansonsten hätte der DFB ja auch schon reagiert.
Nun ist es so, dass Sie schon mit dem Traineramt bei Bayern München in Verbindung gebracht werden…
Also bei aller Liebe und bei allem Respekt: Ich bin froh, auf Schalke zu sein und sein zu dürfen. Das ist ein Privileg. Das kann nicht Jeder von sich behaupten, Schalke trainieren zu dürfen. Und ich fühle mich mega-wohl! Und ehrlich: Das geht heute alles so unfassbar schnell in den Medien.
Von Aue nach Schalke war auch Wahnsinn!
Aue war für mich auch eine Mega-Geschichte. Auch im Nachgang. Ich verfolge die Spiele weiterhin, drücke ihnen die Daumen. Ich weiß, was da für Herzblut dahinter steckt. Das ist ähnlich wie Schalke. Es gilt nicht umsonst als Schalke des Ostens. Super Fans, Super Präsidium, Super Trainerteam – das ist eine Zeit, die ich nie vergessen werde.
Können Sie denn ein Engagement beim BVB ausschließen für die Zukunft? Die suchen auch einen Trainer…
Das ist eine komische Frage. Ich bin Schalke-Trainer, ich kümmere mich nur um Schalke und um nichts anderes, das ist doch klar. Die Frage stellt sich nicht.
Ihr Vertrag läuft bis 2019. Bei Leipzigs Hasenhüttl wird bei gleicher Laufzeit schon ohne Ende diskutiert – wie sieht es bei Ihnen aus? Kam schon jemand auf Sie zu, um den Vertrag zu verlängern?
Nein! Aber das muss auch keiner, weil ich nicht an sowas denke. Wir müssen jetzt an Köln denken, nicht an Vertragsgeschichten. Das steht null im Fokus. Wir wissen, was wir noch zu tun haben. Wir müssen noch große Steine heben und verarbeiten.
Weil es schnell wieder bergab gehen und negatives Feedback geben kann?
Genau das ist es ja: Wir müssen uns von diesem Feedback lösen. Ich bin nicht blauäugig. Es kommen auch schwierigere Zeiten auf uns zu. Deswegen möchten wir dafür sorgen, dass diese Phase nicht so schnell kommt. Indem wir arbeiten, indem wir Gas geben. Aber in guten wie in schlechten Zeiten ist es besser, nicht so viel zu lesen und sich auf das zu konzentrieren, was du beeinflussen kannst. Das ist die tägliche Arbeit.
Ist das auch Ihr Weg, um auf dem Boden zu bleiben?
Ich glaube, das ist einfach mein Naturell. Ich sehe vor allem so viel, was ich verbessern könnte. Auch beim Dortmund-Spiel. Da sind wir noch lange nicht am Ende. Und das nächste Spiel steht vor der Tür. Es ist Wahnsinn, was wir abspulen müssen, auch ohne Dreifach-Belastung.
Keine Gefahr, abzuheben?
Dafür bleibt keine Zeit. Es geht Schlag auf Schlag – und ist alles sehr vergänglich, das wissen wir. Trotzdem bleibt nach solchen Spielen natürlich viel Positives hängen.
Was passiert, wenn Sie mal eine Schwächephase haben? In den vergangenen Jahren herrschte gleich Alarm, wenn es dazu kam. Wie krisenfest ist Schalke heute?
Das ist alles spekulativ und mit vielen Eventualitäten versehen – das kann ich nicht sagen. Fakt ist, dass Christian Heidel schon viel Ruhe in den Verein gebracht hat. Definitiv. Und uns gibt er alle Freiheiten. Wir entscheiden, wen wir spielen lassen, wie wir trainieren. Er mischt sich null ein und gibt uns viel Vertrauen. Das tut gut.
Sie spielen in den nächsten Wochen zweimal hintereinander das Samstagabend-Topspiel – wie viel Topklub steckt schon im FC Schalke?
Schwierig zu sagen, weil es in Deutschland sehr, sehr viele potenzielle Topmannschaften gibt. Vorne Bayern und Leipzig, dann Mannschaften wie Dortmund und Leverkusen mit einem Super-Kader. Gladbach, Hoffenheim – oder auch Wolfsburg, die aktuell noch nicht oben aufzufinden sind. Das sind Topmannschaften mit Topspielern: Divock Origi, Maxi Arnold, Daniel Didavi oder Yunus Malli. Deswegen müssen andere beurteilen, wie viel Topklub in Schalke steckt.
Haben Sie die Saisonziele an den Positivlauf angepasst?
Es ist logisch, dass ein Verein wie Schalke eher nach oben schaut. Aber: Wir sagen, dass wir nicht auf die Tabelle schauen. Und das meinen wir auch so. Es würde doch auch keinen Sinn ergeben. Weil es enorm eng ist. Wenn du in Freiburg nicht gewinnst, hast du zwei Punkte weniger und bist wahrscheinlich Fünfter statt Zweiter. Ich kenne die Tabelle jetzt nicht in- und auswendig. Die Tabelle ist wurscht. In der Winterpause ist sie auch wurscht. Gegen Ende der Saison wird sie dann spannend.
Goretzka behauptet auch, die Tabelle nicht zu kennen.
Ganz einfach: Wir setzen uns andere Ziele – pro Spiel. Wir möchten die Konter gut ausspielen, wir möchten über die Flügel durchbrechen. Wir möchten vorwärts verteidigen. Sie sehen: Wir machen das sehr aufgabenorientiert, um den Fokus nicht zu verlieren. Wenn ich an den Tabellenplatz denke und an drei Punkte, die ich dafür brauche, verschlafe ich die 90 Minuten vielleicht.
Ihr Licht im Trainerbüro brennt fast rund um die Uhr. Wie viele Stunden arbeiten Sie aktuell in der Woche?
60, 65, 70 Stunden, ich weiß es nicht. Man arbeitet ja auch viel von zuhause. Videos kann ich mir auch abends zuhause reinziehen. Aktuell ist es rund um die Uhr Schalke. Aber es macht Spaß, deshalb spielt das keine Rolle.
Schalke rund um die Uhr – wie schalten Sie ab und wollen Sie überhaupt abschalten?
Es gibt einen Tag in der Woche – meist ist das der zweite Tag nach einem Spiel – an dem wir uns wirklich versuchen, auf andere Dinge zu konzentrieren als Fußball. Dann schaue ich normalerweise auch kein Spiel. Du setzt dich vielleicht mal eine Stunde mit dem Trainerteam zusammen und planst die Woche, aber grundsätzlich ist der Tag für die Familie, um mit Frau und Kind spazieren zu gehen oder in den Zoo.