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Stuttgarter Jugendarbeiter spricht über Nachwehen der Krawallnacht


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Nachwehen der Krawallnacht
Stuttgarter Jugendarbeiter: "Wenn ich das höre, schüttelt es mich"


30.06.2021Lesedauer: 3 Min.
Die Polizei ist im Juni am Eckensee in Stuttgart unterwegs: Hier treffen sich viele junge Leute.Vergrößern des Bildes
Die Polizei ist im Juni am Eckensee in Stuttgart unterwegs: Hier treffen sich viele junge Leute. (Quelle: Arnulf Hettrich/imago-images-bilder)
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Der Leiter der Mobilen Jugendarbeit der Evangelischen Gesellschaft spricht mit t-online darüber, was seit der Krawallnacht 2020 passiert ist – und worauf es in Zukunft ankommt.

"Waldbrand": Diese Metapher benutzt Klausjürgen Mauch gern, wenn er über die sogenannte "Stuttgarter Krawallnacht" spricht. Vom 20. auf den 21. Juni 2020 war es in der Innenstadt zu schweren Ausschreitungen und Plünderungen gekommen. Der Leiter der Jugendsozialarbeit der Evangelischen Gesellschaft Stuttgart lobt die Maßnahmen, die die Stadt nach den Ereignissen auf den Weg gebracht hat – und die dazu geführt haben, dass der Wald seither nicht mehr gebrannt hat.

Und das in einer "wahren Rekordzeit", so Mauch: Nur fünf Wochen nach dem 20. Juni stand ein Beschluss des Gemeinderats, der unter anderem zwei Millionen Euro für die präventive Jugendarbeit vorsah. Zum ersten Mal konnte die Mobile Jugendarbeit, die Mauch verantwortet, auch in der Innenstadt aktiv werden und auf Jugendliche zugehen. Fünf neue Stellen hat die Stadt dafür bewilligt. Das ist auch bitter nötig, findet Klausjürgen Mauch. "Viele Jugendlichen sagen uns: 'Ihr seid seit einem Jahr die ersten, die fragen, wie es uns geht'. Wenn ich das höre, schüttelt es mich."

Die Arbeit in der Innenstadt ist für die Sozialarbeiter eine Herausforderung, weil das Klientel ein anderes ist als in den Stadtvierteln. Eine dauerhafte Beziehung zu den Jugendlichen aufzubauen sei angesichts des "hochfluiden" Publikums fast unmöglich. Denn viele Jugendliche, die am Wochenende durch die Innenstadt pilgern, reisen aus der Region oder aus entfernteren Landesteilen an. Sie kommen, weil "in Stuttgart was geht", sagt Mauch. Einige Erfolge hat die Mobile Jugendarbeit erzielt, glaubt er. So will Mauch beobachtet haben, dass die Jugendlichen sich stärker selbst regulieren, stärker reflektieren.

Mit Gesprächen die Gefahr mindern

Die Arbeit sei lohnend, aber auch zäh und langfristig angelegt, so der Sozialarbeiter. Neuerliche krawallartige Vorfälle wie an der Freitreppe am Schlossplatz oder am Feuersee überraschen Mauch nicht. Man komme mit vielen Jugendlichen ins Gespräch, und jedes dieser Gespräche verringere die Waldbrandgefahr, sagt Mauch. Doch klar sei auch: Ein paar wenige Knallköpfe mit Streichhölzern in der Hand reichten, um ein neues Feuer zu legen – und die werde es bei den Massen, die an sommerlichen Wochenenden unterwegs sind, immer geben.

Wer schnelle Ergebnisse erwarte, werde ohnehin enttäuscht, sagt Mauch. "Es war von Anfang an klar, dass die Mobile Jugendarbeit nicht der alleinige Heilsbringer sein würde", so Mauch. Das glauben auch weder Lokal- noch Landespolitik. Das Maßnahmenbündel, das Stadt und Land geschnürt haben, umfasst präventive und repressive Maßnahmen gleichermaßen. Aus dem Innenministerium waren zum Jahrestag der Krawallnacht auch großspurige Töne zu vernehmen. So jubelte Innenminister Thomas Strobl in einer Pressemitteilung unter anderem darüber, dass die Justiz mehr als 100 Jahre Freiheitsstrafe gegen die Täter verhängt habe. Tenor: Der Rechtsstaat funktioniert.

Treffen zur Wiedergutmachung

Weitere Maßnahmen: Hotspots der Innenstadt werden mittlerweile videoüberwacht, die Beleuchtung im Schlosspark wurde verbessert. Die Polizei hat eigene Kommunikationsteams gebildet, zeigt an Brennpunkten größere Präsenz. Gegen Mehrfach- und Intensivtäter geht sie härter vor. Zu den präventiven Maßnahmen gehören sogenannte Wiedergutmachungskonferenzen, bei denen sich Täter und Opfer der Krawallnacht begegnen und das Geschehene gemeinsam aufarbeiten. Seit Mai finden die ersten statt. "Das ist ein wichtiger Baustein. Jeder dieser Kontakte hilft, zu reflektieren und sich in die Rolle des anderen hineinzuversetzen", sagt Klausjürgen Mauch.

Überhaupt besteht für ihn der größte Fortschritt seit 2020 darin, dass viele Akteure der Stadtgesellschaft an einem Strang ziehen. "Die Kunst liegt darin, permanent im Gespräch zu bleiben, zu besprechen, was geklappt hat und was nicht", sagt Mauch. Dogmatik sei da fehl am Platz. Soll sich in Stuttgart langfristig etwas ändern, glaubt Mauch, dann müssen alle Akteure den politischen Beschluss des Gemeinderats ernst nehmen, nach dem die Landeshauptstadt eine jugendgerechte Stadt werden soll.

Junge Leute brauchen Platz

Dabei gilt es, dicke Bretter zu bohren. Unter anderem fehlt es in der dicht bebauten Innenstadt an nicht-kommerziellen Aufenthaltsflächen, wo sich Jugendliche treffen können. Dieser Mangel führt zu Massenansammlungen an bestimmten Hotspots und, um im Duktus Mauchs zu bleiben, manchmal zu kleinen Waldbränden – oder zu Großbränden wie 2020. Die eine Ursache für die Krawalle, das ist mittlerweile Tenor, gibt es nicht. "Es gibt bei solchen Eskalationen immer einen Punkt, an dem sich alles verselbstständigt und eine Gruppendynamik entsteht", sagt Mauch.

Was vorher in den Köpfen und Herzen der Jugendlichen gebrodelt hat, ist vielfach analysiert worden. Unterm Strich standen die massiven Einschränkungen durch den Corona-Infektionsschutz, ein Grundgefühl der Perspektivlosigkeit, das verstärkt wurde durch den Eindruck, von der Gesellschaft nicht ernst genommen zu werden. Genau an diesem Punkt setzen Mauch und seine Kollegen nun an.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Klausjürgen Mauch
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