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Ukrainische Mutter nach der Flucht: Das hat der Krieg mit meinem Kind gemacht


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Geflüchtete Mutter berichtet
Das hat der Ukraine-Krieg mit meinem Kind gemacht


Aktualisiert am 31.03.2022Lesedauer: 4 Min.
Maria Taratunskaja und ihr Sohn Andrej in ihrer Wohnung in Leipzig: "Das ist unser Land! Du darfst es nicht angreifen!"Vergrößern des Bildes
Maria Taratunskaja und ihr Sohn Andrej in ihrer Wohnung in Leipzig: "Das ist unser Land! Du darfst es nicht angreifen!" (Quelle: Christiane Gundlach)
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Maria hatte Glück bei ihrer Flucht aus der Ukraine: Sie fand sofort eine Gastfamilie, einen Schulplatz für Sohn Andrej und sogar eine eigene Wohnung – mietfrei. Doch bei einem Thema kommen ihr die Tränen.

Ein kleiner Junge, sieben Jahre alt, graue Jogger, blaues Shirt, rennt durch die Hofeinfahrt in Leipzig-Stötteritz auf die Straße. Er weint, ist absolut in Panik: "Helft mir! Helft mir!", ruft er auf Ukrainisch.

"Wahrscheinlich sterbe ich!", brüllt das Kind. "Alles ist kaputt! Ich komme nicht mehr rein. Ich kann nicht mehr!" Er zeigt auf die Tür im Hof, sie ist zugefallen, das Schloss eingeschnappt.

Panik, weil die Tür nicht aufgeht

Die Erwachsenen draußen auf der Straße können ihn verstehen, denn es ist eine Dolmetscherin dabei. Sie sind hier, um Maria Taratunskaja zu besuchen, die mit ihrem Sohn Andrej, sieben Jahre alt, vor dem Krieg in der Ukraine nach Leipzig geflohen ist.

Maria wohnt seit zwei Tagen in diesem Haus mit der Hofeinfahrt. Und der Junge, der so weint, der so in Panik gerät, weil die Tür zugefallen ist, weil er kurz alleine war – das ist Andrej, ihr Sohn.

Die Szene dauert weniger als eine Minute, dann kommt Maria die Treppe hinunter. Sie tritt aus der Tür, eilt zu Andrej, beruhigt ihn. Sie nimmt ihren Sohn mit nach oben, in ihre Wohnung im dritten Stock.

Viele Möbel hat sie noch nicht. Maria zeigt sie: ein Bett, ein Küchentisch, vier Stühle, ein schwarzes Tischchen, ein Schrank, ein kleines Regal. Maria und Andrej sitzen viel auf dem Bett, es ist der einzige gemütliche Platz, den sie haben.

Als ein Foto gemacht werden soll, will Andrej nicht lächeln. "Warum soll ich so tun, als wäre ich glücklich, wenn ich gar nicht glücklich bin?", sagt er zu seiner Mutter. Er schaut in sein Bilderbuch und als die Kamera blitzt und wieder blitzt, kann er doch noch lachen.

Flucht nach Leipzig: "Ich habe nur gedacht: weg, weg, weg!"

Maria redet sehr schnell, sehr fröhlich – auch von ihrer Flucht aus dem Krieg in der Ukraine. Sie ist 36 Jahre alt, Rechtsanwältin von Beruf und wohnte mit Andrej in Odessa am Schwarzen Meer. Sie arbeitet als Justiziarin in einem Handelsunternehmen und hat, bevor sie aus Odessa floh, Urlaub genommen, berichtet Maria.

Sie erzählt vom 24. Februar, dem Tag, an dem der Krieg begann: "Wir haben Explosionen gehört und gesehen, wie eine Fabrik brennt", sagt Maria. Auf den Straßen seien plötzlich Panzer gefahren. "Ich hab' nur gedacht: weg, weg, weg."

Marias Wohnung liegt in der Nähe des Flughafens und sie weiß, wie die russische Armee funktioniert: "Die zerstören einfach alles". Also setzte sie Andrej ins Auto und sie fuhren hinaus aufs Land, zu Marias Eltern, die in einem kleinen Dorf leben.

Über die rumänische Grenze

Auf der Landstraße gab es einen leichten Unfall. "Nur Blechschaden", sagt Maria, "aber das Auto konnte nicht mehr fahren. Wir sind zu Fuß weitergegangen, ich wollte keinesfalls dort auf der Straße warten."

Andrej und Maria wohnten ein paar Tage bei den Eltern. Anfangs dachten sie noch, der Krieg sei schnell vorbei. Doch nach einer Woche habe ihr Vater gesagt, es sei hier zu gefährlich. Er fuhr seine Tochter und den Enkel mit dem Auto zur rumänischen Grenze.

Dort stiegen sie in den Zug, schliefen eine Nacht bei Freunden in Bukarest und fuhren dann über Budapest und München direkt nach Leipzig. Hier wohnt ihre alte Schulfreundin Ludmila – und Ludmila war das Ziel ihrer Reise.

Ankunft in Leipzig um Mitternacht

Am 10. März um Mitternacht kamen Maria und Andrej am Leipziger Hauptbahnhof an. Sie übernachteten bei Ludmila, die schon seit ein paar Jahren in Leipzig lebt. Ludmila vermittelte ihnen auch eine Gastfamilie, denn sie selbst musste ihre eigene Schwester aufnehmen.

So kam Maria zu ihrer Gastfamilie, die in der schicken Leipziger Fockestraße wohnt. Die Frau arbeitet beim Fernsehen, sagt Maria und der Mann sei ein Dichter. Auf ihrem Handy zeigt sie seinen Wikipedia-Eintrag. Die Familie hat zwei Wohnungen, eine ist eigentlich nur zum Arbeiten – da konnten Maria und Andrej zunächst unterkommen.

Die Helfer besorgten ihr auch einen Schulplatz für Andrej. Er geht jetzt in die Schule an der Bernhard-Göring-Straße, 1. Klasse. Die Lehrerin spricht etwas russisch, sie kümmert sich um Andrej und bereitet für ihn spezielle Aufgaben vor.

Und: Seit zwei Tagen hat Maria ihre eigene Wohnung, drei Zimmer im Stadtteil Stötteritz. Ludmila fand die Wohnung über einen Makler. Der Vermieter habe ihr gesagt, sie brauche erst mal keine Miete zu zahlen, bis sie Geld von der Stadt bekomme. Alles in Ordnung also?

Balanceakt zwischen Hoffnung und Realität

Die Registrierung war schwierig, sagt Maria. Die ersten zwei Tage sei sie nicht drangekommen, am dritten Tag ging sie morgens um sechs Uhr zum Rathaus, das habe dann funktioniert. "Aber Andrej musste alleine bei der Gastfamilie bleiben, das war nicht so einfach für ihn."

Jetzt erzählt Maria von Andrej: Er frage, wann sie zurück nach Hause fahren könnten. Sie sage ihm dann: am 15. Juni, zu deinem Geburtstag vielleicht. "Aber ich möchte mich nicht selbst betrügen und meinen Sohn auch nicht", erzählt Maria. "Es ist ein Balanceakt zwischen Hoffnung und Realität."

Junge übt sich in Parolen wie "Putin soll kaputtgehen"

Andrej hört ihr zu und mischt sich ein, Putin soll "kaputtgehen", sagt er und: "Wir werden siegen!" Er läuft zum Bett und holt einen ukrainischen Adler, den er aus Pappe gebastelt und bemalt hat.

Seine Mutter zeigt Fotos von einer Anti-Kriegs-Demo in Leipzig, am 13. März war das. Sie und Andrej waren auch da. Der Junge trägt ein Schild, darauf steht auf Ukrainisch: "Ende mit Putin! Das ist unser Land! Du darfst unser Land nicht angreifen!"

"Er hat seinen eigenen YouTube-Kanal", erzählt Maria und macht auf ihrem Handy ein Video an: Andrej steht im Dorf seiner Großeltern und trägt inbrünstig ein patriotisches Gedicht vor.

"Er ist absolut verliebt in sein Land", sagt sie. Und er wolle kein Russisch mehr sprechen. "Warum soll ich die Sprache des Feindes sprechen?", frage er sie dann. Maria schaut auf das Video: ein kleiner Junge im Krieg, der sich in Durchhalteparolen übt. Und es kommen ihr die Tränen.

"Ich will Frieden", ruft Andrej, der daneben steht.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Maria Taratunskaja
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