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Köln: Intensivpfleger nach 11.11. – "Karneval könnte riesiger Fehler werden"


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Pfleger kritisiert 11.11.
"Dieser Karneval könnte ein riesiger Fehler werden"

  • Lena Kappei
InterviewVon Lena Kappei

12.11.2021Lesedauer: 6 Min.
Bilder wie sorgen für Aufsehen: Am 11.11. erlebte die Zülpicher Straße in Köln einen Massenandrang. (Quelle: Glomex)
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Die Corona-Situation in Deutschland ist dramatischer denn je. Die Bilder vom Karnevalsauftakt in Köln erregen viele Gemüter. Auch der Kölner Intensivpfleger Dominik Stark zeigt sich im Interview besorgt.

Deutschland befindet sich im zweiten Pandemie-Winter, mitten in der vierten Welle, das Pflegepersonal geht an seine Grenzen – im krassen Kontrast dazu stehen die Bilder ausgelassener Menschen vom Karnevalsauftakt in Köln, die dicht an dicht in der Innenstadt feiern.

Was bei vielen Frust und Kopfschütteln auslöst, bereitet medizinischem Personal große Sorge. So auch dem Intensivpfleger Dominik Stark, der in der Uniklinik Köln seit eineinhalb Jahren die Pandemie hautnah erlebt. Bereits im vergangenen Winter hatte er die dramatische Lage auf seiner Station geschildert. Anlässlich des 11.11. hat t-online wieder mit ihm gesprochen.

t-online: Wie groß ist die Wut der Pflegekräfte auf die Feiernden im Kölner Karneval?

Dominik Stark: Ich verstehe, dass die Menschen wieder feiern wollen. Aber das hätte vernünftig und nicht so eskalierend ausgelebt werden sollen. Wir Pflegekräfte machen uns große Sorgen. Ich hatte ursprünglich selbst vor, feiern zu gehen, aber angesichts der Lage ist das unverantwortlich. Dieser Karneval könnte ein riesiger Fehler werden.

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Was erwarten Sie in den kommenden Tagen?

Bei den Bildern der feiernden Menschenmassen, so eng beieinander und mit gefälschten Impfausweisen, die kursieren, erwarte ich, dass die Infektionszahlen definitiv weiter nach oben schnellen werden. In den Krankenhäusern herrscht großer Pflegemangel, die Intensivbetten sind noch mal weniger geworden und wir sind alle eh schon am Limit.

Und es gibt viele Kolleginnen und Kollegen deutschlandweit, die wegen der Corona-Pandemie gekündigt haben. Es wird eine harte Zeit auf uns zukommen. Zumal man auch als medizinisches Personal im Winter mit einer Erkältung oder Ähnlichem zu kämpfen hat und damit vielleicht ausfällt. Das ist nur noch schwer zu kompensieren.

Wie sieht die Lage auf der Intensivstation der Uniklinik Köln derzeit aus?

Die Anfragen nach Intensivbetten werden mehr. Noch schaffen wir alles, aber die Strapazen nehmen zu. Das geht an die Substanz.

Viele Pflegekräfte sprechen von Burn-out. Wie ist es Ihnen in den vergangenen Monaten ergangen?

Im Sommer hatte ich eine Phase, in der ich nicht mehr wusste, wie ich weiterarbeiten kann. Es war alles nur noch belastend: Corona auf der Arbeit, Corona in den Medien, und das über Monate hinweg. Da konnte ich kaum noch abschalten. Das war sehr kräftezehrend. Deshalb hatte ich mir eine Auszeit genommen, das hat geholfen. Ich habe die Kurve noch mal bekommen. Andere Kollegen in ganz Deutschland aber nicht, die waren am Ende ausgebrannt und haben gekündigt.

Ist eine Besserung der Personallage in Sicht?

Nein, überhaupt nicht. Von der Politik kamen bisher nur leere Versprechungen. Vergangenen Dienstag gab es einen Streik an der Klinik mit 700 Beschäftigten. Von der Tarifverhandlungsrunde der Bundesländer kam am Ende nur die Aussage: Das Gesundheitssystem in Deutschland sei zu keiner Zeit überlastet, der Pflegemangel nur kurzzeitig gewesen und nicht reell. Man sehe keinen Handlungsbedarf für bessere Arbeitsbedingungen und mehr Geld für die Pflegekräfte. Da fragt man sich schon: In welcher Welt leben wir hier? Seit zwei Jahren hat sich nichts getan.

Wie gehen Sie mit diesem frustrierenden Ergebnis in die vierte Welle hinein?

Es ist schwer, motiviert zu bleiben. Man ist körperlich kaputt und müde. Deshalb ist Teamwork das A und O. Wir versuchen, uns an die positiven Aspekte unseres Berufs zu erinnern und daran zu klammern. Meine Motivation ist, dass wir uns erneut richtig miteinander vernetzen und Druck auf die Politik ausüben. Es dürfen nicht noch mehr Kolleginnen und Kollegen kündigen. Wir müssen aufeinander achten.

Belegen Ungeimpfte die Intensivstationen, sodass andere schwere Erkrankungen nicht oder erst später behandelt werden können?

Diese Lage haben wir an der Uniklinik Köln aktuell noch nicht. Aber in anderen Krankenhäusern nehmen die Ungeimpften sehr viel Kapazitäten auf den Intensivstationen ein, sodass die Notfallversorgung immer strapazierter ist. Das macht mich persönlich sauer.

Es gibt Fälle, wo Tumoroperationen, die kein akuter Notfall sind, wegen Corona-Patienten verschoben oder abgelehnt werden müssen. Ich finde: Wenn man die Möglichkeit hat, sich aufklären und impfen zu lassen, um sich und andere zu schützen, sollte man das aus Solidarität tun. Das ist meine private Meinung.

Wie gehen Sie mit Ungeimpften auf der Station um?

Generell behandle ich auf der Intensivstation alle Menschen gleich, egal ob sie geimpft oder ungeimpft sind. Aus beruflicher Sicht erlaube ich mir auch kein Urteil über diese Personen. Wenn ein Ungeimpfter mit Corona infiziert ist und einen schweren Verlauf hat, wird er von mir nicht schlechter behandelt. Das ist nicht immer einfach, weil man seine Emotionen da unter Kontrolle halten muss.

Wie sprechen Sie im Kollegenkreis über das Thema?

Unsere Arbeit ist hochemotional und klar diskutieren wir darüber. Wir haben immer öfter auch jüngere ungeimpfte Patientinnen und Patienten, die an einer Corona-Infektion sterben. Das müssen auch wir verarbeiten. Und wir sind enttäuscht, denn mit einer Impfung wäre ein tödlicher Verlauf vielleicht vermeidbar gewesen.

Kommt man mit den Ungeimpften auch mal ins Gespräch?

Die meisten Corona-Infizierten, die bei uns ankommen, sind schon in so einem schlechten Zustand, dass sie nicht mehr in der Lage sind, zu sprechen. Oder sie sind schon im künstlichen Koma und müssen beatmet werden. Wenn man doch mal mit jemandem sprechen kann, erlebt man ganz unterschiedliche Reaktionen. Mir haben Patienten schon gesagt: 'Es tut mir wirklich leid, dass ich mich nicht habe impfen lassen. Ich denke jetzt anders darüber.'

Dann gibt es aber auch Patienten wie kürzlich in Bonn: Da hat ein Covid-Patient die Station angezeigt, weil er beatmet wurde, er Nebenwirkungen vom Koma habe und Experimente an ihm gemacht worden wären. Er hat auf Schadensersatz geklagt. Dabei hätte er die Infektion fast nicht überlebt. Aber die Einsicht der Genesenen und die Wertschätzung unserer Arbeit überwiegt.

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Wie dynamisch werden Intensivbetten belegt, wie lange bleibt ein Bett derzeit noch frei?

Das Telefon der Oberärztinnen und Oberärzte klingelt immer häufiger, bestimmt stündlich. Die Betten bleiben nie lange frei, manchmal nur wenige Stunden. Dann kommt schon der nächste Patient. Das war bei uns aber schon vor Corona so. Wir haben häufig multimorbide, schwer erkrankte Patienten und einen hohen Bedarf an Intensivmedizin.

Haben Sie selbst trotz Impfung Angst vor einer Infektion?

Wir achten extrem auf die Isolationsmaßnahmen. Ich habe eigentlich keine Angst, mich zu infizieren. Ich weiß, wie ich die Schutzkleidung korrekt anziehe und wie ich mich verhalten muss, um das Risiko möglichst gering zu halten. Bisher sind wir damit auch gut gefahren. Wenn man sieht, wie ein schwerer Verlauf sein kann, ist man umso vorsichtiger.

Wie sehen Sie die 2G-Regelung: Wird sie helfen, die Situation zu entschärfen und Intensivstationen zu entlasten?

Ich bin dafür, dass auch Geimpfte sich testen lassen müssen. Mit den aktuellen Regeln können die Geimpften ja machen, was sie wollen. In der Gastronomie zum Beispiel wird teilweise nicht richtig kontrolliert und so macht die Regel wenig Sinn. Geimpfte können das Virus weitertragen oder erkranken, wenn auch mit meist milderem Verlauf.

Aktuell sind die Regelungen wie ein Blindflug. Man sollte ganze Gruppierungen nie vom Sozialleben ausschließen. Daher finde ich, dass einfach alle getestet werden sollten, unabhängig vom Impfstatus.

In Hamburg wird von Chaos in der Notaufnahme berichtet, die Charité verschiebt alle planbaren Operationen, der Münchner Oberbürgermeister befürchtet einen "Kollaps des notfallmedizinischen Versorgungssystems": Sehen Sie den Kollaps auch auf Köln zukommen?

Aktuell kriegen wir alles noch kompensiert, noch werden die Patienten nicht abgelehnt. Aber das kann sich sehr schnell ändern. Wir machen uns Sorgen, weil in ganz NRW die Intensivbetten knapp werden.

Unsere größte Angst ist, dass wir die Menschen nicht mehr versorgen können. Wenn die Zahlen weiter so steigen wie jetzt, weiß man nie, wo die Reise hingeht.

Was würden Sie gerne von Dominik Stark wissen? Schicken Sie Ihre Fragen per E-Mail mit dem Betreff "Dominik Stark" an lesermeinung@stroeer.de. Bitte haben Sie Verständnis, dass wir nicht alle Fragen stellen können. Wir werden versuchen, eine repräsentative Auswahl zu treffen. Die Antworten gibt es in Kürze bei t-online.

Verwendete Quellen
  • Telefonat mit Dominik Stark
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